Ihr Leser dieses Blogs kennt mich schon ein wenig – ihr habt mich auf meinen Jakobswegen begleitet, habt mir gelauscht, wenn ich von Cerveza, Matsch und Muskelschmerzen geschrieben habe und habt sicherlich ein wenig gelächelt und euch mit mir gefreut, wenn ich von all jenen Momenten erzählt habe, die mich berührt haben. Momente waren das, große Augenblicke und kleine Unendlichkeiten; Menschen und Begegnungen, die mich verzaubert haben und mehr als nur ein kleiner Funken Liebe, der sich mir da auf dem Camino offenbart hat.
Ich bin dankbar für Freundschaften und jede Menge Liebe, die sich mir in den unterschiedlichsten Formen, in verschiedenen Sprachen und auf die kuriosesten Arten offenbart hat.
Es ist schon ein wenig komisch, was der Camino mit den Menschen macht, er verändert sie, verändert Gefühle und ganze Welten. Sicher geglaubte Beziehungen zerbrechen wie zarte Eiskristalle und Menschen, die nicht damit gerechnet oder gar nicht mehr daran geglaubt haben, finden hier Liebe und Glück. Der Camino gibt Dir was Du brauchst – das sind oftmals kleine Dinge wie der Fund eines neuen Schnürsenkels kurz nachdem der eigene zerrissen ist oder eine rettende Durstlöscher-Station, wenn der eigene Wasservorrat an einem heißen Tag gerade aufgebraucht ist. Manchmal sind es aber eben auch ganz große Dinge. Manchmal sind es die Menschen, die man hier trifft, die man unbedingt treffen musste und auf die man irgendwie schon immer gewartet hat. Menschen, die einem für die eigene vertrackte Lage die Augen für den Ausweg öffnen, die mit objektiver Sicht verworrene Gefühle entwirren oder einem einfach mal einen notwendigen Tritt in den Allerwertesten verpassen. Und das, obwohl man sie gerade ein paar Stunden oder wenige Tage kennt, mit denen man aber doch schon so einige Kilometer zusammen hinter sich gebracht hat.
Ich habe 2010 zwei ältere Damen kennengelernt, beide Ende 60 – die eine Kanadierin, die andere US-Amerikanerin. Sie seien seit knapp 50 Jahren befreundet und haben sich das auch trotz der Entfernung zu Hause über die Zeit hinweg bewahrt, erzählten sie mir an einem Abend beim gemeinsamen Abendessen in der Herberge. Und nun wollten sie gemeinsam den Camino gehen. Ich habe sie fast täglich gesehen, jede hatte das gleiche Tempo, selten sind sie nebeneinander gelaufen. Aber genau so ist es ja richtig. Jeder soll sein Tempo gehen, seinen Weg laufen, ohne sich durch Langsamkeit oder Schnelligkeit des Anderen beeinflusst zu fühlen. In Santiago de Compostela angekommen ist das Gesicht der Kanadierin das erste bekannte, das ich unter Schmerzen sehe und sie zeigt mir den Weg ins Pilgerbüro. Erst am nächsten Tage treffe ich sie wieder, als ich im Busbahnhof der Stadt auf meine Verbindung nach Lugo warte, um zurück zu den Fab5 zu fahren. Wir frühstücken zusammen, da für uns beide die Wartezeit länger ist als gedacht. Und auf einmal bricht sie in Tränen aus, kann kaum sprechen. Sie hätte sich mit ihrer Freundin überworfen, so sehr, dass diese ihr die Freundschaft für immer gekündigt habe und sich alleine auf die Rückreise gemacht hat. Eine fast 50-jährige Freundschaft. Aus und vorbei. Zumindest sah es für den Moment so aus. Es hat mir das Herz zerrissen.
Ich habe noch oft an diese beiden Damen gedacht und hoffe so sehr, dass sie wieder zueinander gefunden haben. Ich weiß es nicht. Nur, dass dieser Camino alles schaffen kann, eben auch Beziehungen zerstören. Man ist den anderen Menschen dort sehr nahe, wenn man es denn zulässt. Auch jenen, mit denen man bewusst gestartet ist.
Ich wußte, dass dieser Camino besonders wird. Nicht besonderer als die anderen, aber eben besonders. Dass er dazu führt, dass ich den weltbesten Mann kennenlerne, mit dem ich mein Leben verbringen werde und der mir in Rom einen Antrag machen würde – nein, das habe ich wirklich nicht erwartet!