Libyen: Räuber in Sabha

Von Julius Hensel

von John Schacher

Heute erreichte mich ein kurzer Brief von Leonor, der freigegeben wurde und den ich – nach Übersetzung – hier einer breiteren Leserschaft vorstellen darf:

Hallo meine Lieben,

erstmal beste Wünsche. Die Dinge lassen sich nicht so rasch wie erwartet erledigen, weil die Schwierigkeiten im Kontakt nach Libyen jedes Mal immer noch größer werden. Ich warte darauf, dass meine Freunde Libyen verlassen und Tunesien besuchen können, doch gerade jetzt herrscht eine sehr große Unsicherheit bis in die entferntesten Winkel des Landes. Libyen ist derzeit ein Land völlig ohne Gesetz, in dem eine Reise mit der großen Gefahr verbunden ist, ausgeraubt oder getötet zu werden. Deshalb müssen sogar einige Hilfsgüter zurückgesendet, andere eingelagert werden.

Erst heute nacht drang eine bewaffnete Gruppe in das Haus einiger meiner libyschen Freunde ein, in dem sich zu diesem Zeitpunkt nur einige Fekldarbeiter und die Frau meines Freundes aufhielten. Die mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Räuber bedrohten die Feldarbeiter und durchsuchten gerade das Haus nach Wertsachen, als bewaffnete Nachbarn zur Hilfe kamen. Auch mein Freund, der Hausherr, kam bald darauf mit einigen Freunden unter Waffen hinzu.

Nun wissen sie, dass diese bewaffnete Gruppe Häuser und Bauernhöfe überwacht, um sie dann später zu überfallen und auszurauben. Die Organisation von Wachen in der Gegend ist unvermeidlich. Mein Freund sagt, wenn jemand bewaffnet vor dein Haus kommt, bedeutet dies, dass er bereit ist jemanden zu töten – die Einheimischen können das gar nicht fassen, wollen aber natürlich auch nicht sterben…

In dieser Plantage kam es schon vor kurzem zu einem Überfall einer anderen bewaffneten Gruppe, die alles von Wert (auch Persönliches) aus dem Haus raubte. Nun glaubt man, dass die Räuber wegen dem einzigen noch vorhandenen Werkzeug, dem Traktor, kamen. Diese Maschine ermöglicht den Bauernfamilien der ganzen Umgebung, ihr Land zu bestellen und Nahrung zu erzeugen. Der Traktor ist die letzte Brücke dieser Familien zum Überleben.

Ich erzähle Euch das, weil keine Polizei gerufen wurde, da eine Odnungsmacht im Land Libyen nicht mehr existiert. Es gibt keine Polizei, keine Regierung mehr, nur noch KONTROLLE. Die starken Stämme der Gegend verteidigen die Ihrigen schon, aber diese Freunde sind nur sehr wenige in dieser Zone, da der Hauptteil ihres Stammes in einer anderen Gegend des Landes leben.

Dies soll Euch eine Ahnung von den Informationen geben, die ich täglich empfange. Man erzählt uns von “Demokratie” und “Freiheit” in Libyen, während man noch vor einem Jahr problemlos die Haustür offen lassen konnte, da die Menschen noch friedlich und gastfreundlich waren. Die Informationsblockade bewirkt, dass man im Westen absolut nichts von der Realität in Libyen erfährt.

Die Libyer sind völlig schutzlos und Opfer einer künstlich vom Ausland geschaffenen, sehr, sehr schweren Situation. Der NTC versprach kürzlich jeder libyschen Familie 2000 libysche Dinar, meine Freunde verbrachten deshalb 15 Tage in der Warteschlange, verloren Tage mit Bankgängen, aber es traf KEIN GELD ein, weil die Banken einfach kein Geld mehr haben. Das bedeutet: man weiss um die große Not, streut falsche Hoffnungen und tut dennoch absolut NICHTS, um dem Volk zu helfen.

Ich umarme Euch – wir machen trotzdem weiter!
Leonor