Den Preis der LiteraTour Nord hat in dieser Leseperiode 2015-2016 Ulrich Schacht bekommen (15000 Euro, gestiftet von der VGH-Stiftung).
Seine Erzählung "Grimsey" hatte mich sehr angesprochen, über das schmale Buch schrieb ich an dieser Stelle: "Die Erzählung "Grimsey" von Ulrich Schacht ist "nur" ein schmales Bändchen, das es aber in sich hat: Auf raffinierte Weise wird die Beschränkung auf die kleine, unbekannte, einsame Insel mit Welthaltigkeit verbunden. Ein Fotograf, der schon in der ganzen Welt unterwegs war, durchquert die winzige isländische Insel am Polarkreis und reist zugeich in sein eigenes Inneres, in seine Vergangenheit. Die Einheimischen begegnen ihm freundlich, alles scheint normal, aber mehr und mehr stößt der Fotograf auf ein Geheimnis; sichtbares Zeichen sind die toten Möwen, die er zunehmend findet.
Die Preisverleihung fand öffentlich am 21. April 2016 ab 19 Uhr statt. In der Jurybegründung, die verlesen wurde, heißt es: „Gegenwart und Vergangenheit verbinden sich auf verblüffende Weise und öffnen sich auf eine Zukunft hin, die Neues ermöglicht. Vielfältige Symbole schaffen eine Intensität der Wahrnehmung, die die Oberflächen von Landschaft, Dingen und Lebewesen durchdringt und tiefere Erkenntnisse vorbereitet. Schachts präzise und poetisch verdichtete Sprache sowie der genau austarierte Spannungsbogen verleihen der Novelle zeitlose Klassizität.“
Die Lobrede hat Ulrich Greiner, Literaturkritiker der "Zeit" gehalten.
Einige Zitate: "Eine derart klare und leuchtende Prosa hatte ich lange nicht gelesen. Sie wirkte auf mich wie ein langer Atemzug, der das Herz weitet und die Sinne schärft." "Was wie ein Reisebericht beginnt, wandelt sich mehr und mehr in ein stehendes und zugleich bewegtes Bild. In diesem Bild sind Gegenwart und Vergangenheit zu einem großen Jetzt verschmolzen. Die Gegenwart: Das ist die Reise des Erzählers auf diese Insel; und die Vergangenheit: Sie taucht in jenen Bildern auf, wie sie wohl jedem von uns vors innere Auge kommen, wenn wir den Fluss der Gedanken durch den Kopf nicht stoppen, sondern es zulassen, dass unsere eigene Geschichte ihr Recht erhält." "Wer so (wie Ulrich Schacht) mit seiner Zeit im Widerspruch lebt, der benötigt Ruhepunkte, Fluchtorte, denn anders kann er sich ja nicht retten ..." Und nach Schilderung einer Szene aus der Vergangenheit: "Auch diese Szene ist eine Insel, eine Insel des Glücks, die kein Sturm je zerstören kann. Ich glaube, jeder kennt solche Inseln. Von Ulrich Schacht kann man lernen, sie zu hegen und zu schützen."
Die ganze Rede kann bei der LiteraTour Nord nachgelesen werden.
Zu dem Abschluss Ulrich Greiners passt eine Formulierung Schachts, die ich mir von dem Gesprächteil der Lesung während der LiteraTour Nord in Hannover notiert habe (sinngemäß zitiert): Die Inseln (die Ulrich Schacht genauso gesammelt hat wie seine Hauptfigur in "Grimsey") "sind wie eine Perlenkette, die ich um meine Seele gelegt habe".
Doch zurück zur Preisverleihung: Nach üblichem Brauch hat Ulrich Schacht aus einem noch nicht veröffentlichten Manuskript gelesen.
Weitere Informationen - auch zur Biografie - lassen sich auf der eigenen Seite von Ulrich Schacht nachlesen. Hilfreich ist auch die Seite des Aufbau-Verlages.
Für den Text verantwortlich: Dr. Helge Mücke, Hannover; Zitate wie angegeben; Foto: Helge Krückeberg