Lieber Papa,
Dieser Brief ist für dich, denn heute würdest du deinen 85. Geburtstag feiern.
Ich stelle mir vor, wie wir alle zusammen am Kaffeetisch sitzen und deinen Ehrentag feiern. Wie du wohl wärest? Fit, kränklich, lebenslustig oder des Lebens müde? Von meiner Sicht her warst du immer alt und doch nie ein alter Mann. Immer groß und stark. Aber das tut sowieso nichts zur Sache. Jetzt nicht mehr.
Wir vermissen dich alle sehr, auch wenn das Leben weitergeht. Wir haben uns arrangiert und führen ein Leben – ein gutes Leben. Aber dein Platz wird immer frei bleiben. Du bist durch nichts zu ersetzen.
Papa, Du weißt ja, Ich glaube nicht an Gott und an den Himmel und das deine Seele bei irgendeiner oberen Instanz auf uns wartet. Du glaubst auch nicht daran, das weiß ich genau. Ich glaube aber an die Seele und das sie irgendwo hin muss, wenn Herz und Hirn versagen. Und deine Seele war schon bei uns, als dein Herz stehenblieb. Das haben wir alle gespürt.
Ich würde dir gerne erzählen, was so los ist bei mir. Welche Sorgen ich habe und über was ich mich freue. Aber vielleicht weißt du das ja sowieso. Manchmal glaube ich, du bist dabei. Sitzt neben mir oder schaust mir über die Schulter. Hälst helfend deine Hand hin, wenn deine Enkelin ein wenig wackelig läuft oder viel zu hoch klettert.
Und jeden Abend zur Schlafenszeit singe ich meiner Tochter das „LaLeLu“ vor, so wie du es immer getan hast. Nur meine Stimme ist dabei manchmal zittrig; weil ich müde bin oder nicht mehr kann. Dann stelle ich mir vor, wie wir es gemeinsam singen – mit klarer Stimme.
85 Jahre – was wäre das für ein Fest gewesen?! Doch anstatt die Blumen am gedeckten Kaffeetisch in eine Vase zu stellen, werden wir sie auf dein Grab legen müssen.
Lieber Papa, wir werden heute auf dich trinken und dich mit Worten und Erinnerungen wieder lebendig machen. Und vielleicht sitzt du ja bei uns und wir feiern diesen Totentanz gemeinsam. Die Lebenden und die Toten,
deine Tochter
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