Seit Tagen wird man in sämtlichen Medien mit den Finanzproblemen der verbliebenen Weltmacht Nr. 1 belästigt. Jetzt hat sich endlich mal eine Ratingagentur vorgewagt und das Rating für die Bonität der USA von AAA auf AA+ gesetzt, also von voll total gut auf nur noch total gut. Und schon kriegt man fast Angst, dass die in Washington jetzt Bomber und Flugzeugträger losschicken, um Standard & Poor’s platt zu machen. „Amerikaner erwarten, immer die Nummer Eins zu sein. Die Herabstufung ist eine Beleidigung und wird das Land demütigen“, reagierte beispielsweise der republikanische Politiker Ron Bonjean auf diese Ungeheuerlichkeit.
Klar, blöd ist das schon, weil es nur für die Topbewertung auf dem Kapitalmarkt auch Topzinsen, also besonders billige Kredite gibt. Aber damit haben ja auch andere zu kämpfen. Das ist nun mal die Logik der Finanzmärkte: Diejenigen, die eh schon schlechter dran sind, müssen mehr bezahlten. Deshalb sieht es auch in Europa nicht gut aus, auf den europäischen Finanzmärkten herrscht weiterhin Krisenstimmung, an den Börsen Panik. Die Aktienkurse rauschen abwärts wie auf einer Rodelbahn und die Anleger sind schockiert. Na und?
Da machen ein paar Spekulanten jetzt richtig Reibach und andere Anleger verlieren – aber das Börsengeschehen ist ja ohnehin die Voodoo-Abteilung der Wirtschaft. Zwar wird uns jeder Nachrichtensendung reingedrückt, dass wir uns dafür interessieren sollten, wenn dann der zugeschaltete Wirtschaftskollege das Stimmungsbild zum DAX-Verlauf liefert, aber die meisten Menschen in diesem Land versuchen erst gar nicht, mit Aktien reich zu werden. Klappt ja auch meistens nicht. Ist also wirklich nur etwas für Leute die einfach zu viel Geld haben. Und die Regierungen haben in den vergangenen Jahren extrem erfolgreich dafür gesorgt, dass es davon nicht zu viele gibt. Und wenn es Werbung für die T-Aktie war, die Volks-Aktie, genauer die Volks-Ver-Tummungsaktie. Altersversorgung per Aktienpaket, nicht per staatlicher Rente, na klar. Blöd, wers geglaubt hat. Aber was solls, damit die heutigen Rentner noch CDU wählen, gibt es morgen halt keine Rente mehr. Also jedenfalls keine Rente, von der ein durchschnittlicher Arbeitnehmer leben könnte. Die USA machen das gerade vor. Natürlich bedient man sich wieder bei denen, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen. Wer soll den Reichtum auch sonst schaffen.
Mit der Dummheit anderer reich werden
Gut, manchmal funktioniert das mit Reichwerden durch Aktien schon – aber in der Regel nur, weil auch viele andere mit Aktien reich werden wollen. Meistens ist es ein virtueller Reichtum, von dem dann wiederum wenige real profitieren. In den 90er Jahren beispielsweise musste man nur eine Firma gründen, die irgendetwas mit Internet oder Telekommunikation zu hatte und schon wurde man von einem Investor mit Risikokapital überschüttet und auch Kleinanleger wollten von den dann rasant steigenden Börsenkursen profitieren, die deshalb noch rasanter stiegen. Dafür wurde eigens eine neue Voodoo-Abteilung aufgemacht, die sich „neuer Markt“ nannte. Dort tummelten sich Firmen, die irgendwas mit „Tec“ oder „Com“ hießen.
Das ging aber nicht lange gut: Anfang 2000 mussten dann erste New-Economy-Firmen Insolvenz anmelden, weil die hochfliegenden Erwartungen nicht automatisch in funktionierende Geschäftsmodelle umzusetzen waren. Im Gegenteil war noch gar nicht abzusehen, wie man mit dem Internet tatsächlich Geld verdienen konnte. Woran viele, derzeit hoch bewertete, Unternehmen noch weiterhin knabbern. Denn die Internet-Nutzer sind ein geiziges Pack, das beispielsweise Musik und Filme lieber kostenlos runterladen will, als sie zu kaufen.
Im Laufe des Jahres 2000 stellte sich dann heraus, dass die auch die seriösen Telekommunikations-Unternehmen in Champagnerlaune unglaublich viel Geld für UMTS-Lizenzen ausgegeben hatten, eine neue Mobilfunktechnologie, die noch längst nicht ausgereift war und noch viele Milliarden kosten würde, bis funktionierende Netze verfügbar waren und spezielle Endgeräte dafür auf den Markt kommen konnten. Aber wo sollten die Milliarden her kommen? Das konnten nur Firmen stemmen, in denen tatsächlich Geld verdient wurde. Die Dotcom-Blase platzte, viele Kleinanleger verloren ein Vermögen und kurz zuvor noch heftig umworbene IT-Experten ihren Job. Denn auch bei der New Economy standen erstmal die Mitarbeiter auf der Straße, nicht die Chefs. Die schrieben einfach mal einen neuen Businessplan.
Die neuen Seuchen des Internet-Zeitalters
Sogar ein Profi wie Rupert Murdoch setzte ein paar hundert Millionen Dollar in den Sand, in dem er 2005 das soziale Netzwerk MySpace für knapp 600 Millionen Dollar kaufte. Kurz danach liefen die Nutzer in Scharen davon. Ein Harvard-Student namens Marc Zuckerberg hatte eine Seuche namens Facebook ins Internet gebracht. Vor ein paar Wochen hat Murdoch MySpace verkauft – angeblich für ganze 30 Millionen Dollar. Gut, daran geht ein Murdoch nicht zugrunde, was eigentlich schade ist. War aber auch nur als Illustration für den Wert eines Internetunternehmens gedacht, der eben in erster Linie virtuell ist. Oder diese Zwitscherplattform da, Twitter. Vor ein paar Tagen haben die wieder ein paar hundert Millionen Dollar eingesammelt, das Ding soll mehrere Milliarden Dollar wert sein, obwohl es seit Jahren kein tragfähiges Geschäftsmodell gibt – nur halt unglaublich viele Leute, die twittern. Nun ja, man wird sehen.
Ich erinnere mich noch an eine weitere Seuche, die vor ein paar Jahren grassierte, Second Life bzw SL. Das war eine virtuelle Parallelwelt, in der man halt ein zweites Leben haben konnte, nur dass man da sich sein Aussehen selbst aussuchen konnte und ansonsten genau das tun, was man im echten Leben auch tat. Kein Wunder, dass nun kaum jemand mehr davon redet: Wozu braucht man noch ein zweites Leben, wenn das echte schon keinen Spaß macht? Offenbar haben inzwischen auch andere gemerkt, dass SL noch überflüssiger ist als jede Debatte über Parallelgesellschaften in realen Leben. Oder als Börsennachrichten in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Da könnten die doch genauso gut das Tageshoroskop für sämtliche Tierkreiszeichen vorlesen, das hat ungefähr die gleiche Relevanz.