LiteraTour Nord 2010-2011 (5) - Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst

LiteraTour Nord 2010-2011 (5) - Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst

Mitgutsch-titel-042_87327_97475_t Das präzise Psychogramm einer Trauerarbeit stellte Anna Mitgutsch in der 5. Lesung der LiteraTour Nord vor (in Hannover am 27. Januar). Ihr Roman "Wenn du wiederkommst" ist der einfühlsam erzählte Monolog einer österreichischen Frau, die seit 15 Jahren von ihrem amerikanisch-jüdischen Mann getrennt lebt, sich ihm aber gerade wieder angenähert hat. Sein plötzlicher Tod beendet alles, unerbittlich.

 

 „Wir haben uns nicht auf Wiedersehen gesagt“, berichtet die Frau, die die Geschichte erzählt, „sein letzter Satz am Flughafen begann mit Next time ...“ Jerome und sie hatten sich nach fünfzehn Jahren der Trennung gerade wieder einander genähert und freuten sich auf das nächste Treffen in Boston in ihrem gemeinsamen Haus – doch würde es kein nächstes Mal geben: das Unfassbare geschieht, Jerome stirbt.

Wie sie damit fertig wird – sie und ihre Tochter Ilana, das einzige Kind –, innerhalb Jahresfrist, davon spricht sie in diesem „Roman“, der keinen linearen Erzählstrang hat: Aus Gegenwartsbericht und Rückblenden, sprunghaften Erinnerungsstücken, entsteht nach und nach ein feines Gewebe der Trauer und Trauerarbeit, angefangen mit der Beerdigung nach jüdischem Ritus (Jerome war „ungläubiger Jude“) über die Trauerwoche, die Schiwa-Sitzung, und die 30 Tage Trauerzeit des Scheloschim bis hin zum Wiedertreffen am Grab nach einem Jahr.

Ganz am Anfang ihrer Liebe, 35 Jahre zuvor, hatten sie einen „Verlobungsvertrag“ aufgesetzt, das macht diese Beziehung zu etwas Besonderem: Sie würden einander nie belügen, hatten sie gelobt, aber auch nicht die Wahrhaftigkeit benutzen, um einander weh zu tun. Sie würden einander beschützen und unterstützen, ohne Abhängigkeiten zuzulassen; alles teilen, aber das Recht auf Eigenständigkeit bewahren; den anderen nicht daran hindern, eigene Wege zu entdecken und ihnen zu folgen.

Um das alles mit so hohem Anspruch zu erfüllen, dafür reichte ein Leben nicht, so erkennt die Frau jetzt: „Wir hatten nur ein Leben, es war zu kurz für alles, was wir von ihm erwarteten.“ „Wir waren am Schluß erst am Anfang, und auch die Liebe hatte gerade erst eine neue Gestalt angenommen.“

Immer mehr erfährt man über den Anwalt, der in letzter Zeit nicht mehr so erfolgreich gewesen war, weil er zu sehr die menschliche Seite berücksichtigte, statt auf das Honorar zu achten; sein schauspielerisches Talent; seinen herben, auch sarkastischen Witz; seine Lebensfreude; sein „Ergötzen an der Vielfalt weiblicher Schönheit“, seinen Hang zur Selbstzerstörung andererseits, immer mehr Facetten. Über die Frau erfährt man äußerlich viel weniger – eine Asymmetrie, die der begleitende Fachmann Martin Rector „riskant“ nennt. Eine Zuhörerin macht aber darauf aufmerksam, dass man über den Mann mehr von außen erfährt, über die Frau mehr von innen – die Wandlung ihrer Trauer, die feinsten Schattierungen werden sehr genau dargestellt.

Die Erzählweise wirkt eher kühl, niemals aber larmoyant, fein differenzierend, und erleichtert es dadurch der Leserin, dem Leser, die Abwehrhaltung gegenüber dem Thema zu überwinden. Die berührenden Momente kommen dennoch; bei mir persönlich besonders beim Sortieren der Garderobe und der Bücher. Sie lässt sogar einen Antiquar kommen, der nur mit dem Kopf schüttelt. „Entsorgen, empfiehlt er ..., Bücher sind Wegwerfware, und da ist kein einziges Buch, das auch nur zehn Dollar wert wäre, und verschwindet mit einem unwirschen Gruß“. Mit welch freudiger Erwartung hatten sie früher neue Bücher mit nach Hause gebracht. Die „Bücher enthielten die ganze, auf die Essenz verdichtete Wirklichkeit, exemplarisch, wahrhaftig, wie keine andere Wirklichkeit es sein konnte. So sahen wir es, so sehe ich es noch immer, aber ich habe niemanden mehr, mit dem ich tage- und nächtelang über Bücher, Ideen, das Leben anderer diskutieren kann. Bücher waren zugleich Kampfzonen und Beweismaterial für die Verwandtschaft unserer Seelen ...“

Mit dem Wegsortieren der Garderobe kommt sie zunächst gar nicht zurecht, sie hat schon einen Abholtermin mit der Caritas ausgemacht, aber „sooft ich die Sakkos aus dem Schrank räume, die Hosen zusammenfalte und in die Kleidersäcke stopfe, sie wandern wie von selber in den Schrank zurück. Sie sind doch noch wie neu, das graukarierte Sakko, er wird es brauchen, wenn er wiederkommt, denke ich gegen jede Vernunft, vielleicht ist es dann schon wieder Herbst ...“

„Totenklage“ hatte die Autorin einfach ihr Buch nennen wollen – „Wenn du wiederkommst“, der Titel des Verlages, wirkt für eine bestimmte Seelenlage zutreffend.

Er wird nicht wiederkommen, jedenfalls nicht in naher Zukunft, aber nach einem Jahr hat sie doch den Eindruck, dass sie wieder mit ihm ins Gespräch kommen kann, dass er ihr zuhört. „Es schien ihr, als habe er ihr geantwortet und ihr eine Dankbarkeit und Zuversicht mit auf den Weg gegeben, die sie seit vielen Monaten nicht gekannt hatte, und sie war gewiß, daß er sie liebte“. Das klingt wie ein versöhnlicher Schluss.

Anna Mitgutsch ist das präzise Psychogramm einer Trauerarbeit gelungen, das zu lesen trostreich wirken kann, aber auch zum Nachdenken über eine Beziehung Lebender, die vielleicht dem Tode nahe ist, anregen kann.

Anna Mitgutsch wurde in Linz geboren. Sie unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Zuletzt erschienen bei Luchterhand die Romane "Haus der Kindheit", "Familienfest" und "Zwei Leben und ein Tag". Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den "Solothurner Literaturpreis". (Verlagstext)

Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst. Roman. Luchterhand (Random House): München 2010. 272 Seiten. Euro 19,95. 

 Text der Besprechung: Dr. Helge Mücke, Hannover

Hilfreich sind die vom Verlag beigefügten Erläuterungen jüdischer Ausdrücke am Schluss des Buches.

 


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