“Scheisse, wat war das ein geiles Wochenende?”
Blaue Flecken, dicken Kopp, Erinnerungen ein wenig verschwommen aber bockstark. Junge wat ham wir gefeiert!
Mist gebaut? Wir doch nicht!
Ja wir haben gelebt, haben Scheisse gebaut, waren oft Rücksichtslos, haben halb Europa bereist (wenn auch nicht ganz nüchtern) sind von diversen Zeltplätzen geflogen, waren die Sorgenkinder unserer Mütter.
Ja, auch bei der Polizei durften uns unsere Mütter schon abholen.
Gegen später dann besuchten wir Stadien, immer im Block dabei. Gegröhlt, gehüpft, den Gegner verhöhnt.
Wir pinkeln im Stehen, haben Sprüche über die nur wir Mäner lachen können, lieben Fußball, Feuer, grillen, Bier.
Wir reden markant, sind oberflächlich, sexistisch und würden so gerne den Rülps-Contest gewinnen.
Wir sind Männer! Einfach gestrickt und lieben manchmal die unterste Schublade, sie steht uns gut.
Wie sagte einer meiner Freunde immer so schwachsinnig schön:”Weißt Jörg, life is a Gamble”
Ich bin einer dieser Sorte, ein echter Kerl, mit allem was dazu gehört.
Nun versuche ich ein kleines Mädchen zu erziehen.
Ich begleite Sie ein Stück in Ihrem leben, versuche Ihr Vorbild zu sein und bin, zumindest im moment noch und wenn ich gerade nichts untersage, Ihr Held.
Wir haben pinke Möbel, Hello Kitty Teppiche, ich kaufe Kleidchen und Mädchenklamotten.
Ich bringe die Puppe zum schlafen, tanze Kika-Tanzalarm und lese Märchenbücher vor.
Für die Frühstücksbox werden Gesichtsbrote geschmiert, Obst wird auf dem Teller als Südseeteller schmackhaft gemacht.
Habt Ihr eine Vostellung darüber wie das für mich als alten Stehpinkler war als ich Ihr das erste mal zeigen musste wie man auf die Toilette geht?
Wir machen einen Waldspaziergang.
Plötzlich stoppt meine Tochter, tritt an den Wegesrand, knüllt Ihr T-Shirt vorne zusammen, beugt eine Hand an die Hüfte und streckt sie hinaus.
Ein bisschen verduzt frag ich sie was sie da mache, worauf sie völlig Selbstvertändlich entgegnet: “Na Pipi!”
Ich mußte lautstark loslachen aber in dem Moment wurde mir mitunter klar was für eine wahnsinnige Vorbildfunktion wir doch haben.
Es gibt noch wesentlich mehr Geschichten die das veranschaulichen aber was ich damit zum Ausdruck bringen möchte ist, dass egal was oder wie ein Mensch ist.
Wir sind alle in der Lage Herausforderungen anzunehmen, zu lernen und mit ihnen zu wachsen.
Aus gesellschaftlichem, kulturellem und Biologischem Hintergrund trägt aus unserer Sicht die Mutter in aller Regel die elterliche Hauptverantwortung.
Was aber wenn die Mutter Krank wird? Nicht mehr kann, aus welchen Gründen auch immer oder gar aus dem Leben tritt?
Dann darf es überhaupt keine Frage sein dass der Vater diese Verantwortung genau so zu tragen hat, wenn das nicht sogar schon vorher als Normalität angesehen werden sollte.
Leider erkennen wir Väter das oft erst viel zu spät.
Ich gebe zu dass das bei meinem Erstgeborenen auch der Fall war. Es war die klassische Aufteilung, ich ging arbeiten und Sie war für meinen Sohn da.
Heute sehe ich das aus einer anderen Perspektive.
Meine Tochter wird als “besonderes Kind” bezeichnet, im englischen würde es “mentally challenged” heißen.
Prinzipiell sind alle Kinder etwas besonderes und wenn wir nicht geistig Herausgefordert werden sollten wir uns selbst hinterfragen.
Wir haben oft ein Problem Dinge namentlich zu benennen.
Fakt ist aber es ist ein Kind, ob besonders, mentally challenged, behindert oder was auch immer – es ist ein Kind.
Exakt das ist was ich in meinem Kind sehe, genau so handle ich und werde ich auch mit Ihr umgehen.
Ich lasse mich in Ihre Welt entführen, hole mir schöne Erinnerungen aus der eigenen Kindheit wieder und mache mit Ihr die Dinge, die ich schon für aufregend und abenteuerlich Empfand.
Wir haben krach gemacht, geschrien, getobt, gesungen, gespielt und unsere Eltern zur Weißglut gebracht – wir waren weder behindert noch Krank.
Und eben so verhält sich meine Tochter und viele andere tolle Kinder die ich in Ihrem Kindergarten oder bei der Lebenshilfe kennen lernen durfte.
Wie ein Kind!
“Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.”
Sokrates (470 – 399 v. Chr.), griechischer Philosoph
Mein Kinder sind also vollkommen Okay!
Wir haben ständig das Gefühl blöd angeschaut zu werden, ständig spielt im Unterbewußtsein mit dass wir ein anständiges Kind präsentieren müssen.
- Wenn es trotzt oder laut wird, ist es schlecht erzogen
- Wenn es heult wird es verprügelt
- Ein Rotzfreches Kind? Geht gar nicht
- Ups, die Nachbarn fühlen sich gestört
Es wird gestarrt, hinter vorgehaltener Hand geflüstert, abwertend den Kopf geschüttelt.
- Sind wir ein Volk voller Spießbürger geworden?
- Gönnen wir unseren Kindern keinen Spaß mehr?
- Können wir Kinder nicht einfach Kinder sein lassen?
Ich hasse es wenn meine Tochter blöd angeschaut wird, statt zu hinterfragen und die Kommunikation zu suchen wird geredet, gedacht und verächtlich weg geschaut.
Das baut einen dermaßen immensen Druck auf mich auf dass ich Ihr Dinge verboten habe die eigentlich ganz natürlich sind.
Ein Kind muss laut lachen dürfen und es muss vor Dreck stehen wenn wir draußen waren.
Ich sehe auch wie meine Tochter mit anderen Kindern spielt, die normal sind.
Manchmal muss ich meine Verzweiflung und Traurigkeit zurück halten wenn sie den anderen Kindern beim spielen zu sieht und nicht mitspielen darf weil die Erwachsenen mit Ihren blicken schon signalisieren dass sie bloß nicht zu nahe kommen soll.
Es ist ein scheiß Gefühl – Es bricht mir das Herz
Was ich mir wünsche ist die Akzeptanz und Toleranz seitens der Erwachsenen.
Die Vielfalt macht doch unsere Gesellschaft aus und wir Erwachsene bauen im Kindesalter schon Barrikaden und wundern uns warum es Menschen gibt die Vorbehalte gegen behinderte Menschen haben?
Und wirft ein Stern einen Schimmer auf uns herab,
auf eine lila Blume,
inmitten einer grauen Stadt.
Ihre Blüten sind so bunt wie ihr sonniges Gemüt.
Sie steht für Hoffnung, wenn man ihr gibt was sie verdient.
(Songtext Rogers: Lila Blume)
Im nächsten Artikel werfe ich einen Blick auf Alleinerziehende im allgemeinen, Alleinerziehende und Familien mit behinderten Kindern, der fehlenden Lobby und der Belastung die uns tagtäglich begegnet.