Uta Griechen, Jahrgang 1951, war bis zu ihrer Berentung Chemielaborantin an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität. Nebenher beschäftigt(e) sie sich intensiv mit philosophischen Fragen, also auch mit Weltanschauungen und Religionen. Ihre kritischen Standpunkte konnte und kann man regelmäßig in ihren Leserbriefen an die Thüringische Landeszeitung zur Kenntnis nehmen. Und so war es kein Wunder, daß diese geistig rege Frau, gemeinsam mit ihrem Mann, zu den Mitbegründern des Humanistischen Verbandes (HVD) und der Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) in Thüringen gehörte.
Uta Griechen liest viel, sowohl religionskritische als auch unzählige pro-christliche Schriften, um sich aus dem pro und contra ein noch besser fundiertes eigenes Bild machen zu können. Und so stieß sie auch auf ein Büchlein eines katholischen Religionslehrers aus Bayern. Dessen Aussagen hatten sie so sehr provoziert, daß sie unbedingt den Autor kontaktieren und mit ihm über dessen Werk diskutieren wollte.
Gleich im Vorwort geht Uta Griechen auf eine klerikale Aussage ein, daß der Atheismus auch nur eine Art Religion sei. In der ihr eigenen, humorvollen, Art kontert sie: »Das ist natürlich Blödsinn, denn dann könnte man zum Beispiel ›Nichtbriefmarkensammeln‹ auch als Hobby bezeichnen.«(S. 13/14)
Und zu ihrem Anliegen schreibt sie weiter: »Unser Dialog verdeutlicht, daß ›nichtreligiöse‹ Menschen ebenso wie Gläubige das Bedürfnis verspüren können, ihre Weltsicht zu erklären und mit Begeisterung dafür zu streiten. In der Realität sind es ja meist die Gottesfürchtigen, welche die Auffassung vertreten, ihre allein seligmachende absolute Wahrheit missionarisch verbreiten zu müssen.« Etwas später wird Uta Griechen sehr deutlich mit dieser Formulierung: «…es ist ein Denkfehler, der Intoleranz von Religionen mit Toleranz begegnen zu wollen.« (S. 15)
Sie spricht damit nicht zuletzt den (Irr-)»Glauben« vieler Menschen, bis hin zu führenden Politikern z.B. der Thüringer LINKEN, an: daß sie glauben, »daß die Kirche doch so viel Gutes tut und Fürsprecher der Armen und Schwachen ist« und daß diese Menschen daher den kirchlichen Machtapparat unkritisch (und teilweise sogar untertänigst; SRK) akzeptierten. (S. 15)
Auf den Inhalt der mehrjährigen Korrespondenz soll nicht groß eingegangen werden. Aber ein Beispiel soll Uta Griechens Argumentationsweise zum Ausdruck bringen. „Schneider« hatte sich wortreich über Wunder ausgelassen, die seiner unumstößlichen Meinung nach die Existenz (eines, seines, des einzigen; SRK ) Gottes beweisen würden.
Sie schreibt: »Den Zirkelschluß produzieren eigentlich nur Sie selbst: ›Gott vollbringt Wunder, und weil es Übernatürliches gibt, muß auch ein Schöpfer existieren.‹ Anders ausgedrückt: Gott schuf die Naturgesetze, um durch deren Außerkraftsetzen (Wunder) seine Existenz zu beweisen. Es ist allerdings unsinnig, Gott mit Gott beweisen zu wollen. (…) Humorvoll betrachtet haben Sie natürlich recht, denn Glauben ist immer einfacher (einfältiger) als Wissen und auch nicht auf Argumente angewiesen (selig sind die, die glauben, ohne zu sehen!).« (S. 46)
Und hier ein Beispiel für „Schneiders« schlimme Demagogie: „Was erwarten Sie eigentlich von einer entchristlichten Gesellschaft? Blühende Landschaften fröhlicher, aufgeklärter Menschen? Nichts könnte naiver sein. Wenn es in Deutschland keine Christen mehr gäbe, wären die meisten Menschen Esoteriker oder Muslime. Wäre Ihnen das lieber?« (S. 61)
Also sind, extrem zugespitzt, die Milliarden von Menschen, die nicht dem Christentum anhängen (z.B. Chinesen, Japaner, Hindus, Buddhisten, Naturreliöse, Ahnenkultler etc.) lt. Schneider keine vollgültigen Menschen. Schließlich gibt es auf unserer Erde nicht nur das Land Deutschland mit nur etwa ein Prozent der Erdenmenschen als Bewohnern…
Uta Griechen kontert »Schneiders« Attacke ganz sachlich und vor allem aus einer universalen Welt-Sicht heraus: »Von einer freien, aufgeklärten Menschheit ohne Religionen (es geht nicht nur um das Christentum, sondern um jede Art von Aberglauben) erwarte ich zumindest, daß die von diesen ausgehenden blutigen Kämpfe aufhören könnten.« (S. 65)
Irgendwann endet die Korrespondenz abrupt, weil der versuchte Dialog doch nur ein doppelter Monolog bleibt. Nicht, daß man aneinander vorbeiredet, nein, weil es für »Schneider« nur eine, und zwar seine absolute, Wahrheit gibt. Er will unbedingt wissen, warum Uta Griechen sich nicht bekehren lassen will und dergleichen mehr. Ihre präzisen Antworten akzeptiert er nicht. Und zugleich weicht er bis zuletzt ihrer wohl wichtigsten Frage aus, welches »Erweckungs-« oder »Offenbarungserlebnis« er denn gehabt habe, das ihn zum (Hardcore-; SRK) Katholiken gemacht habe. Wobei »Schneider« in seinen letzten Mails immer mehr die Contenance verliert und sich schließlich nahezu ungeschminkt in Beleidigungen ergeht…
Für das Buch haben beide Autoren ihrer Korrespondenz noch je ein persönliches Plädoyer verfaßt.
Zunächst »Schneider« in der ihm eigenen äußerst verengten Weltsicht: »Die Frage nach Gott ist entweder die mit Abstand wichtigste Frage für die Menschheit als Ganzes und jeden Menschen persönlich - oder aber der größte Irrtum der Menschheitsgeschichte.« (S. 195) Was hier objektiv ausschaut, ist es allerdings nicht, sondern nur gekonnte Rhetorik zur Diffamierung des Kontrahenten. Denn, so »Schneider« weiter, gibt es gar wirklichen keine Atheisten, sondern z.B. »Atheisten, die eigentlich schon an Gott glauben, sich aber mit diesem überworfen haben.« (S. 195)
Schlimm, denn der katholische Religionslehrer nimmt wieder einmal die gesamte Menschheit in christliche Geiselhaft, obwohl sich die angeblich wichtigste Frage der Menschheit für die Mehrheit der Menschheit gar nicht stellt (Polytheismus, Naturreligionen, Ahnenkultler, Buddhisten, Konfuzianer etc.). Und wohl selbst den meisten nominalen Christen dürfte sich eine solche Frage nicht stellen…
Aber, und hier kommt »Schneiders« arrogante, verquerte Art voll durch, indem er im vorletzten Absatz Uta Griechen, und mit ihr alle religionsfreien Menschen, der »Kleinheit des Denkens« (S. 196) bezichtigt. Nebenher bekennt er sogar ungewollt Farbe, daß er mit dem »Dialog« auch beabsichtigt habe, Uta Griechen zum Christentum zu bekehren. Also, Dialog nur, wenn damit ein Missionierungsziel verbunden werden kann. Das sollte man sich merken, wenn Kleriker »Dialog« einfordern.
Uta Griechen geht ihrerseits durchaus sachlich auf das Entstehen von Religionen ein, und welche Funktionen diese in archaiischen und anderen vormodernen Gesellschaften zu erfüllen hatten: Religionen als Menschenwerk zum Regeln des Zusammenlebens in frühen soziale Gemeinschaften. Sie schreibt aber vor allem mit Bezug auf die Gegenwart auch dies: »Wenn von Heilspredigern stets betont wird, der Mensch brauche Utopien, muß einen Sinn in seinem Leben sehen, er brauche Hilfe, Angenommensein und Zuspruch, so ist das natürlich alles richtig, aber leider wird dadurch noch lange nicht die Existenz eines Gottes bzw. von Engeln oder dem Teufel Realität.« (S. 198/199)
Was sie vornehm wegläßt: Mit solchen Predigten will doch jede Priesterkaste nur eines erreichen; daß sie auf Kosten ihrer gläubigen Untertanen ein sattzufriedens Leben führen kann, daß sie möglichst ungehindert über Individuum, Gesellschaft und Staat herrschen kann…
Was dieses Buch für religionsfreie und/oder kirchenkritische Menschen wertvoll macht, das ist das sinnlich spürbare Erleben, wie sich Kleriker Dialoge mit Anders- und vor allem mit Nichtgläubigen vorstellen. Ja, einerseits ist man formell höflich, respektvoll, aber andererseits wird stets von oben herab, von der Kanzel herab, monologisiert/gepredigt. Auf Argumente wird nicht eingegangen; nein, diese werden nicht bloß vom Tisch gewischt, sie werden auch noch herabgewürdigt. So wenn ausgerechnet ein katholischer Theologe, für den ausschließlich die Bibel zählt, in völliger Umkehrung des Tatsächlichen von einer naturwissenschaftlich und philosophisch argumentierenden Atheistin »offenes Denken« einfordert, sie und andere des Dogmatismus zeiht.
Es fällt schwer, »Schneiders« Auslassungen zu lesen, es kommt einfach geistiges Mißvergnügen über derarige bornierte, ignorante Arroganz auf. Aber eben deshalb sollte man gerade seine Texte besonders aufmerksam lesen. Denn hier zeigt sich neben theologischer Rabulistik hoch drei auch, welches handwerkliches Können in Rhetorik und Polemik die Priesterkaste in rund zweitausend Jahren erreicht hat.
Uta Griechen scheint das auch erkannt zu haben, denn sie benennt „Schneiders« Äußerungen nicht nur einmal ganz deutlich als »metaphysische Verbalakrobatik«.
Daß ein solcher »Dialog« scheitern mußte, liegt nicht zuletzt in beider Herangehensweise begründet: Während sie immer wieder zu erklären und zu begründen versucht, auch mit Hilfe von Zitaten bekannter Natur- und Geisteswissenschaftler, ja sogar mit Hilfe von Humor und Witz (Esprit), bleibt er bei der Verkündung absoluter Wahrheiten, denn »es steht ja geschrieben« in einem heiligen Buche. Und während sie tatsächlich auf ihr Gegenüber eingeht, weicht er eigentlich fast immer aus. Und was der katholische Religionslehrer absolut nicht verstehen kann, das ist der Humor. So schlimm, daß Uta Griechen von einem bestimmten Zeitpunkt an humorige Stellen bewußt in Klammern gesetzt als Witz ausweist. Und (nicht nur) sie erkennt, daß sich Glauben/Religion und Humor ausschließen, zumindest in Klerikerkreisen. So wie auch Glauben und Wissen zwei verschiedene Paar Schuhe sind.
Eben weil aus dem Dialog doch nur zwei Monologe geworden sind, ist der Rezensent zu seiner ebenfalls etwas sperrigen Überschrift gekommen.
Siegfried R. Krebs
Uta Griechen und "Johannes Schneider": Gibt es Gott, und wenn ja, warum nicht? Atheistin und gläubiger Katholik im Briefstreit. 248 S. Klappenbroschur. Tectum-Verlag. Marburg 2013. 19,95 Euro. ISBN 978-3-8288-3160-5[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]
Siehe auch Uwe Lehnerts Rezension des Buches beim hpd.