Roger Ebert (1942 – 2013) ist die Hauptperson in der Dokumentation “Life Itself”
Nur selten werden Namen von Filmkritikern ins Rampenlicht gestellt. Sie sind die stillen, grantigen Menschen, die durch alle Zeiten hinweg an ihren Schreibmaschinen, Laptops und vielleicht inzwischen gar Smartphones sitzen, um kein gutes Haar an beim Publikum vermeintlich beliebten Blockbustern zu lassen und jeden fein säuberlich konstruierten Arthouse-Film mit Worten zu lobpreisen, für die man erst einmal studieren muss, um sie aus ihrer Feuilleton-Sprache in etwas Verständliches interpretieren zu können.
Nur Roger Ebert ist gemeinhin bekannt. Der einzige Filmkritiker, der für seine Arbeit mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde (und auch gerne damit in Angebereien verfiel), der einzige Filmkritiker der einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame sein Eigen nennen darf. Im April 2013 erlag er seiner Krebserkrankung (Schilddrüsenkrebs), durch die er zuvor 2006 seine Stimme verlor. „My blog became my voice“ erzählt er in Steve James’ Dokumentation Life Itself durch einen Sprachcomputer, der ihn unentwegt begleitet. James hat Eberts Lebensmotto wahr gemacht: „I was born inside the movie of my life. I don’t remember how I got into the movie, but it continues to entertain me.“ Worte, die sich in den zum Film gehörenden Memoiren Roger Eberts wiederfinden lassen, dessen Leben nun durch diese Doku wirklich zum Film geworden ist.
Roger Ebert (links) mit seinem langjährigen Kollegen Gene Siskel (rechts)
Ebert schrieb für die Chicago Sun-Times, holte gemeinsam mit seiner Hassliebe Gene Siskel die Filmkritik ins Fernsehen und schrieb das Drehbuch zu Russ Meyers Blumen ohne Duft. Er war der amerikanische Marcel Reich-Ranicki der Filmkritik. Erbarmungslos in seinem Urteil gegenüber Filmen, die seine Zeit verschwendeten. Begeistert gegenüber Filmen, die seiner Meinung nach das Publikum zu unterhalten wussten. Er war keiner dieser Feuilletonisten. Ganz im Gegenteil. Er setzte sich für den unterhaltenden Film ein.
Während der Dreharbeiten zu Life Itself war Ebert noch am Leben, konnte so selbst Anekdoten erzählen und auf sein Leben zurückblicken. Doch traurig ist die von ihm geäußerte Gewissheit, dass er mit Erscheinen der Dokumentation bereits tot sein wird. Hier wird Life Itself emotional. Jedes Mal, wenn wir Roger Ebert in seinem Krankenhausbett besuchen (eine Art Rahmenhandlung für die Doku, die darin seine Lebensabschnitte einbettet) und seinem Zerfall zusehen müssen, immer wenn andere Menschen in höchsten Tönen von ihm reden, dann treibt es uns Tränen in die Augen.
A. O. Scott von der New York Times wertschätzt diesen Mann, der den Berufsstand des Filmkritikers geprägt hat wie niemand sonst. Regisseur Martin Scorsese muss selbst die Tränen unterdrücken als er über Ebert spricht. Werner Herzog, der betont noch niemals einen Film jemanden gewidmet zu haben, lässt am Ende seiner 2007er Antarktis-Dokumentation Begegnungen am Ende der Welt verlauten: „dedicated to Roger Ebert“.
Interview mit Roger Ebert über sein Leben als Filmkritiker (Februar 1997)
Ganz gleich ob seine eigene Familie (seit 1992 war er mit der Anwältin Charlie Hammel-Smith verheiratet), Schauspieler wie Robert Redford oder Regisseure wie Steven Spielberg, sie alle erklärten den Tod des Mannes zum Ende einer Ära für die Filmkritik. Ebert sei ein Mann gewesen, der seine Faszination für das Medium Film wie einen Virus weiterverbreiten konnte. Er hat so viele Filme gesehen, dass es eine Freude war sich von ihm anstecken und beraten zu lassen.
Roger Ebert (rechts) mit Martin Scorsese (links)
Ebert war aber auch ein Mann, der wusste was er wollte. Er durfte Forderungen stellen, die er immer durch seine Kompetenz rechtfertigen konnte. Seine Strategie war ganz klar erbarmungslos nach vorne gerichtet. Er hatte Prinzipien, die er beibehielt. Er hatte Integrität, die er niemals aufgeben wollte. Er hatte aber auch Schwachpunkte, die wiederum von der Doku nicht verheimlicht werden: Seine Alkoholsucht treibte ihn bis an den Punkt, an dem er die magischen Worte von sich gab: „I wish I were dead“. Und doch hat er diesem Tod am Ende den Kampf angesagt, obwohl wir einen des Kampfes müden Mann zu sehen bekommen, der doch eigentlich nichts weiter möchte, als seine Filmkritiken zu schreiben.
Am schönsten gelingt es Lift Itself jedoch Roger Eberts Zeit mit Gene Siskel zu dokumentieren. Das Filmkritiker-Duo im Fernsehen, das es vor und hinter der Kamera gerne krachen ließ. Gemeinsam gingen sie durch Freundschaft und Feindschaft. Und nach Gene Siskels Tod im Februar 1999 twitterte Roger Ebert stündlich Erinnerungen an seinen alten Freund.
Roger Ebert und Gene Siskel besprechen in “At The Movies” den Stanley Kubrick Film “Full Metal Jacket”
Life Itself erzählt nicht unbedingt nur von einem Filmkritiker, sondern von einem Mann, der seine Leidenschaft bis in die Krebserkrankung hinein mit sich nimmt und sich an sie klammert. Es ist eine beeindruckende Geschichte eines Mannes, der sich mit seinem Job aus der Bedeutungslosigkeit erhoben hat um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bis über seinen Tod hinaus.
Life Itself
120 Minuten, Regie: Steve James
im Netz: Offizielle Homepage zur Dokumentation
alle Bilder © www.facebook.com/EbertMovie