von Ilka Lohmann
David Levithan schreibt über die Liebe in seinem Roman „[das] Wörterbuch der Liebenden”. Daß es sich bei diesem Buch um einen Roman handelt, ist die erste Überraschung. (Anmerkung: Allerdings sollte man erwähnen, daß es – streng vom Gesichtspunkt der Literaturwissenschaft aus betrachtet – eher eine Novelle als ein Roman ist.). Er schreibt darüber auf die einfachste Weise, die man sich vorstellen kann. Er hat ein Wörterbuch geschrieben.
Fällt einem ein solches Buch in die Hände, ist man schnell versucht, es wieder beiseite zu legen. Doch in diesem Fall wäre das ein Verlust, ein Versäumnis. Denn Levithans Buch, so schlicht es auf den ersten Blick erscheinen mag, birgt ungeahnte Tiefen. Und dabei ist die Geschichte doch so gewöhnlich, wie es eine Liebesgeschichte nur sein kann. Zwei Menschen lernen sich über das Internet kennen. Sie gehen einige Male mit einander aus. Sie verlieben sich. Sie ziehen zusammen. Für beide ist es die erste Wohnung, die sie mit einem anderen Menschen teilen. Zwei Jahre bleiben sie zusammen. Dann geht sie fremd, und die Beziehung bricht auseinander.
Keine Geschichte der großen Dramen und Ereignisse. Zwei gewöhnliche Menschen in einer gewöhnlichen Liebe, die ein Anfang und ein Ende hat. Ungewöhnlich jedoch ist der Blick darauf. Denn Levithan erzählt das, was Liebe ausmacht, was Menschen Liebende werden läßt. Da sind es die kleinen Dinge. Poster und Familienfotos an den Wänden. Eine Berührung an der Stirn. Ein unerwiderter Kuß. Ein fünfstündiges Telefongespräch. Ein Seitensprung. Eine Lüge. Die Geschichte wird wie ein Mosaik vor dem Leser ausgebreitet. Die Texte gleichen in der Tat Einträgen aus einem Lexikon. Und so könnte man sie beschreiben: Einzelne Steine, wie vom Zufall ausgewählt.
Levithan erzählt seine Liebesgeschichte nicht chronologisch. Anhand von alphabethisch geordneten Stichwörtern legt er die Bruchstücke dar, die sich nach und nach zusammensetzen, die im Geist des Lesers ein Bild formen, und das in einer Sprache, die intelligent ist, ohne geschwätzig zu sein und von schlichter Poesie.
„[das] Wörterbuch der Liebenden” Ist ein wunderbares Buch, um es in einem Coffee-Shop zu lesen, oder im Park auf einer Bank, denn es wird nicht lesen, es erzählt. Seite für Seite, Stichwort für Stichwort, gibt es seine Geschichte preis. Wie ein Freund erzählt es. Und das sind diese Geschichten, die eben nicht der Chronologie folgen oder dem Dramenaufbau oder dem endlosen und immer gleichen Ablauf von Geschichten in der Literatur.
Levithans Novelle ist ein Buch über „Boy meets Girl”, aber es ist mehr als das. Es ist ein Buch über eine so alltägliche Liebe, daß jeder von uns sie erlebt haben könnte, daß jeder von uns sie erlebt hat oder haben wird. Eine Geschichte, wie sie früher oder später jedem, der zu lieben fähig ist, begegnen wird.
Und für diese Menschen ist dieses Buch geschrieben. Für die, die geliebt haben, lieben können und lieben wollen, und die – nach allem Kummer und allem Schmerz, den die Liebe ihnen gebracht hat – immer noch nicht mit diesem Gefühl gebrochen haben.
David Levithan: „[das] Wörterbuch der Liebenden”. Roman. geb. 224 S. Graf Verlag Berlin 2010. ISBN 978-3-86220-00407. 18,00 Euro
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]