Liebe wie in ein Stein gemeisselt

Von Diekeule

Ich war mal wieder sehr früh in einer fremden Stadt unterwegs. Die Straßen waren gespenstig leer, die Straßenlaternen warfen schwaches Licht auf den heißen Beton und unzählige, wilde Eichhörnchen liefen mir wie jeden Morgen vor den Wagen als hätten sie kein Bock mehr auf das schwere Leben einer wilden Kreatur, die sich in der Großstadt verirrte. Die Großstadt schien noch noch fest in der Umarmung des Morpheus gewesen zu sein…bis auf die Bäckereien! In den niedlich eingerichteten Läden herrschte bereits intensiver Betrieb. Wann stehen die armen Verkäuferinnen eigentlich auf? Oder schlafen sie direkt hinter dem Ofen und werden vom Bäckermeister mit einem Eimer kalten Wasser geweckt? Wie auch immer. Ich beschloss eins von den hell erleuchteten Lokalen zu betreten um mich von dem Angebot am bunten und zauberhaft duftenden Teilchen zu begeistern. Zwei Puddingplunder, ein Obstplunder mit einer riesigen Mandarine (oder keine Ahnung was das war, sah aus wie Eigelb), zwei Schokoladenbrötchen, Kaffee… ein geiler Anfang eines neuen Tages. Während ich unelegant meinen Teller räumte, beobachtete ich den Kundenverkehr. Möbelpacker, Trockenbauer, Kuriere, eine Frau im Schlabberklamotten und platt getretten Clogs in ekelhaften Signalfarben, die mit ihrer WackeUp-Friseur für Unmut sorgte…eine bunte Mischung aus Menschen und Schicksalen. Zwischen den ganzen Charakteren, die den Laden betraten um es dann auch blitzartig zu verlassen fiel mir allerdings etwas auf, das mich zum längeren Nachdenken animierte. In der hintersten Ecke des Ladens saß ein Ehepaar. Er geschätzte 130 Jahre alt, sie deutlich jünger. Ihr Alter würde ich, dem Aussehen nach zu urteilen, auf 110 Jahre schätzen. Zwei kleine, dampfende Tassen, zwei Teller mit belegten Brötchen und….genau! Ich bin kein gefühlvoller Mensch aber es hat mich beinah vom wackeligen Stuhl auf den blitzblanken Boden gehauen! Sie saßen händchenhaltend an dem Tisch! Trotzt des hohen Alters schien die Liebe dieser beiden Menschen nichts von dem früheren Glanz verloren zu haben. Wie oft in solchen Momenten der tiefen Nachdenklichkeit, fing meine Fantasie an eine Geschichte herauszukristallisieren. Wie kann eine solch feste Liebe beginnen? Ich würde sagen, sie lernten sich im ersten Weltkrieg kennen. Er war Soldat, sie eine Krankenschwester im kalten und dunklen Lazarett irgendwo an der Front. Er konnte vom Glück reden weil die Granate zwar zwei seiner Kumpanen ins Jenseits beförderte doch bei ihm lediglich drei Finger und einen winzigen Teil vom linken Ohr abriss. Sie begeisterte sich für seinen Humor und seine Stärke, denn die Operation an seiner Hand wurde ohne Narkose durchgeführt. Dabei hat er nicht mal gezuckt. Lediglich eine Flasche selbst gebrannten Pflaumenschnaps diente als Betäubung doch Schmerzen hätte er auch ohne Alkohol keine gespürt, denn sie war ja bei ihm und gab ihm Kraft! Kurz vor dem Ende des Krieges trennten sich ihre Wege für lange Monate als er in die Gefangenschaft geriet. Doch die Sehnsucht nach ihr trieb ihn dazu ohne Rücksicht auf Risiko zu entkommen. Drei Monate zu Fuß in Frauenkleidern durch feindliches Gebiet unterwegs (nur kurzzeitig mit dem geklauten Postfahrrad) dann schlossen sie sich endlich kurz vor dem Waffenstillstand in die Arme und lebten seit dem unzertrennlich. Und niemand hätte über diese Liebe je erfahren wenn sie sich nicht in diese Bäckerei ans Tisch gesetzt und meine Aufmerksamkeit erweckt hätten! Jetzt mal im Ernst Leute! Hut ab von den älteren Menschen, die nach so vielen gemeinsamen Jahren immer noch soviel Liebe zueinander empfinden und sie so demonstrativ genießen! Sie sind füreinander da, haben sich immer noch Vieles zu erzählen und genießen sichtlich jede gemeinsame Minute! Bis der Tod sie scheidet….und ich hoffe, sie werden noch paar Jahre glücklich zusammen bleiben bis ihr Märchen ein würdiges Ende findet.