Licht aus! Spot an! oder Wie Sarrazin den Weg ebnete

Es ist so einfach gegen Pegida zu sein. Jetzt, wo sich ein breiter Konsens dagegen formiert und man merkt, dass eine solche Bewegung unschön ist, da ist es ein Kinderspiel. Gleichwohl ist es sicherlich gut, dass man dagegen ist. Aber so zu tun, als sei Pegida der Anfang einer Entwicklung, die man sofort ausbremsen muss, ist reichlich verlogen. Pegida ist das momentane Ende eines Prozesses, der schon seit Jahren in Gang ist.
Licht aus! Spot an! oder Wie Sarrazin den Weg ebnetePegida ist für eine Reihe einflussreicher und prominenter Personen eine moralische Politur. Sie positionieren sich deutlich und nehmen Abstand. In einer Titelstory der »Bildzeitung« sprachen sich viele Prominente gegen diese Bewegung und ihre Wünsche und Forderungen aus. Das ist zwar erfreulich, aber gleichzeitig Ausdruck schlimmster Heuchelei. Nicht nur, dass diese Zeitung Ressentiments gegen bestimmte Gruppen von Migranten geschürt hat - wo war denn der Aufschrei, als man mit Pseudo-Intellekt zündelte? Jetzt knipsen sie diesen Hassbürgern das Licht auch. Gut so. Für Sarrazin machte man damals auch das Licht aus, nur um dann den Spot anzumachen. Dort saß er dann im Lichtkegel als Popstar, als jemand, der eine Meinung hatte, der mutig war, eine unbequeme Wahrheit zu formulieren. Und jetzt, da sich ein durch den Sarrazinismus (ein Utilitarismus mit klassistischen und rassistischen Elementen) gestählter Mob formiert, sind sie plötzlich alle besorgt. Kommt das nicht zu spät?

Die Krönung der Aktion der »Bildzeitung« ist übrigens Bayerns Innenminister Herrmann, der die Pegadisten verurteilt, aber nur eine Woche nach der Präsentation von »Deutschland schafft sich ab« damit anfing, seine Partei gegen die »massenhafte Zuwanderung« in Stellung zu bringen. Wahrscheinlich war das nur Zufall. Wie immer. Oder Bosbach, der Sarrazin in so vielen Positionen beigesprungen war und nun Pegida häßlich findet. Andere in der Riege haben damals gar nichts gesagt. Oder erst, nachdem man fand, dass Sarrazins Positionen dem Standort Deutschland grundsätzlich nicht gut bekommen. Gut, die »Bildzeitung« hat sie seinerzeit auch nicht gefragt.
Noch vor vier Jahren hielt die Kanzlerin die Multikulti-Gesellschaft für »absolut gescheitert«. Jetzt der Schwenk. Pegida scheint so eine Art Fukushima für sie zu sein. Ein Ereignis also, das mal wieder eine ihrer berühmten Umschwenkaktionen begünstigt. Merkel sagte das damals, obgleich Sarrazin schon polarisierte und Schärfe in die Integrationsdebatte brachte. Damals warnte sie nicht vor dem Mann, der wie kein anderer Hass in die Herzen pflanzte. Er holte Parolen vom rechten Rand in die Salons, in die politische Mitte und erhielt Applaus auch von denen, die jetzt vermutlich bei Pegida pilgern. Voigt, Apfel, Pastörs waren ohnehin begeistert. Wo war damals eigentlich der Lucke? Trotzdem sprach die Kanzlerin in diesen Sarrazin-Monaten vom Scheitern in dieser Frage und deeskalierte nicht. Manche werden sagen, dass das verständlich sei, der Mann habe doch bloß ein Buch geschrieben. Aber das ist vielleicht noch schlimmer wie das, was in Dresen derzeit im Dunkeln munkelt - eben weil stärker rationalisiert. Damit fängt es an. Am Anfang war noch immer ein Wort. Mit steilen Thesen begründete Breivik sein Manifest. Abgeschrieben unter anderem bei Broder und seiner islamfeindlichen Haltung.
Das ganze jetzige Verurteilen ist nur eine moralische Egoshow mit der man flanieren geht. Den Anfängen hätte man schon wehren müssen. Aber da war wenig los. Die Sozialdemokraten konnten sich ja nicht mal durchringen, ihren Agitator aus der Partei zu kegeln. Schließlich dürfe der Mann ja eine Meinung haben. Man nickte lieber beschwichtigend und bot ihm ein Forum. Das war die deutsche Leitkultur damals. Mit ein bisschen Moralin kriegt man die Folge dieser Affäre nun nicht wieder hin. Man kann eine Suppe nicht salzen und salzen und salzen und nachher die Tischgäste darum bitten, sie mögen am Salz vorbeischlürfen.

Licht aus! Spot an! oder Wie Sarrazin den Weg ebnete

Die Berliner NPD wirbt mit
Sarrazin-Zitat.

Man liest jetzt oft: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seien immer auch ein Produkt der ökonomischen Verhältnisse. Ja. Schon. Aber eben nicht ausschließlich. Das ist zu materialistisch konstruiert. Sarrazin war doch kein Hartz-IV-Bezieher, oder etwa doch? Ob Broder am Existenzminimum lebt? Ich glaube, die Leute folgen jetzt nur sehr bedingt einem Kleine-Leute-Regionalismus. Sie haben sich die elitäre Fremdenfeindlichkeit angeeignet, wie sie aus den Zeitungen quoll. Die arrogante Attitüde feiner Pinkel halt. Wer nichts hat, worauf er stolz sein kann, schrieb Schopenhauer mal, der könne immer noch auf die Nation, in der er lebt, einen Grund für Stolz finden. Aber die Debatten der letzten Jahre zeigten, dass es gerade in der gehobenen Mittelschicht und unter Akademikern Ressentiments gegen Ausländer vor allem aus Nicht-EU-Ländern gibt. Jetzt so zu tun, als sei das alles nur so eine oberflächliche Sache, die man mit mehr ökonomischer Partizipation wieder kitten könnte, halte ich für viel zu optimistisch. Das ist nur eine Facette des Phänomens. Aber die Sache liegt sicher tiefer. Scheint verwurzelt. Betrifft die Metaebene des neuen Deutschlands.
Und was tun? Seien wir realistisch: Derzeit ist dem wenig entgegenzusetzen. Sicher, man kann jetzt natürlich sein Gesicht in eine Zeitung drucken lassen und über den Mob schimpfen. Aber für moralische Belehrungen ist es zu spät. Verantwortliche Leute wie die Kanzlerin hätten die Deeskalation in dieser Frage vorleben müssen. Und das zu einer Zeit, da die Weichen gestellt wurden. Schon nach den Anschlägen auf das World Trade Center, als man aller Welt erklären wollte, dass in jedem Moslem der religionsbedingte Keim der Gewalt stecke, hätte man entgegenwirken müssen. Man deeskaliert nämlich, bevor es eskaliert. Das hat man jedoch nicht beherzigt. Jetzt sieht es natürlich gut aus, wenn man sich via Pegida moralisch aufwerten kann. Die Gesamtsituation sieht aber nicht gut aus. Ob nun mit Verständnis für die Demonstranten oder moralischer Ächtung: Die Sache ist angerollt und so weit hätte es nie kommen müssen. Wenn es aber mal rollt, dann wird es schwierig. Dann führt jeder noch so gut gemeinte Ansatz zur Verschärfung. Tja, wir leben im Merkelismus und da ist die Alternativlosigkeit Staatsdoktrin. Sogar in solchen Angelegenheiten.
Die allgemeine Hohlheit der Öffentlichkeit fand Merkels Ansprache aber natürlich erstaunlich direkt und kämpferisch. Mensch, die Kanzlerin! Doch gegen diese Horden zu sein ist einfach. Wer mag schon verzerrte Gesichter, Großväter mit Spazierstock und Pärchen, denen die Misanthropie an den Nasenspitzen abzulesen ist? Der Stammtisch wirkt immer leicht angeheitert und peinlich. Man kann ihn gut verabscheuen und findet immer Leute, die den Abscheu teilen. Den Typen im feinen Zwirn als das zu enttarnen, was er damals war, wäre um so viel anstrengender gewesen. Viele von denen, die jetzt gegen diese Bewegung sind, haben das damals nicht erkannt.
Wie gesagt, Pegida ist kein Anfang - es ist das augenblickliche Ende. Und man muss befürchten, dass das nicht das letzte Wort war. Die Radikalisierung greift um sich. Überall. Paris. Europa. Auch in diesem Lande. Die Luft wird dünner. Abwarten, ob die Kanzlerin das heraufziehende innere Elend nicht mit außenpolitischer Glorie bezwingen will. Was immer das dann auch heißen mag.
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