erschienen bei reuters
Übersetzung John Schacher
Saif al-Islam Quadhafi, der Sohn und potentielle Thronfolger des gestürzten libyschen Staatschefs Muammar al-Quadhafi, wird innerhalb von zwei Monaten in ein Gefängnis in Tripolis verlegt und dann vor Gericht gestellt werden, erklärte der Vorsitzende der Nationalen Übergangsregierung Libyens (NTC) am Sonntag.
Drei Monate nach seiner Gefangennahme in der libyschen Sahara-Wüste als Beduinen-Stammesangehöriger gekleidet, bleibt Saif al-Islam an einem geheimen Ort im Nordwesten der Stadt Zintan, was auf ein breiteres Problem der mächtigen lokalen Milizen und eine schwache Zentralregierung in dem nordafrikanischen Land zurückzuführen ist.
In einem Interview mit Reuters sagte Mustafa Abdel Jalil die Behörden seien nahe am Abschluss beim Bau eines Gefängnisses im zentralen Tripolis, begonnen noch unter dem späten Muammar al-Quadhafi. In das werde Saif al-Islam verlegt werden.
“In diesem Moment wird er verhört und sein Prozess wird beginnen, sobald die Vollzugsanstalt bereit ist”, sagte Abdel Jalil. “Ich kann keinen genauen Zeitrahmen im Hinblick auf Wochen oder Monate geben, aber es werden nicht mehr als zwei Monate sein.”
Die Zintan-Kommandanten erklären, sie würden Saif al-Islam in ihrem abgelegenen Bergdorf gefangen halten, anstatt ihn Tripolis auszuhändigen, um ihm das Schicksal seines Vaters zu ersparen. Quadhafi wurde von seinen Entführern kurz nach seiner Gefangennahme im Oktober ermordet, sein verwesender Körper öffentlich ausgestellt in einem Fleischkühler in Misrata, bevor sie zu einer unrühmlichen Geheim-Bestattung in die Wüste gebracht wurde.
Saif al-Islam spricht fließend Englisch, war auf der London School of Economics, wurde als West-freundliches Gesicht von Libyen – vor der Umwandlung vom liberalen Reformer zu einer Schlüsselfigur im väterlichen Kampf gegen die Rebellen auf der Suche nach seinem Sturz – gesehen.
Er steht nun wegen Vorwürfen des Mordes und der Vergewaltigung in Tripolis vor Gericht. Im Falle einer Verurteilung könnte ihm die Todesstrafe drohen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, aber Libyen will, dass ihm in seiner Heimat der Prozess gemacht wird. “Durch den Willen Gottes wird Saif al-Islam Gaddafi einen fairen Prozess bekommen und auch all jene, die in diesem Zusammenhang angeklagt werden”, sagte Abdel Jalil.
Mutassim (links) und Saadi al-Quadhafi
Suche nach Saadi
Die im November ernannte Übergangsregierung soll das Land zu Wahlen zu einer Nationalversammlung im Juni führen, tut sich aber schwer, wegen einer Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die Quadhafi nach 42 Jahren an der Macht gestürzt hatten. Und seine Nachkommen fahren fort, weiter einen Schatten auf den ölreichen Staat zu werfen.
Abdel Jalil sagte, Niger habe Saif al-Islam´s Bruder Saadi gehörende Kommunikationseinrichtungen beschlagnahmt, nachdem Al-Arabiya am Freitag mit ihm ein Interview geführt hatte.
Im Telefon-Interview erklärte Saadi, der im September in den Süden nach Niger geflohen war, sagte, er sei in regelmäßigem Kontakt mit den Menschen in Libyen, die sehr unzufrieden mit den Behörden seien und warnte vor einem “kommenden Aufstand” im Land.
Dies veranlasste Libyen, Niger auf die Auslieferung von Saadi zu drängen und die bilateralen Beziehungen durch seine Kommentare als bedroht zu erklären. Doch Niger entgegnete, es könne Saadi nicht aushändigen, weil ihm in Libyen die Exektution drohe.
“Zunächst einmal waren es sowohl der Außenminister von Niger als auch der Premierminister von Niger, die den Kontakt mit ihren Kollegen zu initiieren hatten, um ihre Entschuldigung auszudrücken für das, was passiert ist”, sagte Abdul Jalil. “Ich kann bestätigen, dass die Regierung von Niger alle Maßnahmen und Schritte unternommen hat, alle Kommunikationsgeräte in seinem Besitz konfisziert wurden.”
Libyens Übergangs-Führer hatte im vergangenen Jahr einen Antrag auf Eröffnung einer Untersuchung genehmigt, betreffend Saadi´s Schuld beim Mord an einem Fußballspieler, der in den 1980er Jahren für die Nationalmannschaftgespielt hatte.
“Der Generalstaatsanwalt hat bereits einen Auslieferungsantrag gestellt, Saadi zurück nach Libyen zu bringen – im Licht des Verbrechens, das er auf dem Gebiet des Sports in Libyen begangen hat. Die rechtlichen und strafrechtlichen Verfahren werden in dieser Hinsicht folgen”, fügte er hinzu.
Entwaffnung der Kämpfer
In ihren Bemühungen, die Ordnung wiederherzustellen, hofft Libyens Regierung die Milizen in die nationale Armee und Polizei zu verschmelzen, aber der Prozess geht nur langsam voran.
“Die Fortschritte dieses Programms traten nicht wie gehofft ein, weil wir sie als Individuen und nicht als Gruppen zum Anschluss bewegen wollten”, sagte Abdel Jalil. “Über 10 Prozent sind jedoch den Sicherheitsbehörden beigetreten und übergaben ihre Waffen.”
Behörden untersuchen auch Berichte von Menschenrechtsgruppen, dass ehemalige Rebellen Folterung von Häftlingen in behelfsmäßigen Gefängnissen betreiben. Abdel Jalil sagte, es seien bereits Ausschüsse gegründet worden worden, dies zu prüfen: “Sie werden ihrer Aufgaben bald abschließen und es wird gerichtliche Verfahren in dieser Hinsicht geben…”
Er sagte es gäbe Pläne, die Bewohner von Tawergha, die nun in Flüchtlingslagern leben, zurück in ihre Stadt zu siedeln. Quadhafis Truppen hatten Tawergha während des Krieges als Stützpunkt für Belagerung und Granatbeschuss von Misrata genutzt. Seine Bewohner – überwiegend schwarze Libyer – behaupten, sie seien von Quadhafis Männern als Geiseln gehalten worden und hätten nicht mit ihnen zusammengearbeitet.
Human Rights Watch hat erklärt, die Misrata-Rebellen hätten Häuser in Tawergha und benachbarten Bauerndörfern geplündert und zerstört. Racheakte gegen Flüchtlinge sowie willkürliche Verhaftungenfinden fortwährend statt. “Familien und Kinder werden in ihre Heimat zurückgeschickt werden, sobald diejenigen gefunden sind, die vor Gericht gestellt werden sollen”, sagte Abdel Jalil.
Im Oktober hatte er gesagt, er wolle die neue Ordnung auf der islamischen Scharia basieren. Auf die Frage nach einem islamischen Finanzsystems in Libyen sagte er: “Dies ist eines der grundlegenden Prinzipien des Islam, und ich glaube, dass die internationale Finanzkrise pauschal durch Wucher verursacht wird.”
Auf die Frage nach seiner eigenen längerfristigen Pläne, sagte er: “Mein Leben nach den Wahlen zur Nationalversammlung werde ich nur noch Versöhnungs-Gruppen auf dem Gebiet der nationalen Aussöhnung widmen.”
(Reporter: Marie-Louise Gumuchian und Ali Shuaib; Schnitt Jon Boyle und Ben Harding)
Original: reuters