Es ist der Dienstag nach dem Gastspiel im Berliner Chalet. Der Sommer hat endlich etwas fahrt aufgenommen und nachdem der Interviewtermin etwas nach hinten verschoben wurde empfängt Tom Krell, der Mann hinter dem Projektnamen „How To Dress Well“ in den hellen Büros von Domino Records. Krell trägt eine runde Sonnenbrille, Sweatshorts und ein weißes T-Shirt und beglückwünscht den Interviewer zu dem frühen Termin, da er selbst – was sehr gut nachvollziehbar ist – im Verlauf eines Interviewmarathons immer müder und damit auch einsilbiger werde, nicht zuletzt da er in letzter Zeit nicht gute schlafe. Und tatsächlich erweißt er sich als wunderbarer, absolut nicht einsilbiger Interviewpartner. Die Sonnenbrille nimmt er allerdings nicht ab.
Beim Konzert am Samstag wurde jeder Song von einem Video begleitet, dass an die Wand hinter der Bühne geworfen wurde. Und auch die Coverartworks und Musikvideos wirken sehr kohärent. Wie wichtig ist dir denn der visuelle Teil bei deiner Musik?
Für mich ist das Project [How to dress Well Anm. d. A] ein Gesamtkunstwerk, vor allem auch bei den Live-Shows und Albumcovern. Die verschiedenen Bilder und der Sound müssen zusammen funktionieren. Bei meinen Auftritten versuche ich, so etwas wie eine gemeinsame Erfahrung zu erwecken. Denn auf eine bestimmte Weise entfernen wir uns kontinuierlich von den wahren Gefühlsregungen in unserem Alltag. Ich denke, hier ist es mein Job, die Konzertbesucher zu mehr Desorientierung zu zwingen – in Form der anderen Menschen um sie herum, die Videos, mich selbst, meiner Stimme – so dass ich sie daraus zurück in Richtung ihrer Gefühle führen kann. Es dreht sich also um Umorientierung und Entschlüsselung, so dass man über den Zynismus hinauskommt, über die ganzen emotionalen Sicherheitsbarrieren, die im Kopf stattfinden und in einen Raum gelangt, in dem komplexere, subtilere und schüchterne, ja frustrierende Gefühlsregungen sich freier bewegen können.
Für die Visuals arbeite ich viel mit meinem Freund Nic Reed zusammen, so lange, bis ich das Gefühl habe, dass der Raum in dem ich performe ein gastfreundlicher ist. Dort stehe ich dann vor den Bildern und sie bilden für mich so etwas wie eine Stütze. Sie geben der Performance jenseits von Um- und Desorientierung einen Rahmen, eine Form. Für mich ist das sehr wichtig, auch wenn ich schon Konzerte ohne gespielt habe und diese auch funktioniert haben. Aber wenn ich mit Visuals arbeite, dann bekommt der Raum auf einer emotionalen Ebene etwas Spirituelles. Ich versuche, der Religion das zu nehmen, was sie uns genommen hat – Generösität, Menschlichkeit, Liebe. Ich möchte eben das Heilige ohne dessen religiöse Komponente.
Das Chalet befindet sich in einem alten Backsteingebäude am Kanal zwischen Kreuzberg und Treptow. Im inneren herrscht noch immer die Atmosphäre eines alten Gasthauses, mit schweren Möbel und Holzschränken. Im Garten haben sich die Macher jedoch selbst übetroffen und eine regelrechte Oase kreiert. Zwischen Bäumen, an deren Ästen dutzende Lampen und Vogelkäfige baumeln, stehen Stühle und Bänke, ein Seerosenteich und zwei Lauben, um die Besucher mit Getränken zu versorgen. Das Lichtkonzept der Astlampen funktioniert jedenfalls hervorragend und taucht den ganzen Ort in ein warmes und verzauberndes Licht.
Ich fand das Chalet als Ort für dein Konzert auch sehr passend.
Ja, das stimmt. Allein nach dem Konzert in den Garten zu gehen und dort in die Bäume zu blicken war einfach wunderschön!
Bis das Konzert began war im Garten nur poppiger R&B zu hören, also R. Kelly, D´Angelo oder auch Rihanna. Sind solche R&B-Musiker, also jenseits von Rihanna, Einflüsse für dich und deine Musik?
Ja, dass ist die Musik, die ich höre. R. Kelly hat es leider nicht mehr so drauf, aber erst heute morgen dachte ich mir, dass ich jetzt unbedingt „Africa“ von D`Angelo hören muss. Dass sind eben meine persönlichen Vorlieben, die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Mein Mutter hörte immer Motown Kram, Smokey Robinson, Paula Abdul, Janet und Michael Jackson. Solche Sachen eben. Whitney Houstons „I will always love you“…
…Blackstreet?
Blackstreet sind so großartig. „Don´t leave me“ ist einer der brilliantesten Songs aller Zeiten, er ist so unglaublich traurig! Ich wuchs wie gesagt mit dieser Musik auf und als ich begann zu singen, sang ich eben wie 112 [eine Band, die Einflüsse aus Soul, Gospel und HipHoph vermischen]. In letzter Zeit habe ich viel Tracy Chapman gehört, gerade während des Entstehungsprozesses des neuen Albums. Und Janet Jacksons „The Velvet Rope“ Album, Mariah [Careys] „Memoirs of an imperfect Angel“, das wunderbare Album von Disintegration Loops, Coco Rosie und oFF Love
Dein Debütalbum „Love Remains“ klang etwas, als würdest du deine Stimme hinter einer Wand aus Rauschen, Stimmsamples, Loops und Hall verstecken. Die beiden Songs des neuen Album „Total Loss“, die ich vorhab hören konnte und auch die Live-Versionen der älteren Songs klangen allerdings deutlich reduzierter und fokussierter auf deine Stimme und klare Melodien. Ist das eine Entwicklung, die sich auf „Total Loss“ fortsetzen wird?
„Love Remains“ ist ein Album über Depression! Ich dachte viel darüber nach, wie es sich anfühlt zu drohen, unter Emotionen zu ersticken. Selbst wenn man schreit liegt der Schrei begraben unter einem Berg an Traurigkeit. Auf „Total Loss“ ist das anders. Hier geht es um den Versuch, den Kopf über Wasser zu halten, Depression zu überwinden. Und daran zu arbeiten, auf der anderen Seite von totaler Leere Glück, Optimismus und positive Denkformen zu finden. Hinter dem Verlust, der Leere etwas reiches, voller Liebe zu finden. Also fragte ich mich, wie ich ein Album machen kann, dass nicht nur depressiv ist. Und als ich dann begann an „Total Loss“ zu arbeiten, mit dieser Kopf-Über-Wasser-Idee, begann ich automatisch, viel mehr zu singen und den Gesang viel klarer zu produzieren.
Der erste Song auf dem Album ist der Soundästhetik von „Love Remains“ noch sehr ähnlich, mit einem rauschenden, wandernden Klavier. Aber dann setzt der Gesang ein – es ist mein Lieblingsgesangsstück auf dem ganzen Album – und man erwartet, dass er unter dem Sound begraben werden würde. Stattdessen aber erhebt sich der Gesang aus dem Soundmeer heraus und es entsteht ein Moment gesanglichen Über-Wasser-Haltens. Und dann setzt in der Hälfte des Song auf einmal dieser Lärm ein, auf eine winterliche, umherirrende, Ambient-Art und ergießt sich über den Song wie eine Welle. Das ist ungefähr die Stimmung des Albums.
Der Sound und die Art und Weise wie ich etwas produziere und singe hängt nämlich immer mit dem jeweiligen Album zusammen und wird von dessen Gestus, dessen emotionaler Intensität vorgegeben. Eben eine Art Balance zwischen Form und Inhalt.
Es gibt für mich einfach keinen Grund, noch ein Album zu machen, dass klingt wie „Love Remains“, „Just Once“ oder „Total Loss“.
„Just Once“ ist auch ein emotional sehr klar strukturiertes Album gewesen. Die Idee war, einem Freund von mir, der starb, und seiner Mutter Songs zu geben, die als Testament seines Lebens funktionieren würden. Songs von „Love Remains“ wären dafür völlig undenkbar gewesen, da es deprimierende Songs sind und ich seine Mutter ja nicht deprimieren, sondern ihr zeigen wollte, dass ich die Tiefe ihrer Trauer verstanden und die Situation kreativ verarbeitet habe. Die Form des Albums musste also eine offene sein, eine, die es auch dieser 50-jährigen Frau erlaubte, das Album aufzulegen und zu hören. Es hat also ganz allgemein nichts zu tun mit einem Wechsel von Lo-Fi zu Hi-Fi, sondern schlicht mit der Intention des jeweiligen Albums.
Der Titel „Total Loss” klingt für mich sehr nihilistisch, nach Tabula Rasa, der Eiswüste im inneren Höllenkreis aus Dantes „La divina comedia“.
Ja, absolut. „Love Remains“ handelte wie gesagt von Melancholie, von einer Form der Traurigkeit, in der man sich verliert. Allgemein existieren ja zwei Arten von Melancholie, das Manische und das Depressive. Die Melancholie auf „Love Remains“ war eine depressive, eine, in die man eindringt und die einen dann droht zu ersticken. Hätte ich ein weiteres „Love Remains“ gemacht, ich hätte mich umgebracht! Manische Melancholie hingegen leugnet Verlust oder Leere und erschafft damit das wohl leerste und traurigste Wesen das existieren kann. Denn nur aus dem Erfassen von Verlust können wir echte Emotione entwickeln. Hätte ich damals, als mein Freund starb, gesagt: „Hm, naja, Menschen sterben eben!“, anstatt mich mit diesem Verlust auseinanderzusetzen, wäre ich niemals im Stande gewesen, ihn auf eine liebende, echte Art in Erinnerung zu behalten.
Der Unterschied zwischen Trauer und Melancholie ist der, dass Trauer den Verlust nicht manisch leugnet oder man nicht unter ihr erstickt. Stattdessen erlaubt sie, den Verlust zu verarbeiten und daraus kreative Energie und spirituelle Kraft zu schöpfen.
Der psychische Prozess des Trauerns ist etwas, womit ich mich in letzter Zeit sehr beschäftigt habe, da ich die Fähigkeit erlangen möchte, durch das Leben zu gehen, ohne eine nachtragende oder angeödete, depressive Person zu sein, wie fast alle der Menschen, die mich umgeben. Totaler Verlust ist für mich der Wettkampf, die Aufgabe, die es gilt, zu akzeptieren und zu überwinden ohne dabei zynisch oder emotional abgestumpft zu werden. Denn wirkliches Glück, Optimismus und Hoffnung findet man nur auf der Gegenseite von Verlust und Trauer. Nicht wie bei den Menschen die sagen: „Yeah, ich bin ja so glücklich und optimistisch!“ und man selbst denkt sich nur: „ Nein! Du, du bist wirklich gefickt!“ Das Album ist Ausdruck meiner Kreativität in der Phase totalen Verlustes.
Dann gehe ich mal davon aus, dass Songs schreiben für dich nicht als eine Art Job funktioniert, wie etwa bei Nick Cave, sondern etwas ist, was sich aus deinem Alltag heraus entwickelt.
Ja, definitiv. All das, was ich dir so erzählt habe, habe ich in den letzten 12-15 Monaten gelernt. Als ich begonnen habe, Songs für das Album zu schreiben, schrieb ich einige wirklich düstere Sachen, noch düsterer als für „Love Remains“. Aber dann dachte ich mir, dass ich nicht der Typ sein möchte, der nur depressive Sachen schreibt, sondern lieber etwas tapferes, etwas offeners, gemeinsam erfahrbareres machen möchte, dass aber dennoch emotional ehrlich und spannend bleibt. Und jetzt, im Rückblick, erkenne ich, dass mein Schreibprozess so etwas wie der oben beschriebene Kampf gegen totalen Verlust war.
Dein Gesang auf dem Konzert wahr sehr emotional und intensiv. Gleichzeitig schreibst du gegenwärtig ja auch an deiner Dissertation in Philosophie. Sind das, also das Emotionale und das Geistige, zwei Komponenten die sich gegenüber stehen, oder beeinflusst die eine die andere?
Nein, sie beeinflussen sich nicht gegenseitig, aber sie führen beide zurück zu meiner Person. Beides sind Versuche, mich selbst auszudrücken, zu ergründen und kreativ zu sein. Denn ich interessiere mich sehr für Wahrheit, auf emotionaler wie philosophischer Ebene. Beide Ebenen haben für mich die gleiche metaphysische Relevanz. Wobei die eine versucht, Strukturen des Realen zu beschreiben, während die andere eher versucht, dessen Affekte aufzuzeigen. Die Musik ist für mich viel menschlicher, viel mehr auf der Höhe meiner Gefühle und der allgemeinen, gesellschaftlichen Erfahrungen, die wir alle machen. Philosophie nimmt dagegen eher die Rolle einer allgegenwärtigen Hintergrundfolie ein. Es geht dabei zwar auch um Lehren und Neuinterpretieren, aber ich betrachte beide als zwei komplett verschiedene Disziplinen. Ich habe überhaupt keinen intellektuellen Zugang zu Musik, sondern versuche eher, einen möglichst naiven, in einer positiven Art und Weise schlichten Zugang zu haben. Auf eine gewisse Weise stehen Musik und Philosophie in einem Gleichgewichtsverhältnis zueinander.
Was sich sehr gut in den Gedanken vom „Gesamtkunstwerk“ fügt.
Absolut, ja. Ich sehe mein Leben auch als ein „Gesamtkunstwerk“. Ich bin absolut von der Tatsache fasziniert, dass es uns gibt. Daher finde ich es absolut ungerechtfertigt, dass viele Menschen unter diesem Wunder zu ersticken drohen und zynisch und depressiv werden, ja aufhören sich für irgendetwas zu interessieren. Das Kindliche etwa sollte die Jugend erfüllen, nichts anderes. Aber das ist eine der Formen, auf denen kapitalistische Denkmuster uns entmenschlichen. Früher gab es wenigstens so etwas wie Religion und damit etwas, was die Menschen einmal die Woche an das Wunder des Lebens erinnert hat. Vielleicht gingen sie in die Kirche und blickten dann mit einem Wow-Effekt auf ihre Kinder und fragten sich, wie das überhaupt alles möglich sei. Letztlich bleibt uns heutzutage nur die Kunst, um den menschlichen Geist zu retten! Und nicht nur in Form von Kunstwerken sondern offener, also auch in der Kunst von Beziehungen oder ganz allgemein dem Leben.
Interview und Übersetzung: Johannes Hertwig
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