Spätestens seit der der ersten erfolgreichen Kündigungsschutzklage gegen die insolvente Schlecker ist die Sozialauswahl Thema in deutschen Unternehmen. Als “grob fehlerhaft” stufte das Landesarbeitsgericht in Stuttgart die Vorarbeit der Juristen der Drogeriekette ein. „Die Kündigung ist unwirksam und das Arbeitsverhältnis besteht weiter“, sagte ein Gerichtssprecher. Ihr Urteil begründeten die Richter unter anderem damit, dass die klagende Arbeitnehmerin belegen konnte, dass eine vergleichbare Beschäftigte mit weniger Sozialpunkten nicht gekündigt wurde. Zudem wurde die Sozialauswahl nur unvollständig begründet und der vom Gericht geforderte Interessenausgleich mit Namensliste der gekündigten Beschäftigten nie eingereicht worden (Arbeitsgericht Heilbronn, Az.: 8 Ca 71/12).
Für eine korrekte und damit rechtswirksame Sozialauswahl sind vier gleich zu gewichtende Kriterien relevant:
- die Dauer der Betriebszugehörigkeit
- das Lebensalter
- die Unterhaltspflichten
- eine etwaige Schwerbehinderung.
Maßgeblich ist die objektive Sachlage, Unwissenheit des Arbeitgebers ist kein Grund, einen Aspekt außer Acht zu lassen. So müssen etwaige Unterhaltspflichten ebenso erfragt werden wie eine bisher nicht angegebene Schwerbehinderung. Äußert sich der Arbeitnehmer nach einer angemessenen Frist nicht, müssen die bekannten Fakten zugrunde gelegt werden. Eine lückenlose Dokumentation dieses Recherche- und Bewertungsvorgangs sollte selbstverständlich sein.
Sind alle Daten ermittelt, wird ein Punkteschema erstellt. Arbeitgeber und Betriebsrat können festlegen, wie die Kriterien zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Alternativ ist die Gewichtung der Kriterien in einem Tarifvertrag festgeschrieben. Grobe Fehlerhaftigkeit – und nur die kann das Gericht bei einer Klage gegen die Sozialauswahl prüfen – bei der Punktevergabe ist beispielsweise dann gegeben, wenn es erkennbar an Ausgewogenheit zwischen der Bewertung der einzelnen Kriterien fehlt. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, kann bei der Schemaausarbeitung auf zahlreiche Urteile zurückgegriffen werden, die sich mit entsprechenden Vereinbarungen zur Durchführung der Sozialauswahl befasst haben. Das Bundesarbeitsgericht akzeptiert folgende Richtwerte:
- Betriebszugehörigkeit: Bis 10 Jahre je Jahr 1 Punkt, ab dem 11. Jahr je Jahr 2 Punkte. (Die Betriebszugehörigkeit wird nur bis zum vollendeten 55. Lebensjahr berücksichtigt, wodurch maximal 70 Punkte erreicht werden können.)
- Lebensalter: Für jedes volle Lebensjahr 1 Punkt. (Das Alter wird bis zum 55. Lebensjahr berücksichtigt, damit sind maximal 55 Punkte möglich.)
- Unterhaltspflichten: Je unterhaltsberechtigtes Kind 4 Punkte; verheiratet 8 Punkte.
- Behinderung: Schwerbehinderung bis 50 % Erwerbsminderung 5 Punkte; bei mehr als 50 % je 10 % Erwerbsminderung jeweils 1 Punkt.
Es gilt größte Sorgfalt bei der Bepunktung walten zu lassen, denn unterläuft bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler mit der Folge, dass einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahlen zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt wurde, stehen erfolgreichen Kündigungsschutzklagen entlassener Kollegen Tür und Tor offen. Ob sie letztlich von praktischer Relevanz für den Arbeitnehmer sind, bleibt dahingestellt. Bei einem Insolvenzfall wie Schlecker dürfte eine gewonnene Klage keinen Effekt mehr haben, bei Weiterführung eines sich in der Krise befindlichen, sich “gesund schrumpfenden” Unternehmens können Klagen jedoch existenzielle Auswirkungen haben.