Viel wurde und noch mehr wird wohl in den kommenden neun Tagen bis zum „großen Tanz“, den IRONMAN-Weltmeisterschaften am 14. Oktober in Kailua-Kona, geschrieben über die großen Stars der Szene. Solche, die schon seit Jahren zur Weltspitze gehören, solche, die bereits die Krone der Triathleten gewinnen konnten und solche, die sich Hoffnung machen, einmal zu jenen zu gehören.
Ganz oben auf der Liste der meisten Insider stehen natürlich Jan Frodeno und Sebastian Kienle bei den Männern und eine ziemlich einsame Daniela Ryf bei den Damen. Während bei den Mädels schon etwas ganz Außergewöhnliches passieren müsste, damit „The Angry Bird“ nicht Weltmeisterin wird, ist bei den Jungs im Grunde wie jedes Jahr auf Hawaii alles offen.
Ist Lionel Sanders das Dark Horse?
Einer, der in Kona (wie damals der junge, arrogante Chris McCormack) noch nichts gerissen hat, aber ähnlich selbstbewusst daher kommt, ist Lionel Sanders. Aber anders als Macca, der zuvor so ziemlich alles über so ziemlich jede Distanz gewinnen konnte, kann man ihn bisher eher als „One Trick Pony“ einstufen – er kann im Prinzip nur Mitteldistanz auf Weltklasse-Niveau. Allerdings ist er ein Arbeitspferd und – wie die meisten guten Triathleten – ein smarter Typ. Er ist grundehrlich, vor allem mit sich selbst. In seinen Analysen klingt eine der aus meiner Sicht wichtigsten Grundsubstanzen guter Leistung hervor: Selbstkritik. Er lügt sich nicht wie die meisten Mittelmäßigen ständig in die Tasche, woran es diesmal gelegen haben könnte (was bei den Verlierern regelmäßig im Außen auftritt: Das Wetter, das Material, die Strecke, das Pech, etc.). Er ist kritikfähig und schaut sich schonungslos seine Ergebnisse an. Zum ersten Mal so richtig bewusst wurde mir das bei seiner Analyse des IRONMAN 70.3 St. George im Mai 2017, als er hinter Jonathan Brownlee und vor Sebi Kienle Zweiter wurde und gar nicht zufrieden war mit seiner Leistung. Ähnlich schonungslos, ehrlich, offen und authentisch höre ich so etwas nur noch von Sebi.
Auf jeden Fall kommt er erstens deutlich professioneller daher als die meisten anderen Profis bei ihren ersten Gehversuchen in Kona und zweitens sehr viel forscher, selbstbewusster, man mag auch sagen überheblicher. Seine Ansage im gestrigen Home-Video (s.u.) direkt von der Insel würde ich irgendwo zwischen atemberaubend und größenwahnsinnig einstufen. Spannend wäre es auf jeden Fall und gut tun würde es dem Triathlonsport auch, wenn mal endlich wieder richtig Bewegung reinkäme in das Rennen um die höchste Triathlon-Krone. Und um die Siegerzeiten deutlich zu verbessern braucht es vor allem erst einmal eines: Das richtige Mindset! Er mag mit seiner Vision von 0:48 – 4:00:00 – 2:35:00 völlig daneben liegen, aber wenn ich wie die herrschende Klasse nicht einmal daran glaube, dass in Kona die 8 Stunden fallen, wird das eben auch nichts. Warum stehen Menschen da, wo sie stehen im Leben? Weil es das ist, was sie sich vorstellen können!