Verfasst von Mag. Géza Ákos Molnár, Rhetorik-Coach, Wien
Ausgangspunkt: Interview „Österreich“ – Grüner Vizebürgermeister Wien,
Maria Vassilakou, Österreich, 04.09.2011, S.20
Frage: „Gäbe es eine Vermögenssteuer, müssten wir die Gebühren nicht anheben“, sagt Ihr Klubchef David Ellensohn. Stimmt das soweit?
Vassilakou: Ja. Österreich hat unter einem Finanzminister Grasser eine sehr böse Entwicklung durchgemacht. 80.000 unglaublich reiche Menschen parken Millionensummen äußerst steuerschonend. Die Kommunen werden dadurch finanziell ausgehungert. Leistungen werden unfinanzierbar. Der Pflegebereich wird der größte Brocken. Die Kommunen können nur an einer einzigen Schraube drehen, die ihnen zur Verfügung steht. Und das ist leider die Gebührenerhöhung.
Frage: Wie sieht der rot-grüne Schulterschluss zur Vermögenssteuer aus?
Vassilakou: Es wird Zeit für ein Volksbegehren. Wir wollen fragen, ob rund 7,9 Millionen Österreicher für das schöne Leben von 80.000 zahlen wollen. Wir könnten in Österreich drei Milliarden Euro Steuern ganz locker einheben; über Maßnahmen, die für Fionas und Karl-Heinzens kaum spürbar wären.
Nun zum Text – Experiment:
Es wird dem Wort „reich“ oder „Reiche“ nur ein Wort hinzugefügt bzw. es wird das Wort „reich“ / „Reiche“ durch ein Wort ersetzt. Es werden Namen geändert. Und in einem Fall politische Farbenbezeichnungen. Da wir aufgrund unserer historischen Verantwortung in Bezug darauf Gott sei Dank tatsächlich hochsensibel sind, ist das betreffende Wort um der „provocatio“ des Text – Experiments willen zugespitzt ausgewählt worden.
Frage: „Gäbe es eine Vermögenssteuer, müssten wir die Gebühren nicht anheben“, sagt Ihr Klubchef Adolf Braun. Stimmt das soweit?
Held: Ja. Österreich hat unter einem Finanzminister Gerber eine sehr böse Entwicklung durchgemacht. 80.000 unglaublich reiche Juden parken Millionensummen äußerst steuerschonend. Die Kommunen werden dadurch finanziell ausgehungert. Leistungen werden unfinanzierbar. Der Pflegebereich wird der größte Brocken. Die Kommunen können nur an einer einzigen Schraube drehen, die ihnen zur Verfügung steht. Und das ist leider die Gebührenerhöhung.
Frage: Wie sieht der blau-schwarze Schulterschluss zur Vermögenssteuer aus?
Held: Es wird Zeit für ein Volksbegehren. Wir wollen fragen, ob rund 7,9 Millionen Österreicher für das schöne Leben von 80.000 Juden zahlen wollen. Wir könnten in Österreich drei Milliarden Euro Steuern ganz locker einheben; über Maßnahmen, die für Saras und Ariels kaum spürbar wären.
Thesen:
Im Fall „Vassilakou“ hinterfragt niemand in den Medien und in der Politik die Diktion des Wiener Vizebürgermeisters. Weder in der Sache noch in der Emotion noch in der Methodik der Kampagne.
Einige Fragen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit:
a) Stimmt es sachlich, dass Kommunen tatsächlich und wesentlich nur durch die Stiftungen der Reichen ausgehungert werden? Wenn es nicht wirklich stimmt, warum und wozu wird dies behauptet?
b) 80.000 „unglaublich“ reiche Menschen? Welche Emotion löst in diesem Kontext „unglaublich“ aus?
c) Womit assoziiert man den Begriff „ausgehungert“? Wer lässt also wen (aus)hungern? Was genau will Vassilakou hier suggerieren? Wer wird von wem belagert? Sind Belagernde und Belagerte Feinde? Sind die 80.000 Feinde der 7,9 Millionen? Wenn nicht, warum wählt Vassilakou Worte, die eine solche Assoziation aufzwingen?
d) Ist die Nennung eines (1) Namens (Grasser) als Synonym für „böse Entwicklung“ schlechthin angemessen? Wird hier das Gesicht eines Politikers einer gegnerischen Partei zur bösen Fratze umgestaltet? Stimmt es, dass die Vermögenssteuer unter Grasser abhandengekommen ist? Stichwort Lacina. Warum aber hat das Böse laut Vassilakou erst unter Grasser seine Entwicklung genommen? Welche Absicht verfolgt der Wiener Vizebürgermeister damit?
e) Stichwort „böse“: Ist „böse“ ein Begriff aus der Steuerpolitik? Wenn „ja“, wie ist er definiert? Wie dagegen ist steuerpolitisch „gut“ definiert? Was hat in der Folge mit „Bösen“ (Achtung: das sind nicht die Andersdenkenden, denen Toleranz gebührt) zu geschehen? Wie ist mit ihnen zu verfahren? Ist hier eine Ersatzreligion aktiv, womöglich mit fundamentalem Eifer?
f) Stimmt es sachlich, dass Leistungen nun wegen der 80.000 „unfinanzierbar“ werden? Wenn es nicht stimmt, warum und wozu wird das behauptet?
g) Der Pflegebereich als der größte Brocken? Wird hier an Ängste alternder Menschen appelliert? – Wird hier mit Gefühlen gespielt? – Wird hier Angst geschürt? – Werden hier die Reichen als Saboteure der Altenpflege geortet? Zugespitzt gefragt: Lassen die 80.000 die pflegebedürftigen Alten grausam einsam sterben?
h) Stimmt es sachlich tatsächlich, dass die Gebührenerhöhung die einzige Option ist, die übrigbleibt, wenn man die Reichen nicht zusätzlich besteuert? Ist es sachlich tatsächlich richtig, dass die Reichen das böse Schicksal aller zugunsten von 80.000 sind? Wenn dies nicht stimmt, warum und wozu wird es dann behauptet?
i) Stimmt es sachlich, dass die 80.000 ein schönes Leben haben? Stimmt es, dass 7,9 Millionen kein schönes Leben haben? Stimmt es, dass die 7,9 Millionen eben wegen dieser 80.000 kein schönes Leben haben? Stimmt es, dass 7,9 Millionen ein schöne(re)s Leben hätten, würden die 80.000 höher besteuert werden? Will Vizebürgermeister Vassilakou nun 7,9 Millionen gegen 80.000 unglaublich reiche Leute mobilisieren? In der Diktion von rot/grün formuliert: … gegen 80.000 unglaublich reiche Leute „(auf)hetzen“?
j) Welche sachliche Substanz ginge verloren, würde Vassilakou „Fionas“ und „Karl-Heinzens“ in diesem Zusammenhang nicht erwähnen? Wird hier personifiziert? Werden hier Gefühle gegen einzelne bekannte Menschen geweckt, geschürt oder vorhandene Gefühle verstärkt, um einen starken Sturm gegen die die gemeinte Bevölkerungsgruppe zu entfachen? Werden hier zwei konkrete Gesichter zum (Hass)Symbol gemacht für diejenige Menschengruppe, gegen die nun mit Aufbietung des ganzen Volkes (!!) vorgegangen werden muss?
Die Variante des Text-Experiments hat nur eines getan: Namen geändert, Farben geändert und „Reiche“ durch „Juden“ ersetzt.
Ich habe nun nicht die Zeit, historische Studien anzustellen. Interessant wäre es, Interviews, Veröffentlichungen, Karikaturen aus den frühen 30er Jahren des 20.Jahrhunderts anzusehen.
Welche Gesichter wurden hier gezeichnet? Welche Kausalzusammenhänge und Sündenbocktheorien wurden hier kolportiert? Mit welcher Raffinesse wurden Tatsachen mit ideologisch verbrämten Zielvorstellungen verknüpft? An welche bereits vorhandenen Gefühle im Volk(e) wurde appelliert? Etc., etc., etc.
Heute würde antifaschistische Kritik Angesichtes der Experiment – Variante des zitierten Interviews mit Recht in etwa die Fragen stellen, die unter a bis j gelistet sind.
Heutige antifaschistische Kritik würde diese Fragen aber gar nicht erst stellen und diskutieren lassen. Sie würde unter Berufung auf den Verhetzungsparagrafen sofort zum Staatsanwalt gehen und Anzeige erstatten – es sei denn, die Staatsanwaltschaft hätte nicht ohnehin sofort nach Erscheinen des entsprechenden Interviews erste Maßnahmen ex offo eingeleitet.
Schwachpunkt in meiner Darstellung: So ein Interview hätte Fellner nie veröffentlicht. Er kennt den Unterschied zwischen „guter“ Hetze und „böser“ Hetze genauso gut wie Vizebürgermeister Vassilakou und Genossen. Vassilakous Hetze ist „gute“ Hetze. Die Text – Experiment – Hetze ist selbstredend „böse“ Hetze.
Ich sage: Beides ist Hetze.
Ich bewerte ethisch: Hetze ist nie gut. Genauso wie Folter nie gut ist – nicht im KZ, nicht im GULAG, nicht in islamistischen Folterzellen – NIRGENDS UND NIE.
Hetze ist nie gut. Egal in welche Parteifarbe sie getaucht ist und gegen wen sie gerichtet ist.
Wer aber hetzt, möge wenigstens nicht totschlagargumentierend andern geifernd Hetze vorwerfen. Das wär’s, Frau Vizebürgermeister und Herr Fellner.
Offen bleibt die Frage: Was täte Vassilakou nun, wären die 80.000 tatsächlich Juden?
Ergo Frage:
Was ist Hetze?
Was ist Diskriminierung?
Realpolitische Antwort: Der ideologische Standort bestimmt den Standpunkt.
Schlussfragen aus aktuellem Anlass:
Ist die Diskriminierung von Reichen „positive Diskriminierung“ und Hetze gegen sie „positive Hetze“?
Nachtrag: Es geht hier nicht um die Vermögenssteuer und ob sie in Österreich sinnvoll wäre oder nicht. Das ist ein eigenes Thema. Mir geht es in diesem Text – Experiment darum, die Augen und Ohren zu öffnen: Hetze ist keine Untat, die aus nur einer Richtung kommen kann und auch kommt. Wir haben als Redner und als Hörer wachsam allen gegenüber wachsam zu sein – sogar uns selbst gegenüber, denn im Eifer können auch uns Dinge über die Lippen kommen, die besser nie gesagt worden wären.