Viele regelmäßige Kinobesucher stoßen sauer auf, wenn sie an Kunst im Film oder gar Film als Kunst denken. Das liegt daran, dass die Kunst im allgemeinen immer auf der Suche nach Neuem ist. Die Kunst ist es heute nicht mehr, besonders schön malen zu können, sondern etwas zu machen, was vorher noch niemand gemacht hat. Naja. Zumindest etwas, was vorher noch niemand als Kunst verkauft hat. Das führt dazu, dass die moderne Kunst anstrengend sein kann. Oft genug wird man mit Werken konfrontiert, die man nicht versteht. Und das nervt. Moderne Regisseure, die was auf sich halten, müssen ebenfalls Kunst in ihre Filme einbauen. Gewackel, Unschärfeeffekte, Zeitlupen, Kunst fertig!
Regisseur Michael Haneke dagegen hat sich offenbar nie wirklich um die Kunst als visuelles Mittel geschert. Seine Filme zeichnen sich durch einen sehr realistischen Stil aus, ohne dokumentarisch zu wirken. Seine Kunst ist es, eine Geschichte so intensiv und dicht zu erzählen, dass man sie nie wieder vergisst.
Georges und Anne sind seit vielen Jahren verheiratet. Sie verbringen ihre Ruhestand in einer schönen Wohnung in Paris. Gemeinsam genießen sie gutes Essen, gehen von Zeit zu Zeit ins Konzert und interessieren sich vor allem für Literatur. Anne hat früher als Klavierlehrerin gearbeitet und einer ihrer Schüler – Alexandre – ist ein weltberühmter Pianist geworden. Nach dem Konzertbesuch eines Abends geschieht etwas merkwürdiges. Anne sitzt plötzlich ganz starr da und reagiert auf nichts mehr. Georges ruft ihren Namen und schüttelt sie, doch sie ist vollkommen weg. In größter Sorge will Georges mit ihr zum Arzt. Da erwacht sie plötzlich und ist wieder, wie vorher. Sie kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, was geschehen ist. Georges kann sie überreden, zum Arzt zu gehen. Dort wird eine verstopfte Arterie diagnostiziert und eine Operation wird anberaumt. Während der OP geht allerdings etwas schief und Anne erleidet einen Schlaganfall. Von nun an ist sie halbseitig gelähmt und Georges muss sie pflegen. Da Anne Krankenhäuser verabscheut, geschieht das bei ihnen zu Hause.
Der Alltag des Ehepaares ist von nun an von neuen Ritualen geprägt. Bei allem braucht Anne Georges Hilfe. Die ehemals so resolute und selbstständige Frau leidet sehr unter ihrem Zustand und das lässt sie ihren Mann spüren. Auch Georges leidet, und weiß bald nicht mehr, was er noch tun soll. Bei allem, was er versucht, scheint sich Anne immer weiter von ihm zu entfernen. Eines ist für ihn jedoch zu jedem Zeitpunkt klar. Er liebt seine Frau.
Eines haben alle Filme von Haneke gemeinsam: Immer, wenn ich aus dem Kino komme, bin ich vollkommen platt. Der Regisseur vermag es, die Kernbotschaft seines Filmes so klar zu definieren und vor allem darzustellen, dass man an nichts anderes mehr denken kann. Wie schon am Anfang erwähnt, verschleiert sein Stil nichts durch irgendwelche unpassenden künstlerische Einwürfe, sondern zeigt absolut alles auf eine ganz klare Weise. In einigen Filmen hat Haneke eine ganz eigene Weise bei der Darstellung von Gewalt entwickelt. In „Funny Games“ zum Beispiel gibt es keine explizite Gewaltdarstellung. Viel mehr bleibt die Kamera vor der Tür und man hört höchstens einige Geräusche. Der Zuschauer kann sich also nur vorstellen, was passiert. Das hat eine derart starke Wirkung, die das gezeigte Bild niemals erzielen könnte.
In „Liebe“ ist es so ähnlich. Den eigentlichen Krankheitsverlauf sieht man nicht. Es wird darüber geredet und das eigentlich schockierende ist, dass man den zunehmend schlechter werdenden Zustand Annes mitbekommt. Georges Verzweiflung wird – bis auf eine Schlüsselszene - auch nie direkt dargestellt. Man merkt ihm aber an, wie sehr er damit zu kämpfen hat. Die beiden Schauspieler füllen ihre Rollen sehr präzise aus. Sie spielen eben nur so viel, wie nötig ist, um die Figuren der etwas abstrakt wirkenden Metaebene des Konstrukts eines Filmes anzupassen. Eigentlich sehen wir echte Menschen, mit echten Emotionen in einer Situation, die ebenfalls hundertprozentig realistisch ist. Es lässt sich im Grunde gar nicht beschreiben, was denn nun so eindrucksvoll an diesem Film ist und warum es so besonders ist, etwas im Kino zu sehen, das im Grunde alltäglich ist. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Filme künstlich wirken, weil sie nun mal versuchen, die Wirklichkeit nachzumachen, oder eben darzustellen. Michael Haneke schafft es nun tatsächlich, die echte Welt in den Film zu holen. Das ist es, was den Film ausmacht. Was der Film inhaltlich und philosophisch bedeutet, muss jeder für sich selbst entdecken.
„Liebe“ ist einmalig. Niemals zuvor habe ich einen ähnlichen Film gesehen. Noch nie war ein Film so nah an der Wirklichkeit, ohne aufgesetzt oder abstrakt zu wirken. Noch nie habe ich so lange gebraucht, um einen Film sacken zu lassen. Mit diesem Film hat Haneke seinen Segen und seinen Fluch geschaffen, denn ich glaube nicht, dass es ihm noch einmal gelingt, ein solches Kunststück zu vollbringen.
Amour (AT/F, 2012): R.: Michael Haneke; D.: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud, u.a.; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, 12:00 bis 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Regisseur Michael Haneke dagegen hat sich offenbar nie wirklich um die Kunst als visuelles Mittel geschert. Seine Filme zeichnen sich durch einen sehr realistischen Stil aus, ohne dokumentarisch zu wirken. Seine Kunst ist es, eine Geschichte so intensiv und dicht zu erzählen, dass man sie nie wieder vergisst.
Georges und Anne sind seit vielen Jahren verheiratet. Sie verbringen ihre Ruhestand in einer schönen Wohnung in Paris. Gemeinsam genießen sie gutes Essen, gehen von Zeit zu Zeit ins Konzert und interessieren sich vor allem für Literatur. Anne hat früher als Klavierlehrerin gearbeitet und einer ihrer Schüler – Alexandre – ist ein weltberühmter Pianist geworden. Nach dem Konzertbesuch eines Abends geschieht etwas merkwürdiges. Anne sitzt plötzlich ganz starr da und reagiert auf nichts mehr. Georges ruft ihren Namen und schüttelt sie, doch sie ist vollkommen weg. In größter Sorge will Georges mit ihr zum Arzt. Da erwacht sie plötzlich und ist wieder, wie vorher. Sie kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, was geschehen ist. Georges kann sie überreden, zum Arzt zu gehen. Dort wird eine verstopfte Arterie diagnostiziert und eine Operation wird anberaumt. Während der OP geht allerdings etwas schief und Anne erleidet einen Schlaganfall. Von nun an ist sie halbseitig gelähmt und Georges muss sie pflegen. Da Anne Krankenhäuser verabscheut, geschieht das bei ihnen zu Hause.
Der Alltag des Ehepaares ist von nun an von neuen Ritualen geprägt. Bei allem braucht Anne Georges Hilfe. Die ehemals so resolute und selbstständige Frau leidet sehr unter ihrem Zustand und das lässt sie ihren Mann spüren. Auch Georges leidet, und weiß bald nicht mehr, was er noch tun soll. Bei allem, was er versucht, scheint sich Anne immer weiter von ihm zu entfernen. Eines ist für ihn jedoch zu jedem Zeitpunkt klar. Er liebt seine Frau.
Eines haben alle Filme von Haneke gemeinsam: Immer, wenn ich aus dem Kino komme, bin ich vollkommen platt. Der Regisseur vermag es, die Kernbotschaft seines Filmes so klar zu definieren und vor allem darzustellen, dass man an nichts anderes mehr denken kann. Wie schon am Anfang erwähnt, verschleiert sein Stil nichts durch irgendwelche unpassenden künstlerische Einwürfe, sondern zeigt absolut alles auf eine ganz klare Weise. In einigen Filmen hat Haneke eine ganz eigene Weise bei der Darstellung von Gewalt entwickelt. In „Funny Games“ zum Beispiel gibt es keine explizite Gewaltdarstellung. Viel mehr bleibt die Kamera vor der Tür und man hört höchstens einige Geräusche. Der Zuschauer kann sich also nur vorstellen, was passiert. Das hat eine derart starke Wirkung, die das gezeigte Bild niemals erzielen könnte.
In „Liebe“ ist es so ähnlich. Den eigentlichen Krankheitsverlauf sieht man nicht. Es wird darüber geredet und das eigentlich schockierende ist, dass man den zunehmend schlechter werdenden Zustand Annes mitbekommt. Georges Verzweiflung wird – bis auf eine Schlüsselszene - auch nie direkt dargestellt. Man merkt ihm aber an, wie sehr er damit zu kämpfen hat. Die beiden Schauspieler füllen ihre Rollen sehr präzise aus. Sie spielen eben nur so viel, wie nötig ist, um die Figuren der etwas abstrakt wirkenden Metaebene des Konstrukts eines Filmes anzupassen. Eigentlich sehen wir echte Menschen, mit echten Emotionen in einer Situation, die ebenfalls hundertprozentig realistisch ist. Es lässt sich im Grunde gar nicht beschreiben, was denn nun so eindrucksvoll an diesem Film ist und warum es so besonders ist, etwas im Kino zu sehen, das im Grunde alltäglich ist. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Filme künstlich wirken, weil sie nun mal versuchen, die Wirklichkeit nachzumachen, oder eben darzustellen. Michael Haneke schafft es nun tatsächlich, die echte Welt in den Film zu holen. Das ist es, was den Film ausmacht. Was der Film inhaltlich und philosophisch bedeutet, muss jeder für sich selbst entdecken.
„Liebe“ ist einmalig. Niemals zuvor habe ich einen ähnlichen Film gesehen. Noch nie war ein Film so nah an der Wirklichkeit, ohne aufgesetzt oder abstrakt zu wirken. Noch nie habe ich so lange gebraucht, um einen Film sacken zu lassen. Mit diesem Film hat Haneke seinen Segen und seinen Fluch geschaffen, denn ich glaube nicht, dass es ihm noch einmal gelingt, ein solches Kunststück zu vollbringen.
Amour (AT/F, 2012): R.: Michael Haneke; D.: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud, u.a.; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
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