Linda Castillo - Blutige Stille
Den ersten Band der „Kate Burkholder" - Reihe, „Die Zahlen der Toten", habe ich im März 2014 gelesen. Ich empfand das Buch als soliden, wenig überraschenden Thriller und hatte kaum Ambitionen, die Reihe weiterzuverfolgen. Zwei Jahre später purzelte mir der zweite Band „Blutige Stille" in den Schoß. Ich unterhielt mich mit meiner Freundin E. darüber, dass ich englische Bücher unter anderem dafür schätze, dass sie oft in winzigen, platzsparenden Ausgaben herausgebracht werden. Sie stimmte mir zu und verschwand in ihrem Wohnzimmer. Als sie zurückkehrte, hielt sie „Blutige Stille" in den Händen, als Mini-Ausgabe der Fischer Taschenbibliothek. Wir stellten fest, dass sie zwar den zweiten Band der „Kate Burkholder" - Reihe gelesen hatte, aber niemals den ersten, während ich hingegen nur den ersten Band gelesen hatte. Kurzer Hand tauschten wir die Bücher aus, um unsere Wissenslücken zu füllen. Gekauft hätte ich „Blutige Stille" vermutlich nicht, weshalb ich E. umso dankbarer bin, dass ich nun trotzdem weiß, wie sich Kates Geschichte weiterentwickelt.
Nachdem Kate Burkholder mit Hilfe von John Tomasetti einem Serienmörder erfolgreich das Handwerk legte, hoffte sie mehr als alles andere, dass wieder Frieden in Painter's Mill einkehren würde. Leider währt die Ruhe nur kurz. Die amische Familie Plank wird abgeschlachtet aufgefunden. Vater und Söhne liegen erschossen im Haus, die Mutter und das Baby wurden auf ihrer verzweifelten Flucht hingerichtet. Ihr Mörder zeigte keine Gnade, doch seinen Sadismus sparte er sich für die Töchter auf. Verstümmelt und gefoltert hängen sie in der Scheune. Die ungeheure Brutalität des Verbrechens schockiert selbst hartgesottene Polizeiveteranen. Wer würde einer gottesfürchtigen, friedliebenden Familie so etwas antun und warum? Kate tappt im Dunkeln - bis sie das Tagebuch der ältesten Tochter findet...
Im Grunde kann ich über den zweiten Band der „Kate Burkholder" - Reihe das Gleiche sagen wie über den ersten: er ist solide, spannend und fesselnd. Er liest sich flüssig und schnell weg. Linda Castillo verlangt kaum geistigen Aufwand von ihren Leser_innen, weshalb ich schätze, dass sich „Blutige Stille" gut als Urlaubslektüre eignet, wenn man etwas Nervenkitzel am Strand mag. Das Buch weist einige positive Aspekte auf, die mich letztendlich motivierten, 2 Sterne zu vergeben. Trotzdem glaube ich, dass diese Reihe nicht das Richtige für mich ist. Für jeden unterhaltsamen, erfreulichen Punkt fällt mir leider ein negatives Gegenbeispiel ein, allen voran die unerträgliche Konzentration auf das verkorkste Privatleben der Protagonistin Kate. Ich begreife nicht, warum diese Tendenz im Thriller-Genre immer wieder dermaßen aufdringlich zu Tage treten muss. Mich interessiert nicht, von welchen Dämonen die Polizist_innen heimgesucht werden oder welche Probleme sie bewältigen müssen. Schluck es runter und lös den verdammten Fall. Ich fand all das Gejammer und Geheule um Kates Vergangenheit bereits im ersten Band grenzwertig und stereotyp, konnte allerdings nachvollziehen, dass es wohl irgendwie dazu gehören musste. Für den zweiten Band hoffte ich aus ganzem Herzen, dass sich der Spuk aus ihrer Kindheit nun mehr oder weniger erledigt hätte. Dem war unglücklicherweise nicht so. Die gute Frau kann kein einziges amisches Haus betreten, ohne sofort eine mentale Zeitreise zu unternehmen. Vermutlich hätte mich das weniger gestört, hätte ich nicht den Eindruck gewonnen, dass der Mordfall dadurch in den Hintergrund gedrängt wird. Mich beschlich das diffuse Gefühl, dass Kate den Fall dazu missbraucht, sich selbst ein weiteres Mal zu rächen, weil ihr Leben in der amischen Gemeinde von äußeren Kräften zerstört wurde. Sie nimmt die Morde so persönlich, als wäre sie selbst erschossen und gefoltert worden. Die Planks stehen stellvertretend für all das Unrecht, das ihr angetan wurde. Kate will den Mörder um ihrer selbst Willen finden, nicht, um den Planks Gerechtigkeit zu verschaffen. Folglich kann ich sie nicht als Heldin in schusssicherer Weste sehen. Sie ist egoistisch und narzisstisch. Ich kann keine Verbindung zu ihr aufbauen und fühlte mich während der Lektüre stets als Zaungast. Ich bin nicht mal sicher, ob ich Kate überhaupt leiden kann, was übrigens auch für ihr männliches Gegenstück John Tomasetti gilt. Die beiden sind so kaputt, dass sie in psychotherapeutische Behandlung gehören. Wäre ich in der Realität mit ihnen bekannt, ich hätte sie schon längst auf ihr selbstzerstörerisches Verhalten angesprochen und sie gefragt, ob sie vielleicht jeweils ein Alkoholproblem haben. Der Stellenwert der privaten Angelegenheiten in dieser Reihe ärgert mich maßlos, weil ich fest überzeugt bin, ohne das melodramatische Bla Bla hätte „Blutige Stille" ein wirklich guter Thriller sein können. Ich mochte das Tagebuch als hinweisgebendes Element und hatte sogar fast die richtige Intuition, was die Identität des Mörders betraf. Mein Verdacht war nicht falsch, aber eben auch nicht ganz korrekt.
Für mich hat sich die „Kate Burkholder" - Reihe erledigt. Zu groß ist die Sorge, dass ich in den Folgebänden erneut mit einer unendlichen Litanei privater Natur konfrontiert würde. Darüber hinaus tue ich mich schwer damit, zu akzeptieren, dass die kleine amische Gemeinde jahrelang friedlich gelebt haben soll und nun plötzlich von einem Mord nach dem anderen erschüttert wird. Das erscheint mir nicht glaubwürdig. Wenn das so weitergeht, sind doch irgendwann keine Amischen mehr übrig, die Linda Castillo sterben lassen kann, oder? Ich glaube, dass dieses spezielle Setting natürlichen Begrenzungen unterworfen ist, die den bisherigen Umfang der Reihe von acht Bänden (Band 8 erscheint im Juli auf Englisch) nicht rechtfertigen. Auch denke ich, dass eben dieses Setting mit jedem weiteren Band an Reiz für mich verlieren wird. Darum ziehe ich genau hier den Schlussstrich. Mach's gut Kate Burkholder.