Achim Freyer, Salvatore Sciarrino und Emilio Pomàrico sind für den Erfolg der ersten Operninszenierung der Wiener Festwochen 2015 verantwortlich.
Ein 10minütiger Prolog vor dem Prolog. Achim Freyer scheut sich nicht, die von Salvatore Sciarrino komponierte Oper „Luci mie traditrici / Die tödliche Blume“ um einen Einschub vor dessen Prolog zu erweitern. Er tut dies auch im Titel mit dem vorangestellten Zusatz „Tag aus Nacht ein“, der gleich in mehrfacher Weise interpretiert werden kann. Nicht nur, dass bei Freyers Prolog längstens alle 15 Sekunden das Licht aus und kurz darauf wieder angeht. Das blutige Ende von Sciarrinos Werk markiert tatsächlich eine letztlich nie mehr endende Nacht für die Gräfin und ihren Liebhaber.
Die Wiener Festwochen eröffneten ihr Programm mit dieser zeitgenössischen Oper, die 1998 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde, und verpflichtete dafür Achim Freyer, dessen einprägsame Bildsprache in Wien durch viele Burgtheateraufführungen bekannt ist.
Freyer präsentiert zu Beginn in einer Art Schnelldurchlauf das Geschehen, wohl nicht zuletzt, um einige Schauspielerinnen und Schauspieler des Freyer-Ensembles hier mit Rollen zu bedenken. Denn so bilderstark dieses Vorspiel auch ist, notwendig ist es nicht. Nicht, weil die Idee an und für sich nicht funktioniert, sondern vielmehr, weil der Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion den gewagten und schwindelerregenden Kulissen, die danach folgen, eine Commedia dell´arte-Einführung voranstellt, die gegen das, was danach kommt, richtig zwergenhaft erscheint. Eine puppenhafte Zusammenfassung der Geschichte über Liebesschwüre, einen Treuebruch, einen Verrat und den anschließenden Doppelmord von Frau und Geliebtem. Auf einer schiefen Ebene kullern am Ende von Freyers Einschub schwarze Luftballone zu Boden.
La Malaspina droht abzustürzen
Anna Radziejewska als „La Malaspina“ beherrscht knappe 2 Stunden lang das Geschehen beinahe regungslos in luftiger Höhe. In rotem Tüll, mit überdimensionierten, nackten Brüsten behängt, fungiert sie anfänglich als Sinnbild von Wollust, Eros und weiblicher Verführungskunst. Im Laufe des Geschehens verliert sie das Rot und mutiert mit ihrer fahlen Hautfärbung zu einer gerade noch lebenden Leiche.
Anna Radziejewska als „La Malaspina“ (Foto: Monika Rittershaus)
Ihre Duette mit Otto Katzameier, der ihren Gatten singt, sind berückend schön, die beiden Stimmen fein aufeinander abgestimmt. Obwohl der Terminus Duett irreführend ist, denn Radziejewska und Katzameier singen in keinem Augenblick gemeinsam, sondern ausschließlich hintereinander.
Sciarrino schuf mit einem eingeschränkten Tonumfang und häufigen, nur geringfügig sich verändernden Wiederholungspassagen, über lange Strecken hinweg sehr einfühlsame, beinahe ätherische Klanggebilde, welche die seelischen Zustände von Graf und Gräfin wiedergeben. Die nicht enden wollenden Liebesschwüre kommen geflüstert, ja beschwörend und wiederholen sich zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem der Treuebruch vollzogen wurde, noch einmal. Dann jedoch mit einer Art magischen Beschwörung, in der, ohne dass davon gesprochen wird, der Ehebruch in jeder Sekunde mitschwingt.
Es gibt nur zwei Stellen, an denen Katzameier seine Stimme erheben muss. Das erste Mal, wenn er vom Ehebruch durch den Diener (Simon Jaunin) erfährt. Hörbar betroffen klagt der betrogene Ehemann, dass es besser gewesen wäre, wenn er nichts davon erfahren hätte. Und ein zweites Mal, bevor er zur blutigen Tat schreitet. Hier verdichtet sich die sonst so sphärische und karge Musik zusehends.
Mit zwei rein instrumentalen Zwischenspielen, die bei Szenenwechseln eingesetzt werden, zeigt der Komponist, dass er nicht nur ein Meister der Minimalisierung ist. Hier werden auch Rückgriffe auf historische Vorbilder hörbar, die in jener Zeit angesiedelt sind, die für Sciarrino Ausgangspunkt des Geschehens war. Der Komponist Don Carlo Gesualdo ließ im 17. Jahrhundert seine Frau und ihren Freund ermorden. Anlass genug für Sciarrino, eine eigene Oper daraus zu komponieren. Sowohl das Libretto, als auch die Musik stammen von dem 1947 geborenen Italiener.
Kunstvoll, wie er dabei mit wenigen Worten große Zusammenhänge anklingen lässt. So zum Beispiel in der ersten Szene in welcher der Herzog ohnmächtig wird, weil sich seine Frau an einer Rosendorne gestochen hat, und er den Anblick ihres Blutstropfens nicht erträgt. Schon hier eröffnet sich jene Diskrepanz, die später Liebe und Gewalt nahtlos ineinander übergehen lässt.
Kunstvoll auch der Hinweis und die Aufforderung des Herzogs, neben Myrthenzweigen auch Zypressen in die Stickerei einzuarbeiten, mit der sich die Herzogin beschäftigt. Symbole der Liebe und des Todes, die sich in einem Kissen vereinen, das seine Frau für ihn von eigener Hand fertigt. Simon Jaunin hängt als verräterischer und eifersüchtiger Diener kopfüber hoch über dem Geschehen in weißem Harlekingewand. Sein blutrotes Pendant, Kai Wessel, taucht an der oberen der zwei schwebenden Ebenen immer nur am Rande auf. Er ist es, der die Herzogin verführen wird.
Die Distanz der Figuren ist hör- und sichtbar zugleich
Dennoch gibt es im gesamten Ablauf des Stückes keinen sichtbaren Körperkontakt. Ein Umstand, den auch Sciarrinos Musik durch eine gewisse Spröde und Distanz, die darin zu erkennen ist, wiederspiegelt. Der durch Balken gekennzeichnete Boden, auf dem sich der Herzog unsicher bewegt, vermittelt jene permanente Gefährdung, welche von dieser Liebesbeziehung ausgeht. Ein falscher Schritt und der Fall ins Bodenlose ist die Konsequenz. Mit dem Einsatz von Computer- und Videoeinspielung erweitert Freyer sein mediales Bühnenbildrepertoire. So fliegen zu Beginn Schmetterlinge quer über sie Szenerie im Garten. An jener Stelle, an der sich das Geschehen unheilsam verdichtet, sind es Schmeißfliegen.
Luci mie traditrici / Die tödliche Blume – (Foto: Monika Rittershaus)
Das Klangforum Wien unter der Leitung von Emilio Pomàrico liefert mit seiner Leistung einen abermaligen Beweis seiner unangefochtenen Klasse ab. Die instrumentale Begleitung der Stimmen erklingt beinahe durchscheinend, wenngleich auch glasklar, in keinem Moment aber überfrachtend. Der Dirigent trägt zu Beginn eine Maske seines eigenen Gesichtes auf seinem Hinterhaupt, sodass er während seiner Arbeit, obwohl vom Publikum abgewandt, beständig zu diesem lacht. Freyer verwendet für alle Figuren auf der Bühne Masken oder zumindest eine maskenhafte Schminke. Dadurch entstehen archteypische Charaktere, die weit über das Geschehen einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort hinweisen. Die komprimierte Geschichte in ihrer eindringlichen Visualisierung ergibt mit der Musik von Sciarrino eine poetische Einheit, in der sich die Handschrift aller beteiligten Kreativen sicht- und hörbar niederschlägt.
Eine wunderbare Eröffnung der Festwochen, die Lust auf mehr macht.
Links: Wiener Festwochen