Regine erlebt den Himmel auf Erden beim ersten gemeinsamen Urlaub mit Stefan, dem Mann ihrer Träume – bis Alice auftaucht, seine frühere Verlobte …
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Regine trank mit Genuss den letzten Schluck Kaffee und sah Stefan über den kleinen, runden Frühstückstisch des Hotels hinweg zärtlich an. Sie hatte den gutaussehenden 34-jährigen Rechtsanwalt Stefan Burghardt vor vier Monaten kennengelernt, und dies war ihr erster, gemeinsamer Urlaub. Sie fühlte sich an diesem ersten Morgen auf der griechischen Insel Mykonos wunschlos glücklich.
Auch Stefan konnte seine Augen nicht von der bezaubernden jungen Frau abwenden. Regine war Grundschullehrerin, war kinderlieb, fröhlich und weltaufgeschlossen, und vor allem, sie liebte ihn so, wie er war. Regine war ganz anders als Alice …
“Woran denkst du?” fragte sie in seine Gedanken hinein.
“An dich. Ich liebe dich, Regine.”
“Ich liebe dich auch”, lächelte sie. “Ach, Stefan, es wird ein Traumurlaub werden!”
Etwas später spazierten sie Hand in Hand durch die engen Gassen von Chora, der Inselhauptstadt. Rote Geranien blühten auf den blaugelackten Balkonen der weissen, ineinandergeschachtelten Häuser. Auf kleinen Plätzen und vor den Tavernen standen Gruppen von alten Männern, die sich miteinander unterhielten und freundlich grüssten.
Niemand schien es hier eilig zu haben, schon gar nicht die bepackten Maulesel. Nur einigen Lasten-Dreirädern mussten sie ausweichen, die in waghalsiger Fahrt durch die Gassen preschten. Tribut an moderne Zeiten.
Stefan wandte sich Regine zu und gab ihr einen Kuss: “Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?” raunte er ihr zu.
“Hast du, aber ich höre es immer wieder gern”, lachte sie. Im Weitergehen schmiegte sie sich an ihn. Überwältigt dachte sie, dass sie 28 Jahre lang auf einen solchen Mann gewartet hatte. Ob Stefan ihr bald einen Heiratsantrag machen würde?
Mittags suchten sie sich zum Essen eine kleine Taverne am malerischen Hafen aus. Vor ihnen lag in gleissendem Blau die Ägäis. Ein ebenso blauer Himmel spannte sich darüber. Auf dem Hügel zeichneten sich die berühmten Windmühlen der Insel ab.
Der Wirt stellte den Ouzo und kleine Schälchen mit Appetithappen vor sie hin: schwarze Oliven, schmackhaft zubereitete kleine Fische, gefüllte Weinblätter …
Sie prosteten einander zu, kosteten das erfrischende Anisgetränk, sahen dem bunten Treiben der Touristen zu.
Plötzlich erstarrte Stefan. Diese Frau da … das konnte doch nicht wahr sein! Was machte Alice hier auf Mykonos?
Aber schon hatte sie ihn ebenfalls entdeckt und kam erfreut auf den Tisch zu: “Ja, Stefan, das ist aber eine Überraschung!”
Er hatte geglaubt, die Enttäuschung mit Alice überwunden zu haben, und doch verkrampfte sich sein Magen, und sein Mund war trocken, als er die beiden Frauen miteinander bekannt machte: “Regine, das ist Alice Tobeck. Du weisst, dass wir verlobt waren. Alice, das ist Regine Diegel, meine Freundin.”
Alice übersah Regines ausgestreckte Hand, sie lächelte nur zurückhaltend. “Ich darf mich doch zu euch setzen?” fragte sie, indem sie Stefan ansah.
“Bitte”, Stefan zeigte auf den freien Stuhl und wandte sich an Regine: “Wenn es dir recht ist, Liebes.”
“Natürlich”, murmelte Regine, aber sie war verletzt wegen der ausgeschlagenen Hand.
Alice setzte sich und streckte sich graziös. “Schrecklich, wie man hier von Männern verfolgt wird, wenn man allein ist”, seufzte sie. “Ich bin froh, dass ich euch begegnet bin. Könnte ich auch einen Ouzo haben? Was esst ihr?”
“Wir hatten Moussaka bestellt”, erwiderte Stefan zögernd.
“Oh, darauf hätte ich auch Lust. Würde es euch stören, wenn ich mit euch esse?”
Stefan sah Regine fragend an und diese fühlte sich verpflichtet, höflich zu antworten: “Natürlich nicht. Wir werden eine Portion mehr bestellen.”
Während des Essens sprach Alice fast ausschliesslich mit Stefan. Regine konnte sie deshalb ungestört beobachten. Die junge Frau war klein und zierlich und ausgesprochen hübsch. Duftige blonde Locken umrahmten ein kindlich wirkendes Gesicht. Sicher weckte sie in jedem Mann Beschützerinstinkte, und ebenso sicher war an ihren wachen blauen Augen zu sehen, dass sie genau wusste, was sie wollte.
Regine wusste nicht viel über Alice. Stefan hatte ihr nur erzählt, dass sie ihm einen anderen Mann vorgezogen hatte. Herbert war ebenfalls Rechtsanwalt, ein früherer Kommilitone. Alle waren überzeugt davon, dass er es weit bringen würde. Schon jetzt verdiente er erheblich mehr als Stefan. Nie würde ein Mann wie Herbert einem mittellosen Klienten umsonst Rechtsbeistand gewähren, wie Stefan es manchmal tat. Aber wo war jetzt dieser Herbert?
Schon beantwortete Alice diese stumme Frage: “Ich habe mich gründlich in Herbert getäuscht. Er ist ein Egoist. Wir haben uns getrennt.”
“Aber er verdiente doch besser als ich?” Diese Bemerkung konnte Stefan sich nun doch nicht verkneifen.
Alice zuckte die Achseln, senkte die Augen und strich ihren Rock glatt: “Geld ist eben nicht alles. Diese Erfahrung habe ich nun gemacht.”
Sie tranken Wein. Regine stellte fest, dass Stefan mehr trank als sonst. Er liess sogar eine zweite Flasche kommen.
Nach dem starken, süssen Kaffee atmete Regine unwillkürlich auf. Sie hoffte, dass Alice jetzt gehen würde. Aber diese dachte nicht daran. Beiläufig fragte sie: “Habt ihr schon etwas vor heute Nachmittag?”
“Wie wollen an den Strand”, erwiderte Stefan.
Alice belebte sich: “Im Hotel hat man mir den Paradise Beach empfohlen. Man hat mir auch erklärt, wie man dorthin kommt. Von der Anlegestelle Plati Gialos nimmt man ein Khaiki-Boot. Aber allein trau’ ich mich nicht hin. Ich möchte nicht schon wieder dauernd belästigt werden!” Diesmal sah sie auch Regine bittend an.
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Noch am Vorabend war Regine das einfache, aber blitzsaubere Hotelzimmer mit seinem Steinfussboden wie ein Paradies vorgekommen, ein romantisches Liebesnest. An diesem Abend lag sie unbeweglich neben Stefan und hatte Herzweh.
Er beugte sich über sie und sagte zerknirscht: “Du bist mir doch nicht böse, Liebling? Es tut mir so leid, das mit Alice. Ich konnte doch nicht ahnen, dass wir sie hier treffen würden …”
“Dass wir heute fast den ganzen Tag mit ihr verbracht haben, mag ja noch hingehen”, erwiderte sie mühsam, “aber warum hast du ihr vorgeschlagen, morgen das Panagia-Tourliani-Kloster in Ano Mera gemeinsam zu besuchen?”
“Ich dachte, sie würde ablehnen. Sie hat sich noch nie für Kunst interessiert. Wahrscheinlich fühlt sie sich wirklich sehr allein.”
Sie setzte sich auf und presste dabei fest die Laken an ihre Brust: “Findest du das nicht seltsam?” fragte sie leise.
“Was? Dass sie sich allein fühlt? Herbert …”
“Nein”, schnitt sie ihm ungeduldig das Wort ab, “ich meine, dass sie hier ist. Gleichzeitig mit uns!”
Mit schmerzlicher Intensität forschte Regine in Stefans Gesicht. Ein Rechtsanwalt war von Beruf nicht leichtgläubig, aber Stefan schien davon überzeugt zu sein, dass Alice die Wahrheit sagte. Nur Liebe konnte so blind machen. Musste sie daraus schliessen, dass Alice ihm noch immer etwas bedeutete? Obwohl sie ihm so weh getan hatte?
“Weisst du, sie ist unglücklich. Herbert hat ihr übel mitgespielt. Eines Tages hat er ihr kaltblütig und aus heiterem Himmel erklärt, dass er eine andere Frau heiratet”, entschuldigte er seine ehemalige Verlobte.
Darüber hatten sie also gesprochen, während sie, Regine, weit ins Meer hinausgeschwommen war. Alice wollte nicht schwimmen, und sie hatte es so eingerichtet, dass Stefan bei ihr blieb.
Oder war sie zu misstrauisch? Vielleicht war sie nur eifersüchtig? “Ist schon gut”, murmelte sie und lächelte dann: “Jetzt hast du es ihr schon versprochen. Natürlich können wir zusammen das Kloster besichtigen.”
Sein Kuss vertrieb die letzten trüben Gedanken.
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Die alte Klosteranlage direkt auf dem Dorfplatz von Ano Mera war beeindruckend. In der Kirche betrachtete Regine versunken die faszinierenden holzgeschnitzten Ikonostase. Aber nun hörte sie, wie Alice sich in klagendem Tonfall an Stefan wandte: “Es ist so kalt und dunkel hier. Könnten wir nicht nach draussen gehen? In die Sonne?”
Stefan berührte leise Regines Arm: “Alice möchte nach draussen gehen.”
“Das kann sie ja”, erwiderte Regine.
Alice hatte es gehört: “Stefan, ich fühle mich unwohl. Begleitest du mich?”
“Also gut, komm”, sagte er. Und zu Regine: “Besichtige in Ruhe weiter. Wir warten draussen auf dich.”
In Regine stiegen Kummer und hilfloser Zorn auf, als sie ihnen nachsah. Mit dem Feingefühl einer liebenden Frau spürte sie, dass Alice ihn zurückerobern wollte, aber sie unterdrückte den heftigen Wunsch, hinter ihnen her zu laufen und Alice die Meinung zu sagen. War Stefan nicht erwachsen? Musste er nicht wissen, was er tat – oder mit sich tun liess? Sollte sie sich mit Alice um Stefan streiten? Sie hatte auch ihren Stolz.
Endlich trat sie ebenfalls in die Sonne hinaus. Stefan und Alice sassen nicht weit entfernt auf einem Mäuerchen. Stefan winkte ihr zu. Als sie bei ihnen angekommen war, setzte Alice ihre Sonnenbrille auf und erklärte ihr mit einem strahlenden Lächeln: “Ich sagte gerade zu Stefan, dass wir heute mal den Paranga Beach ausprobieren sollten. Er soll interessanter sein als der Paradise Beach.”
Regine sah hilfesuchend Stefan an, aber er wich ihrem Blick aus. Um Zeit zu gewinnen, fragte sie: “Inwiefern soll er interessanter sein?”
“Der Strand ist eben ‘in’. Das Publikum ist besser.”
“Ist es so wichtig, ‘in’ zu sein?” fragte Regine befremdet.
“Ist es nicht egal, ob wir zum Paradise Beach oder zum Paranga Beach fahren?” griff Stefan jetzt versöhnlich ein. “Wir können doch ruhig mal etwas Neues versuchen, Regine, oder?”
Wieder hatte er Partei genommen für Alice. Regine sagte nichts mehr.
Als sie in Chora zurück waren, steuerte Alice sofort zielstrebig ein Restaurant am Hafen an. Es war einige Nummern besser als die Taverne, in der sie am Vortag gegessen hatten. Als der Wirt ihnen sagte, dass er heute frischen Hummer habe, klatschte sie in die Hände: “Bitte, Stefan, lass uns Hummer essen!”
Hummer war das teuerste Gericht auf der Karte, aber was brauchte das Alice zu kümmern, dachte Regine erbittert. Stefan würde ja für sie bezahlen.
Während sie auf den Hummer warteten und einen Ouzo tranken, redete Alice unaufhörlich. Erinnerungen an die Zeit, in der Stefan und sie zusammen waren, Klatsch von gemeinsamen Bekannten, die Regine fremd waren. Sie litt. Fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen.
Und plötzlich hielt sie es nicht länger aus. Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. Stefan hatte nichts gemerkt. Er lachte gerade über eine Bemerkung von Alice. Aber Regine kreuzte Alices Blick und glaubte, ein triumphierendes Glitzern darin zu erkennen.
Draussen holte sie tief Luft. Vor ihr lag der Hafen. Der Wind kräuselte das Wasser und liess die Fischerboote tanzen, aber schon verschwamm das bunte Bild, weil ihr heiss die Tränen in die Augen stiegen.
“Eine so schöne Frau wie Sie sollte nicht weinen”, hörte sie eine schmeichelnde Männerstimme neben sich.
Der Mann war etwa 30 Jahre alt, er war gross, braungebrannt, blond und blauäugig, trug Shorts und einen schwarzen, ärmellosen T-Shirt und lachte sie nun mit blitzenden Zähnen an. Er hatte Englisch gesprochen.
Sie antwortete abweisend auf Deutsch: “Ich kann machen, was ich will!”
“Ganz schön kratzbürstig”, sprach er nun ebenfalls Deutsch. “So liebe ich die Frauen. Ich bin Andreas. Andreas aus Hannover.”
Sie ging weiter, aber er blieb an ihrer Seite: “Ich kenne einen Strand in einer kleinen Bucht, wo kein Tourist hinkommt. Das Khaiki-Boot legt dort nicht an. Ich habe ihn im letzten Sommer entdeckt.”
“Und wie wollen Sie dahinkommen?” Sie wusste auch nicht, warum sie sich überhaupt in ein Gespäch einliess. Er interessierte sie nicht. Vielleicht wollte sie nur nicht ihrem wilden Kummer allein ausgeliefert sein.
Er warf sich in die Brust: “Ich habe ein Segelboot!”
Sie sah sich um. Sie befanden sich noch in Sichtweite des Restaurants. Ob Stefan sie schon vermisste? Würde er sie suchen? Sie fühlte sich unfähig, ihm jetzt gegenüberzutreten. Besonders der Gedanke an Alice, die sicher nicht von seiner Seite weichen würde, machte sie krank. Sie musste fort von hier, und zwar schnell. Warum sollte sie nicht mit diesem dummdreisten Inselcasanova mit den geölten Muskeln einen Nachmittag in einer einsamen Bucht verbringen? In der Zeit konnten Stefan und Alice sich ja am Paranga Beach vergnügen.
“Und wo ist Ihr Segelboot?”
Er ging ein paar Schritte und zeigte auf ein kleines Leichtboot: “Da sind wir schon. Bitte, einsteigen!”
Ein Fischer, der sich neben ihnen auf seinem Boot zu schaffen machte, rief ihnen etwas zu, aber Andreas machte nur eine sorglose Handbewegung.
“Was hat er gesagt?” wollte Regine wissen.
“Dass Wind aufkommt. Meltimi. Wenn schon. Der macht mir doch keine Angst!” Andreas stand schon im Boot, reichte Regine hilfreich die Hand. Sie wollte jetzt nicht irgendwelche Vorbehalte anmelden, wollte nur fort von hier. Kurz entschlossen betrat sie das Boot, das unter ihren Füssen schwankte.
In kurzer Zeit hatten sie den schützenden Hafen verlassen. Der Wind wurde stärker. Pfeilschnell schoss das leichte Boot dahin, aber immer häufiger schwappte Wasser über sie hinweg. Regine war längst klitschnass.
“Vorsicht, der Baum”, brüllte Andreas, der nicht mehr so überlegen wirkte wie vorhin am Ufer. Blitzschnell duckte sich Regine.
“Verdammt”, schnaubte er. “Wir müssen das Segel einholen. Hilf mir mal!”
“Wie denn?” wollte sie fragen, aber schon drückte der nächste wütende Windstoss das Segel auf’s Wasser. Das Boot kenterte. Regine wurde von einer hohen Welle fortgerissen und begraben. Endlich tauchte sie wieder auf, schnappte nach Luft. Das Boot, dachte sie, ich muss zum Boot zurück. Aber sie sah es nicht, und schon drückte eine neue Welle sie unter Wasser. Sie verlor völlig die Orientierung, ihre Lungen schienen bersten zu wollen. Obwohl Regine eine gute Schwimmerin war, verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben Todesangst …
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“Wo ist eigentlich Regine?” unterbrach Stefan plötzlich Alice.
“Wie soll ich das wissen? Sie ist sicher zur Toilette gegangen”, erklärte sie beiläufig. Dann sah sie ihm gerade in die Augen: “Ich könnte mich heute noch ohrfeigen, dass ich dich verlassen habe. Es gibt keinen anständigeren und liebevolleren Mann als dich. Könntest du mir verzeihen? Ich liebe dich immer noch und vielleicht … liebst du mich ja auch noch ein bisschen?”
Alices Geständnis, dass sie sich geirrt hatte und ihn immer noch liebte, tat ihm überraschend gut. Aber er erwiderte ehrlich: “Alice, es ist zu spät. Ich bin jetzt mit Regine zusammen.” Er überlegte, ob er hinzufügen sollte, dass Regine die grosse Liebe seines Lebens sei, aber er wollte Alice nicht unnötig verletzen. Er hoffte, dass sie ihn auch so verstand.
Aber so schnell gab sie nicht auf: “Ihr seid doch nicht verheiratet. Du kannst es dir noch anders überlegen.”
Er sah sich beunruhigt um: “Ich möchte wirklich wissen, wo Regine bleibt.”
“Du bist doch nicht ihr Kindermädchen”, erwiderte Alice in verändertem Tonfall. “Sie wird schon wissen, was sie tut. Weisst du überhaupt, warum ich hier bin?”
“Weil du Urlaub hier machst.”
“Ich hätte ihn woanders verbringen können und zu einem anderen Zeitpunkt. Sei nicht so begriffsstutzig, Stefan. Ich bin dir nachgereist!”
Regines Bemerkung fiel ihm wieder ein. Sie hatte also Recht gehabt, und er hatte ihr nicht glauben wollen.
“Und wer hat dir gesagt, dass ich hier bin?” fragte er.
“Tut das was zur Sache? Wir haben immer noch ein paar gemeinsame Freunde, die mich auf dem Laufenden halten.”
“Dann wusstest du also auch, dass ich nicht allein hier bin.”
“Natürlich.” Sie sah ihn herausfordernd an. “Hat nicht jeder das Recht, um sein Glück zu kämpfen? Und was deine Regine angeht. Du brauchst dir um sie keine Sorgen zu machen, sie hat schon jemanden anderes gefunden.”
“Was sagst du da?” fuhr er auf.
“Du hast mich ganz richtig verstanden. Deine liebe Regine hat sich draussen von einem Mann anquatschen lassen. Sie sind zusammen auf einem Segelboot fortgefahren.”
“Und das sagst du mir jetzt erst?” Er sah nach draussen. Merkte sofort, dass Sturm aufgekommen war und war entsetzt. Über Alice, weil sie ihm nichts gesagt hatte, aber vor allem über sich selbst. Wie hatte er Regine über Alice vergessen können? Über Alice, die immer nur auf ihren Vorteil bedacht gewesen war? Der egal war, was aus anderen wurde? Er warf sein Portemonnaie auf den Tisch: “Für die Rechnung! Wir werden uns nicht wiedersehen, Alice.” Schon stürmte er hinaus.
Der Wind fuhr ihm ins Haar. Er sah das unruhige Wasser und etwas weiter eine Gruppe von Menschen. Jemand erklärte Stefan, dass dort draussen ein kleines Segelboot gekentert sei. Ein Fischer warf schon den Motor seines Bootes an. Stefan rief ihm auf Englisch zu: “Ich komme mit, ich bin ausgebildeter Rettungsschwimmer!”
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Regine erholte sich im Windschatten einer Mauer. Die Schaulustigen hatten sich verlaufen.
“Wenn ihr nicht gekommen wärt”, sagte sie leise. “Dieser Andreas mit seinem gebrochenen Schlüsselbein befand sich auch in einer üblen Lage, selbst wenn er sich am gekenterten Boot festhalten konnte. Du und der Fischer, ihr habt uns das Leben gerettet. Wir haben euch sogar mit unserem Leichtsinn in Lebensgefahr gebracht. Du musst wissen, der Fischer hatte uns vor dem Sturm gewarnt!”
“Er hat uns zum Abendessen eingeladen”, lächelte Stefan. “So sind die Menschen hier, hilfsbereit und gastfreundlich.”
“Ich werde ihm ein schönes Geschenk machen.”
“Wir beide werden es ihm machen, und morgen laden wir ihn und seine Familie ins Restaurant ein.”
“Verzeih mir, Stefan.”
Er wurde ernst: “Ich bin es, der dich um Verzeihung bittet. Du hattest Recht mit deiner Vermutung. Alice ist mir hinterhergefahren. Sie hat es mir selbst gesagt. Sie hat manövriert, um uns auseinanderzubringen. Ich wollte so gern glauben, dass sie allein und unglücklich war. Es tat meiner verletzten Eitelkeit gut.” Er zog eine schmerzliche Grimasse: “Schlimm, sich das eingestehen zu müssen.”
“Aus dem selben Grund, gekränkter Eitelkeit, hätte ich mich fast auf ein Abenteuer mit einem Mann eingelassen, der mich überhaupt nicht interessierte“, erwiderte Regine und wollte dann wissen: “Heilt ein Schlüsselbein schnell?”
“Es ist nicht so arg, und er wird ja schon verarztet. Wir sollten ins Hotel zurück. Du musst trockene Sachen anziehen.”
“Ach, es ist doch warm”, meinte sie, aber sie ergriff Stefans Hand und liess sich hochziehen. Er presste sie an sich: “Ich liebe dich, Regine. Kannst du dir vorstellen, einen so dummen Mann wie mich zu heiraten?”
Sie spürte heftiges Glück, aber sie besann sich, löste sich von ihm und meinte nachdenklich: “Wir sind beide so dumm. Vielleicht sind wir gar nicht füreinander geschaffen?”
Er sah so unglücklich aus, dass sie gleich die Arme um seinen Hals legte und flüsterte: “Als wir hier ankamen, glaubten wir, das Glück für uns gepachtet zu haben. Götter strafen Übermut. Die alten Griechen wussten das. Natürlich will ich deine Frau werden. Ich liebe dich auch, Stefan. Aber ich sage es ganz leise, damit die Götter es nicht hören.”
Ihre Lippen waren salzig, aber sie schmeckten nach den seligen Gefilden des Olymp …
ENDE