Der Rückblick auf ein durch die Mayas dann doch vollkommen unbeschädigtes Jahr. Ein sehr gutes Jahr für den Comic - meines Erachtens. Ich werde in einer Kurzparaphrase zweimal 5 Titel vorstellen, die mich nachdrücklich beeindruckt haben. Und ihr geht dann los & kooft die bei dem Comichändlers eures Vertrauens - Deal?
Blain & Lanzac: Quai d'Orsay
Die absurden Innenansichten in die Arbeit eines Ministerialbeamten, kleine Gemeinheiten über den Dienst an der Macht. Verfasst durch einen intimen Kenner & Spottschreiber und visuell gnadenlos skizziert durch den Nestor der Speedlines. Getuschte Reduktion - um Bourdieus & Foucaults Theoreme der Macht zu illustrieren braucht Blain nur wenige Striche. Eine Großartigkeit zwischen bitterböser Satire & verflucht cleverer Sozialstudie. Grandezza. Selten hat mich ein politischer Comic besser amüsiert und mich die irrwitzige visuelle Intelligenz eines Zeichners so begeistert, wie bei diesem Genrejuwel.
LePage: Reise zum Kerguelen Archipel
Wuchtig wie ein alter Schulatlas, strotzend vor Ideen & reich an zahlosen Narrativen en miniature. Der Reisebericht über die Passage zu den französischen Überseedepartements nahe der Antarktis ist einer dieser Comics, die man ganz ohne Scheu auch wahren Comicfeinden schenken darf - um sie zu glühenden Anhängern zu bekehren. Ein charmanter Hybrid zwischen Skizzenbuch, Reisebericht, Seefahrt- und Literaturgeschichte und Selbstfindungsversuch. 30 Tage aus dem Leben eines feinsinnigen, sensiblen Comiczeichners und Könners. Klug beobachtet, konzis visualisiert & mit viel Liebe für das beiläufige Detail & die kleine Geschichte erzählt. Maximilien Le Roy: Die Mauer
Was ist eigentlich Palästina? Dieser Fleck verfluchte Erde, über den so viele lautstark sprechen & so viele schweigen sollten. Wie denkt die Jugend über die Besatzung durch Israel? Träumen Palästinenser von elektronischen Autobomben? Le Roy, den ich in diesem Jahr als brillanten Comicschaffenden zu schätzen gelernt habe, geht dieser schwierigen Frage gelungen auf den Grund. Er tritt - zwei Jahre, nachdem er an einen Workshop in einem Flüchtlingcamp in der Nähe von Bethlehem teilnahm - mit einem der Teilnehmer eine Reise durch die Westbank an und gewährt uns einen angenehm deutungsfreien & färbungsarmen Einblick in die Gedanken- & Gefühlswelt eines jungen Mannes zwischen Wut, Verweiflung & unbedingtem Lebenswillen. Wichtig!Straboni & Maurel: Chapeau, Herr Rimbaud
Was die enttäuschte Liebe aus Menschen machen illustriert dieser Comic sehr charmant. Der begnadete Wortmagier Rimbaud entsagt nach dem Bruch mit einem ihm wertvollen Menschen der Dichtung, kehrt Europa den Rücken, um nun in Afrika als Waffenschieber solide Gewinne zu erwirtschaften. Diese, bisher eigentlich nur literaturwissenschaftlich veranlagten Menschen & Rimbaud-Fundis geläufige Episode wurde durch den auf Literaturtheorie spezialisierten Verlag auf den deutschen Markt gespült & stellt einen der echten Ausnahmetitel dieses Jahres dar. Elegant, gewitzt & auch für Laien & bislang unbeeindruckte (dieser Zustand ist nach der Lektüre untragbar ;)) Leser sehr zu empfehlen. Ricard & Mael: In der Strafkolonie
Es ist eine der finstersten Geschichte, des nicht für sein sonniges Gemüt bekannten Pragers - die nun kongenial in den Comic überführt wurde. Scharfe Schraffuren, seltsam verwachsene Figuren, pointierte Medienkritik und die nahezu perfekt ausbalancierte Melange aus Bild & Text machen diese Adaption zu einer der bislang besten Literaturtransfers. Das filmische Erzählen Kafkas wird von den beiden Verantwortlichen hervorragend übertragen. Die perfide Tötungsmaschine fügt sich im Hintergrund langsam zusammen und wirkt somit nochmals grausamer, als in der ohnehin schon gnadenlosen Erzählung.
Falls ich ausführliche Besprechungen zu den vorgestellten Titeln verfasst habe, finde ihr diese hier.