Liebe und Havannischer Jazz in “Chico & Rita”

Erstellt am 17. August 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© Kool, Filmagentinnen / Die Jazzszene in “Chico & Rita”

Es ist keine Schande bei der alljährlichen Academy Award Verleihung leer auszugehen, vor allem nicht, wenn man der erste animierte Langfilm Spaniens ist, der überhaupt für einen Oscar nominiert wurde. „Chico & Rita“ hat dafür andere Erfolge gefeiert: European Film Award für den besten Animationsfilm, der ungarische National Student Jury Award beim Festival of European Animated Feature Films and TV Specials sowie der Goya Award, ein spanischer Filmpreis der Academia de las Artes y las Ciencias Cinematográficas (Akademie der Künste und der cineastischen Wissenschaften) für den besten animierten Film. Mit einer Menge Musik von Künstlern wie Bebo Valdés, Dizzy Gillespie, Cole Porter, Charles Parker oder Chano Pozo inszenierten die Regisseure Fernando Trueba, Javier Mariscal und Tono Errando die Geschichte von Chicos und Ritas Beziehung, die sich durch die 1940er und 1950er Jahre zieht, wie auch durch Havanna, New York City, Las Vegas, Hollywood und Paris.

Aber seinen Anfang nimmt die gemeinsame Lebensgeschichte der beiden Protagonisten in Havanna des Jahres 1948. Hier begegnet der junge Jazzpianist Chico in einem Nachtclub der wunderschönen Sängerin Rita. Ihre Stimme zieht ihn magisch an, doch schon die erste Nacht endet mit einer wilden Eifersuchtsszene. Ein Musikwettbewerb führt sie jedoch wieder zusammen, doch als nunmehr Chico ausrastet, geht Rita schweren Herzens mit einem Amerikaner nach New York, um dort Karriere zu machen. Chico verkauft sein geliebtes Klavier und folgt ihr gemeinsam mit seinem Kumpel Ramon, um New Yorks Jazzszene aufzumischen, immer aber auch voller Hoffnung, dabei die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen.

Chico am Klavier

Die Geschichte ist einfach wie kreativ, bestehend aus zwei Motiven, die sich abwechselnd in die Höhe schaukeln. Voran geht natürlich die Liebesromanze, die eigentlich wenig romantisch, eher stürmisch inszeniert wurde, zwischen Chico und Rita. Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen versucht sich Chico bereits als „ihr Kerl“ darzustellen, stellt sich ihr überzeugt gegenüber, kein Weg wird daran vorbeiführen, dass diese beiden Menschen zusammen kommen werden. Auch wenn Rita anfangs skeptisch wirkt, ist sie ebenso heißblütig und dementsprechend interessiert an ihrem Verfolger, dem sie am Ende klein beigeben wird um mit ihm eine erotische Nacht zu verbringen. Da wir bei „Chico & Rita“ nirgendwo ein Pixar oder Disney Stempel zu sehen bekommen, bleibt es nicht bei angedeuteten Zeichnungen, sondern bei der klaren Durchführung: Sex, Drogen, Gewalt – alles Thematiken die nicht nur unterschwellig behandelt werden, sondern sich in den Bildern manifestieren. Diese Bilder folgen einem klassischen Zeichenstil und wirken hierdurch umso charmanter. Die Figuren sind keine detailgetreu am Computer entstandenen Menschen, sie haben zeichnerische Ecken und Kanten, die Haare sind eine glatte Fläche, Wind hat nur selten einen Effekt. In Zeiten wo Pixar mit „Merida“ sowohl Figuren samt Haare als auch spritzendes Wasser aus Wasserfällen darstellt, als sei es der Realität entsprungen, zeigt sich diese spanische Produktion eher rückschrittlich. Aber hier sprechen wir dann auf einmal von Sehgewohnheiten, die sich dadurch relativieren, dass „Chico & Rita“ eine wunderbar erwachsene Story abliefert, die es mit jeder hochtechnisierten Computeranimation dieser Tage aufnehmen kann.

Da entschwindet auch die eigens komponierte Musik aus Federn berühmter Filmkomponisten und macht Platz für die Rhythmen der Jazz-Evolution. Der amerikanische Jazz-Trompeter John Birks Gillespie, bekannt geworden als Dizzy Gillespie spielt hier in einer Bar gemeinsam mit Chano Pozo, einem wichtigen Musiker der Latin-Jazz-Bewegung, den Chico und sein Freund Ramon geradezu anhimmeln. Nicht minder musikalisch attraktiv kommt Estrella Morente daher: die spanische Flamenco Tänzerin und Sängerin spielt sich in einem Gastauftritt selbst, sie trifft auf den alt gewordenen Chico und führt seinen „Rita’s Song“ in die moderne Welt ein, bringt noch einmal Grammy-Glück für den Jazzpianisten. Der Film bleibt durch die Musik ein romantisches Märchen, wenngleich auch ansatzweise Bezüge zu politischen Entwicklungen genommen werden. So kommt hier 1959 Fidel Castro als Regierungschef an die Macht, die kubanische Revolution spielt sich aber größtenteils im Radio ab, denn hier kann Chico auch einfach wegschalten, Musik hören, das Leben genießen und keine Zeit mit schweren Gedanken verbringen.

Rita am Mikrofon

Diese hat er durch die Liebe zu Rita zu genüge. Die beiden passen wirklich hervorragend zueinander, vor allem wenn es um gegenseitige Eifersüchteleien geht. Mal ist es Chicos vorherige Loverin, die ihn morgens aufsucht und eine nackte Rita bei ihm in der Wohnung vorfindet, mal ist es ein Amerikaner, der Rita viel Ruhm und Ehre verspricht, wenn sie ihm nach New York folgt, wo ihr natürlich alle Möglichkeiten offen stehen. So entzweit sich der Weg von Chico und Rica gleich mehrmals, immer wieder hat man als Zuschauer die Hoffnung, dass es bei dem neuesten Versuch zusammen zu bleiben, gelingen wird. Und immer wieder wird man enttäuscht, bis man letztendlich die Hoffnung aufgibt – was Chico und Rita niemals tun.

Der Film ist das wunderschöne Portrait einer schwierigen Liebesbeziehung, die durch die Musik genährt wird. Kleine Nebensächlichkeiten wie politische Entwicklungen oder der Umgang des amerikanischen Volks mit nicht gleichfarbigen Mitmenschen werden angeschnitten, leider aber nicht weiter ausgeführt, was aber wohl auch eine Fokusverlagerung bedeutet hätte. Nun konzentriert man sich auf das Liebesdrama und auf die Musik und hat auch gut damit getan. „Chico & Rita“ lügt die Zuschauer vielleicht einmal an, wenn am Ende die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben so stark war, dass es schon fast unrealistisch wirkt, wie lange die beiden Liebenden aufeinander gewartet haben. Aber das mag man verzeihen, wenn man sich die voranstehende Geschichte ansieht, die ehrlich und brutal schildert, wie gemein die Liebe sein kann. Da hilft nur eine gute Portion Jazz.

Denis Sasse


“Chico & Rita“