Konkret, 12/2018
Was den faschistischen Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, zu einem Wunschkandidaten des Kapitals macht. Von Tomasz Konicz
Die Märkte haben auf die Wahl des neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro positiv reagiert. Brasilien wähle einen „rechtsaußen stehenden Populisten“, und die „Märkte lieben es“, konstatierte etwa das Nachrichtenportal „Qartz“ am 29. Oktober. Auf das südamerikanische Schwellenland konzentrierte Aktienfonds hätten nach dem Wahlsonntag einen starken Kursanstieg mit zum Teil zweistelligen Zugewinnen verzeichnet. Kein Wunder, handelte es sich bei dem „Neoliberalen“ Bolsonaro doch um einen „Kandidaten der Märkte“, wie die Deutsche Bank in einer auf Twitter verbreiteten Einschätzung anlässlich der ersten Wahlrunde am 5. Oktober fasziniert feststellte.
Auch die FDP hat sich für den Kandidaten des Kapitals mächtig ins Zeug gelegt, der schon am 4. Juli einen von stehenden Ovationen begleiteten Auftritt vor dem Unternehmerverband Confederação Nacional da Indústria (CNI) absolvierte. Im CNI sind einige in Brasilien engagierte deutsche Konzerne organisiert; sie tragen den politischen Kurs der Partnerorganisation des BDI kritiklos mit. Es verwundert nicht, dass auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung die Sozialliberale Partei (PSL) Bolsonaros unterstützte. In „Kooperationsmaßnahmen“ wie einem „Fertigkeiten-Training“ und „strategischem Planen mit Blick auf die Wahlen 2018“ solle die PSL gestärkt werden; man wolle zu „ihrer Konsolidierung beitragen“, hieß es auf der Internetseite der liberalen Stiftung – zumindest bis zum 9. Oktober, wie die „Frankfurter Rundschau“ berichtete. Danach seien alle Äußerungen zu Brasilien von der Seite gelöscht worden. An ihre Stelle trat eine knappe Erklärung, die den drohenden Sieg Bolsonaros als einen „Schlag ins Gesicht für alle Demokraten“ bezeichnete.
Das Bild vom liberalen Kandidaten Bolsonaro kann angesichts seiner Rhetorik auch von deutschen Wirtschaftsliberalen beim besten Willen nicht mehr aufrechterhalten werden. Selbst die „Tagesschau“ erklärte am 27. Oktober in einer offiziellen Stellungnahme, dass sie den künftigen Präsidenten Brasiliens als „rechtsextrem“ bezeichnen werde. Wessen Wahlsieg haben also „die Märkte“, Unternehmerverbände und ihr neoliberaler Politanhang da bejubelt?
„Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht verdienst, Schlampe.“ Derartige öffentliche Angriffe, in diesem Fall auf eine Parlamentsabgeordnete während einer Debatte 2003, sind Bolsonaros Markenzeichen. Die Rhetorik des neuen brasilianischen Staatschefs ist eine Mischung aus Propaganda für die Barbarei, nackten Ressentiments und einer ordinär faschistischen Ideologie. Der Kandidat der „Märkte“ ist ein Befürworter der Folter, der seinen politischen Gegnern wiederholt mit Säuberungen drohte. Seine ordinären Ausfälle und Pöbeleien bestehen aus brutalem Sexismus, offenem Rassismus, einer militanten Homophobie und einem christlich-evangelikalen Fundamentalismus, der bis zur Ablehnung des säkularen Charakters des brasilianischen Staates reicht. Bolsonaro ist ein Bewunderer der 1985 überwundenen brasilianischen Militärdiktatur, der bereits mehrfach die Rückkehr zu einem diktatorischen System in Erwägung gezogen hat.
Bolsonaros Hasstiraden, die an Ausfälle des philippinischen Staatschefs und Ex-Mafiosos Rodrigo Duterte erinnern, würden inzwischen Bücher füllen. Die Diktatur sei ein „Regime der Ausnahme“, das er als Präsident „noch am ersten Tag“ durch einen Staatsstreich einführen würde, so der künftige Präsident Brasiliens im Jahr 1999. Im selben Jahr erklärte er, dass er Folter gutheißt, „weil sie funktioniert“. Generell würden Wahlen nichts ändern, so Bolsonaro um die Jahrtausendwende, man müsse schon „an die 30.000“ Gegner in einem „Bürgerkrieg“ töten, um die Gesellschaft zu säubern.
Diesen Mordphantasien ist der designierte Staatschef treu geblieben. Im Wahlkampf kündigte er an, dass die „stolzen Streitkräfte“ Brasiliens an der Zukunft des Landes mitwirken werden, indem „militärische und zivile Polizei“ gegen Mitglieder und Anhänger der Arbeiterpartei Brasiliens vorgehen würden. Es werde eine „Säuberung“ geben, wie „noch nie in der Geschichte Brasiliens“. Die „randständigen Roten“ würden aus „unserem Vaterland“ vertrieben werden. Man werde der „Polizei einen Blankoscheck zum Töten“ ausstellen, so der ehemalige Kooperationspartner der Friedrich-Naumann-Stiftung im Wahlkampf.
Berüchtigt sind die vielen sexistischen und frauenfeindlichen Bemerkungen Bolsonaros, in denen er Andeutungen über Affären, Bordellbesuche und Vergewaltigungen machte. Der künftige Staatschef erklärte 2016 überdies rundweg, dass er Frauen „niemals das gleiche Gehalt wie Männern“ zahlen würde. Afrobrasilianer seien zu nichts zu gebrauchen, sie taugten „nicht einmal zur Fortpflanzung“, so Bolsonaro 2017 nach dem Besuch einer Armensiedlung. Seine Söhne seien im übrigen „zu gut erzogen“, um sich mit einer schwarzen Frau einzulassen, bemerkte er bei einem Fernsehinterview lapidar. Homosexuelle sollen unter seiner Regentschaft „keine Ruhe“ finden, da sie unter anderem die „Grundstückspreise in ihrer Nachbarschaft“ ruinierten. Wären seine Söhne homosexuell, würde er sie lieber tot sehen, sagte der künftige Präsident des größten lateinamerikanischen Landes.
Bereits der Wahlkampf hat gezeigt, dass das kein leeres Gerede ist. In Antizipation seines Wahlsiegs gingen sowohl die faschistische Anhängerschaft Bolsonaros als auch Teile des Staatsapparats zu Übergriffen auf und eine verstärkte Repression gegen linke Strukturen und die Anhänger der Arbeiterpartei über. Kurz vor dem Urnengang drangen Polizeikräfte in mehr als 20 Universitäten im Land ein, um Materialien über die Geschichte des Faschismus zu beschlagnahmen, entsprechende Vorlesungen wegen „ideologischen Inhalts“ zu unterbrechen und antifaschistische Plakate und Transparente zu beschlagnahmen, da es sich bei ihnen um „Wahlkampfpropaganda“ handele. Zugleich mehrten sich die gewaltsamen Übergriffe – mitunter verübt von Polizisten – auf Gegner Bolsonaros. Hunderte von Fällen wurden in der heißen Wahlkampfphase gemeldet, bei denen mehrere Linke getötet wurden. Der hysterische Antikommunismus mischte sich nicht selten mit Rassismus. Immer wieder wurden vor allem schwarze Anhänger der Arbeiterpartei, die als „schwarze Affen“ beschimpft wurden, zum Ziel der Angriffe. Einer Frau, die die Regenbogenfahne der LGBT-Bewegung trug, wurde von Anhängern des künftigen Präsidenten ein Hakenkreuz in die Haut geritzt.
Wie ausgerechnet Bolsonaro zu einem „Kandidaten der Märkte“ wurde, macht ein Zitat des ehemaligen Fallschirmjägers und Hauptmanns der Reserve vom Oktober 2017 klar: „Das große Problem in Brasilien ist, dass die Regierung an der Gurgel der Unternehmen ist. … Die Arbeiter müssen sich entscheiden: weniger Rechte und Arbeit oder alle Rechte und Arbeitslosigkeit.“ Auch diejenigen Vertreter deutscher Konzerne, die Bolsonaro während einer Rede vor dem brasilianischen Unternehmerverband mit stehenden Ovationen bedachten, scheinen den Zeiten nachzutrauern, in denen in Lateinamerika Unruhestifter und Gewerkschafter noch auf dem Betriebsgelände von VW oder Mercedes Benz von Militärs und Werkschutz verhaftet und gefoltert wurden.
Bolsonaro verbindet Faschismus und neoliberale Politik, womit er in der Tradition Augusto Pinochets steht, dessen faschistisches Regime Chile ab 1973 zu einem Experimentierfeld des Neoliberalismus machte. Diese Traditionslinie des lateinamerikanischen Faschismus verkörpert gerade Bolsonaros designierter Superminister für Wirtschaft, Finanzen und Privatisierung, Paulo Guedes, der etwa im deutschen „Manager-Magazin“ eine durchaus wohlwollende Beurteilung („Vorbild Pinochet“) erhielt – und der als neoliberaler „Chicago Boy“ während der chilenischen Diktatur an der Universität Santiago lehrte. Der neoliberale Guedes, der den brasilianischen Unternehmern die „Entschuldigung“ lieferte, Bolsonaro zu wählen („Manager Magazin“), solle dafür sorgen, dass der „pöbelnde und eifernde Bolsonaro“ bei seinen Säuberungen „die Reichen verschont“. Der künftige Superminister, der eine Flat-Tax von 15 Prozent einführen, die Staatsausgaben zusammenstreichen und einen Großteil des brasilianischen Staatssektors privatisieren will, wurde dem Ex-Militär erst im November 2017 zur Seite gestellt. Dieser Schachzug sorgte dafür, dass schon im ersten Wahlgang die „Stimmen der rechten Mitte praktisch komplett zu Bolsonaro überliefen“.
Die Neoliberalen in der künftigen Regierung Bolsonaro könnten aber mit einer weiteren wichtigen Unterstützergruppe des künftigen Präsidenten in Konflikt geraten: den rechten Kreisen im brasilianischen Militär, die ein autoritäres, faschistisches Regime mit einer staatlich dominierten Wirtschaft kombinieren wollen – gelenkt von einer Staatsoligarchie nach russischem Vorbild. Im Wahlkampf hat Bolsonaro wiederholt betont, Spitzenposten in der künftigen Regierung an Militärs vergeben zu wollen, mit denen er sich gerne öffentlich zeigte.
Die brasilianischen Großgrundbesitzer und die einflussreiche Agrarlobby konnte der künftige Präsident hingegen mit dem Versprechen auf den klimapolitischen Selbstmord, auf die Abholzung des brasilianischen Regenwalds, gewinnen, der der größte CO2-Speicher der Welt ist. Das Verschwinden des Regenwalds im Amazonas gilt als einer der „Kipp-Punkte“ des Weltklimasystems – eine unkontrollierbare, zivilisationszerstörende Klimakatastrophe könnte dadurch ausgelöst werden. Zudem denkt Bolsonaro darüber nach, Donald Trump, der Bolsonaro als einer der ersten Staatschefs persönlich zum Wahlsieg gratulierte, zu folgen und aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen.
Kapital, Militär, Großgrundbesitz – fehlt nur noch die Kirche, um das leibhaftige Klischee eines Faschisten zu komplettieren, das einer plumpen linken Karikatur entsprungen sein könnte. Die katholische Kirche in Brasilien gilt noch immer als eine Bastion der Befreiungstheologie. Längst hat jedoch ein finanziell massiv geförderter US-Import rasanten Zulauf in dem lateinamerikanischen Land: die erzreaktionären evangelikalen Kirchen, die den Hass Bolsonaros auf sexuelle Minderheiten, den laizistischen Staat und die brasilianische Linke teilen. Inzwischen bekennen sich rund 25 Prozent der Bürger/innen Brasiliens zu den straff organisierten Sekten der „Pfingstbewegung“, die 100 der rund 500 Abgeordneten im brasilianischen Parlament stellt. Diese evangelikale Front würde „systematisch mit konservativsten Abgeordneten“ abstimmen, mit „Leuten aus dem Agrobusiness etwa oder der Waffenindustrie“, erklärte ein linker Abgeordneter des brasilianischen Parlaments gegenüber dem Deutschlandfunk.
Mittels eines Firmenkonglomerats um „Record TV“, den zweitgrößten Fernsehsender Brasiliens, sowie weitverzweigte soziale Netze, die vor allem in die Favelas hineinreichen, konnten die Evangelikalen auch viele Arme für Bolsonaro gewinnen. Laut der US-Zeitschrift „Forbes“ zählt der Gründer der „Universal-Kirche des Reiches Gottes“, Edir Macedo, mit einem Vermögen von einer Milliarde US-Dollar zu den reichsten Evangelikalen der Welt. Der gut finanzierte Religionskonzern Macedos verteilt schon mal Lebensmittel in Armensiedlungen oder hilft in Not geratenen Sektenmitgliedern bei der Jobsuche. Neben den Einkünften aus dem Fernsehgeschäft, aus Verlagen, Zeitungen, Radiosendern, Reiseagenturen, Banken und Immobilien ist es der Zehnte, den alle Sektenmitglieder an Macedo abführen müssen, der der „Universal-Kirche des Reiches Gottes“ den finanziellen Spielraum verschafft, enormen politischen Einfluss zu gewinnen.
Die schwere Wirtschaftskrise, unter der Brasilien seit Jahren leidet, ist aber der mit Abstand wichtigste Faktor, der zum Erfolg des Faschisten Bolsonaro beitrug. Nachdem die USA, Europa, China und Japan in Reaktion auf das Platzen der Immobilienblase 2008/09 das spätkapitalistische Weltsystem mit billigem Geld überschwemmten, um im Rahmen einer expansiven Geldpolitik eine Kernschmelze des Weltfinanzsystems zu verhindern, wurden in vielen Schwellenländern wie Brasilien oder die Türkei Defizitkonjunkturen entfacht. Anlagesuchendes Kapital, das in den Zentren mit einer extremen Niedrigzinspolitik konfrontiert war, strömte in die Semiperipherie, wo aufgrund höherer Renditen kurzfristige schuldenfinanzierte Wirtschaftsbooms entstanden. Nach der Zinswende in den USA fließt das Kapital nun wieder zurück in die Zentren – was in der Semiperipherie zu einer Verschärfung der Wirtschafts- und Schuldenkrisen führt, wie eben in der Türkei oder in Brasilien. Die konjunkturell positiven Effekte der Verschuldung brechen weg, während die Schuldenlast aufgrund der steigenden Zinsen kaum noch tragbar ist.
Die faschistische Rechte hat es in Brasilien verstanden, die sozialdemokratischen Regierungen der Arbeiterpartei für diesen Krisenverlauf verantwortlich zu machen. Die ausufernde Korruption in Brasilien, die ein Wesensmerkmal der gesamten politischen Klasse ist – auch gegen Bolsonaros „Superminister“ Guedes laufen Ermittlungen -, wurde von der rechten Propaganda erfolgreich einseitig der Arbeiterpartei unter Lula da Silva und Dilma Rousseff zugeschrieben. Der US-Streamingdienst Netflix hat dieses rechte Narrativ sogar in einer eigens für den Wahlkampf produzierten Fernsehserie popularisiert (Serienstart war im März 2018), die sich mit dem sogenannten „Autowaschanlagenskandal“ befasste. Die Zeitung „Folha de S. Paulo“ berichtete damals, dass viele Linke ihre Netflix-Abonnements gekündigt hätten, da der Streamingdienst de facto rechte Propaganda im Vorwahlkampf betrieb.
Den Skandal, bei dem Gelder an Manager des Staatskonzerns Petrobras geflossen sein sollen, nutzte die im Staatsapparat dominante Rechte zu einem kalten Verfassungsputsch gegen Rousseff (Amtsenthebung wegen üblicher Buchhaltungstricks bei der Berechnung des Staatsdefizits), der die Präsidentin und die Arbeiterpartei entmachtete, Lula da Silva mittels fabrizierter Beweise ins Gefängnis brachte und dem Faschisten Bolsonaro den Weg ebnete. Schon im Januar 2018 bemerkte die „New York Times“ in einem Kommentar, dass Brasiliens bürgerliche Demokratie „in den Abgrund gestoßen“ werde, nachdem mit Lula da Silva der „beliebteste Politiker des Landes“ unter fadenscheinigen Gründen von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen wurde. Der Bundesrichter Sérgio Moro, der diese politische Farce gegen da Silva maßgeblich vorantrieb, wurde von Bolsonaro Anfang November zum Justizminister auserkoren.
Die repressiven Maßnahmen Bolsonaros dienen nicht allein zur Ablenkung der Wut der Bevölkerung von den Funktionseliten in Staat und Wirtschaft, die eine klassische neoliberale Schocktherapie vorbereiten. Sie laufen de facto auf eine offene Kriegserklärung gegen das Heer der ökonomisch Überflüssigen in Brasilien hinaus, die im Rahmen des „Kampfes gegen Kriminalität und Korruption“ zum Abschuss freigegeben werden sollen.
Tomasz Konicz schrieb in konkret 11/18 über Großbritanniens Austritt aus der EU