Lisbeth Gruwez, Voetvolk: HeroNeroZero - Tanztheater International 2011 Hannover
Diese Frau kann sogar mit dem Gesicht tanzen! Lisbeth Gruwez aus dem flämischen Belgien mit Voetvolk (ihrem Fußvolk) nutzt alle Ausdrucksmöglichkeiten bei ihrer Reflektion über das irdische Dasein des Menschen am nun schon wieder vorletzten Abend des Tanztheaters International, über das ich hier einleitend und im voraus schon berichtet hatte.
Lisbeth Gruwez erzählt mit einfachen Mitteln von den Fährnissen des Lebens. Nur drei Menschen sind auf der Bühne beteiligt: außer ihr der Tänzer François Brice und der Komponist Maarten van Cauwenberghe, der teilweise in die Performance einbezogen wird. Dicke rohe Holzbretter liegen bereit, als Gegenstände der Verwandlung. Auch Musik (elektronische) wird weitgehend sparsam eingestzt.
Die Tänzerin beginnt alleine im völligen Schweigen, fast unbewegt. Ganz leichtes Schwanken aus der Senkrechten. Schon in dieser frühen Phase aber wäscht sie ihre Hände in Unschuld (stäubt sie mit weißem Puder ein). Von Anfang an aber ist der Körper kraftvoll präsent, man fragt sich: ist es die reine Körperkraft oder auch Ausdruck von Ichkraft? Später wird auch das Gesicht eingeweißt. Das überzeichnet die Mimik. Man fühlt sich ein wenig an Pierrot, mehr noch an japanische Kabuki-Schauspieler erinnert (einmal habe ich ein Foto gesehen, Ausdruck von Wut mit stark herabgezogenen Mundwinkeln; diese Tänzerin kann das auch).
Plötzliche harte Handkantenschläge in die Luft (wieder ein asiatisches Element). Dazu scharfe Töne (die, wie man nachlesen konnte, durch Sensoren am Körper erzeugt wurden). Aber hilft Aggressivität wirklich im Kampf des Lebens? Beziehungen könnten helfen - doch diese Zweierbeziehung ist eingeengt in Rituale, Schemata, Zwänge, Konventionen; da gibt es nur wenige Momente dessen, was Liebe werden könnte. Nur einmal leuchtet ein wenig mehr auf: als sich die rohen Bretter plötzlich zu Tisch und Bänken geformt haben und sie zu dritt daran sitzen. Die Gemütlichkeit hält jedoch nicht lange an, drei Menschen, das kann nicht gut gehen. Das artet eher in Sex aus, der keine Dauer verspricht.
Gelingt es, das Leben konstruktiv zu gestalten? Alles, was man aufbaut, ist zur Zerbrechlichkeit verdammt. Die dicken Bretter, ständig bewegt und umgebaut (wie beim Tanz), haben hier ihre symbolische Funktion. Manchmal werden sie senkrecht in die Höhe aufgestellt, man hat Angst, sie könnten umfallen. Manchmal wird eines der Bretter krachend auf den Boden geknallt. Der Tänzer legt sich auf den Boden und baut Bretter um sich, auf sich, die ihn einengen und erstarren lassen.
Man kann sich Wege bauen. Auch die können einengen oder zum Labyrinth werden.Alles zeigt die Ambivalenz des Lebens. Entsprechend Tarkovskys Film "Stalker" der begleitend zitiert wird: Schwäche sei groß und die Stärke ein Nichts.
Hero Nero Zero: Der Held mit dem unbedingten Willen zum Sieg; Nero als der Archetyp derer, die mit Zuckerbrot und Peitsche ihre Umgebung regieren; Zero die Null, das Nichts. Gegen Ende singt sie David Bowies Lied vom Helden für einen Tag ("We could be heroes, just for one day ..."), eng umschlungen mit dem Partner.
Das war eine sehr beeindruckende, in 55 Minuten konzentriert-spannende Vorstellung. Der Formulierung eines Kollegen (leider kenne ich die genaue Quelle nicht) kann ich zustimmen: "Eine Performance von stiller Bildwucht und elektrischer Intensität."
Ich empfehle, die letzte Vorstellung zu besuchen - heute am Samstag, 10.9., 19.30 Uhr in der Orangerie Herrenhausen : Pierre Rigal und Compagnie dernière minute: Micro.
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; die Fotos wurden für Pressezwecke zur Verfügung gestellt und sind nicht frei verfügbar.