Das ist doch einmal ein richtig erzählter Roman - das kann Rolf Lappert: gut erzählen, da liegt offenbar seine Stärke. Machen Sie die Probe aufs Exempel - beginnen Sie mittendrin (z.B. ab S. 311), und Sie werden sofort gefesselt sein (und werden angeregt sein, zurückzublättern und die anderen Teile nachzuholen).
Rolf Lappert hat im Rahmen der LiteraTour Nord, die zu insgesamt sechs Städten in Norddeutschland führt, an zweiter Stelle gelesen - in Hannover war das am 18. November 2010.
Es ist der Roman einer gebrochenen, zerbrechenden Sehnsucht, und es ist zugleich der Roman zweier Geschwister, die auf dem bescheidenen Hof ihres Vaters in Irland aufgewachsen sind, sich aus dem Auge verloren haben und einander wiederzufinden suchen. Megan hatte schon als Kind Tiere über alles geliebt und sich später zur militanten Tierschützerin entwickelt. Eines Tages war sie verschwunden. Tobey, der eine Zeitlang sein Glück als Rockmusiker in Dublin versucht hatte, macht sich später auf die Suche nach der Schwester und gerät dabei in gefährliche Abenteuer, bis hin zu einer kleinen philippinischen Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Dort soll es ein Primatenzentrum geben, an dem Megan gearbeitet haben soll. Das Forschungszentrum aber ist verfallen und heruntergekommen, existiert nur noch wie ein Potemkinsches Dorf (jährlich wird ein fiktionaler Film gedreht, der der geldgebenden Stiftung beweist, wie hier wissenschaftlich gearbeitet wird), einige wenige Menschenaffen (Bonobo, Schimpanse, Orang) gibt es noch, aber wo ist Megan abgeblieben? Erst allmählich wird das dunkle Geheimnis der "Insel des letzten Lichts" offenbar ...
Gut erzählt, wie gesagt, aber durchaus in eigenwilliger Form, nicht einfach in zeitlicher Folge des Geschehens. Immer wieder sind Briefe Megans an ihren Bruder eingestreut, die Tobey aber nie direkt bekommen und gelesen hat. Er bekommt sie erst spät im Stapel. Der Roman selbst besteht aus drei Teilen: "Hitze", "Songs" und "Regen". Zwei davon, der erste und dritte, beginnen mit der Landung eines Menschen auf der Insel - erst ist es Tobey, dann Megan (in Umkehrung der zeitlichen Folge). Der Mittelteil schildert Kindheit und Jugend in Irland, vor allem Tobeys Erfahrungen mit seiner Band, bis hin zum Tod des Vaters und Megans unangekündigtem Verschwinden. Das triste Leben auf dem Bauernhof in einer tristen Rumpffamilie - die Mutter ist schon früh freiwllig fortgezogen, sein Leiden daran überträgt der Vater auf die Kinder - wirkt wie ein Abgesang auf das Kleinbauerntum. Diese Idylle funktioniert längst nicht mehr. Aber auch die Idylle der entlegenen Sehnsuchtsinsel funktioniert nicht, sie wird mehr und mehr zerstört: von den Menschen.
Der Roman bietet auf über 500 Seiten ein großes Lesevergnügen mit ernstem Untergrund. Was nicht heißt, dass man alles gerne liest - eine der beeindruckendsten Schilderungen ist die von Megans Praktikum in einem Schlachthof, das sie veranlasst, ihr Veterinärstudium abzubrechen.
Rolf Lappert: Auf den Inseln des letzten Lichts. Carl Hanser: München 2010. 544 Seiten, Euro 24,90.
Text der Besprechung: © Dr. Helge Mücke, Hannover; das Bild zeigt die Umschlaggestaltung des Verlages.