Let’s write a short story – Part 1

Es ist sicher kein Geheimnis, aber auf Senseless Wisdom of Life ging es schon immer mehr um das, was ich schreiben möchte als um das, was möglicherweise jemand lesen mag. Insofern hier eine Warnung, dass dieser Beitrag womöglich von eingeschränktem Interesse sein könnte. :-) 

Ich war schon immer ein (ganz kleiner) Hobbyautor, was auch der Grund für dieses Blog ist. Neben Blogbeiträgen habe ich früher auch schon Kurzgeschichten geschrieben, allerdings liegt meine letzte einige Zeit zurück. Um ein wenig Motivation zu haben und wieder ein wenig reinzukommen, lese ich gerade das Buch Let’s write a short story von Joe Bunting (Link zu Amazon). Das ist ein überschaubares Werk (auf Englisch) bei dem man schrittweise an Kurzgeschichten herangeführt wird und relativ klare Anweisungen (sogenannte Short Story Prompts) kriegt, was man zur Übung zu tun hat. Ich werde (unregelmäßig und je nach Fortschritt) hier im Blog veröffentlichen, was so an Texten bei dem Experiment rauskommt. Die erste Aufgabe war die öffentliche Ankündigung, dass man eine Kurzgeschichte schreiben wird. CHECK. Außerdem sollte man ein Kurzgeschichtenmagazin (oder vergleichbares) abonnieren, das ist dank WWW auch ziemlich einfach, also CHECK. (Ich habe Daily Science Fiction gewählt, das entspricht meinem Lieblingsgenre)

Die ersten beiden Aufgabe zum Schreiben lesen sich so:

Write a scene where something happens, something involving murder, genocide, war, corruption, sacrifice, destruction, starvation, betrayal, or love.

Write a scence where s side-character, who the protagonist cares about, dies.

Ich habe beides kombiniert und das ist dabei herausgekommen. Leider ein bissl deprimierend, aber das mag am Wetter liegen. *g* Mir ist klar, dass das noch nicht ganz rund ist, aber man muss ja erst mal warm werden.

Als Sie fort war

11.02.2011 – 16:45 Uhr - Strömender Regen. Obwohl die Sonne nicht komplett von den Wolken verdeckt werden kann oder will, pladdert es, als gäbe es kein Morgen. Nun, für eine Person stimmt das sogar. Ein eigenartiger Gedanke, finde ich, kann ihn aber nicht loswerden. Für sie würde es kein Morgen geben, kein übermorgen, keine nächste Woche. 

Ich wundere mich, warum Trauergäste offenbar nicht einfach nur Schirme mit auf eine Beerdigung nehmen sondern auch gleich immer noch Schirmträger. Besonders die älteren Damen, wohl Tanten oder Freundinnen von ihrer Mutter, haben alle einen jungen, maximal mittelalten Herren an ihrer Seite, der, sobald Sie aus den Autos geleitet werden einen schwarzen Schirm behände von dessen Schutzhaube befreit. Und plötzlich ragen dutzende Schirme wie schwarze Pilzhüte in die winterlich-verregnete Luft.
Warum müssen alle Leute immer schwarz tragen auf Beerdigungen? Ist es nicht schon traurig genug, wenn man geliebte Menschen zu Grabe tragen muss? Und dann kommen auch noch alle in diesen mit Trauerfarbe getränkten langen Mänteln oder Kleidern. Und Hüten. Ich hätte diese Tradition gebrochen, aber Mutter hatte darauf bestanden, dass auch ich mich dem sozialen Diktat unterwerfe. “Du musst ja nicht auffallen wie ein bunter Hund.”, sagte sie, als sie mir den Anzug von Vater rüberbrachte. “Siehst ja sonst schon nicht anständig aus”. Das ist ein typischer Satz, der zum Teil nach Bestätigung klang, dass sie Recht behalten hatte und zum anderen diesen beherzt vorwurfsvollen Unterton hatte, den ich so gut von früher kannte. Nur an diesem Tag hätte ich gern drauf verzichtet, wenn ich ehrlich bin.
Am Tor begrüßt ihre Mutter die Trauergäste, die meisten bekunden ihr Beileid und äußern sich positiv über das für den Februar recht milde Wetter. Schnee läge hier schon seit einer Woche nicht mehr, höre ich jemandem im Vorbeigehen sagen. Gut, denke ich, sie hatte Schnee immer gehasst.

10.01.2011 – 19:00 Uhr - Ich war nach zehn Stunden im Büro ziemlich fertig zuhause angekommen. Montage waren nie gute Tage, besonders nicht, wenn man nur noch 10 Minuten von der eigenen Haustür entfernt vom Regen überrascht wurde. Triefend nass warf ich meine Klamotten in die Wanne, trocknete mich ab und suchte aus einer der Kisten meinen Bademantel hervor, der wie so viele andere Gegenstände des täglichen Bedarfs noch nicht ausgepackt war. Keine Zeit. 

Aus meinem Kühlschrank, dem bislang einzigen Einrichtungsgegenstand in der Küche, nahm ich ein Malzbier und fläzte mich auf die Couch, die zum Glück noch am Freitag geliefert worden war. Eigentlich hatte ich nur den zweiten Montag im neuen Job Revue passieren lassen wollen, vielleicht mit einer Folge Simpsons oder so.
Doch plötzlich klingelte es und sie stand vor der Tür. Nicht ganz so durchnässt wie ich, aber mit Tränen in den Augen. Wir hatten uns erst letzte Woche wieder getroffen, uns davor aber Jahre nicht gesehen. Wir kannten uns von Kindheit an, gingen auf dieselbe Schule. Die ersten Jahre auf unterschiedlichen Unis hielten wir noch Kontakt, besuchten uns von Zeit zu Zeit. Verliebten uns zur Hälfte. Also ich mich in sie, aber Sie sich nicht in mich. Im Grunde die Story meines Lebens. Der Kontakt brach irgendwann ab. Man könnte meinen, das es vielleicht Absicht meinerseits war, aber es geschah einfach so. Freunde bei Facebook, aber kein Wort in fünf Jahren.
Dann mein neuer Job in London, und wir trafen uns einfach so im Foyer meiner Firma. Zufall nennt man das wohl. Wir hatten uns in ein Café gesetzt und stundenlang geredet. Sie war auch gerade erst mit ihrem Freund hergezogen, kannte keinen Menschen sonst. Ich hab’ mich echt gefreut sie wiederzusehen. Und sie sich auch. Die Erinnerungen kamen wieder hoch und mit ihnen…
Und nun stand Sie hier in meiner Tür mit verlaufenem Make-up. Ihr Freund hatte sich getrennt, überraschend, offenbar war eine andere im Spiel. Ich war etwas perplex, bat Sie herein, hörte zu, versuchte zu trösten. Es war ein komisches Gefühl, sie tat mir leid, aber irgendwie war es auch schön, dass sie da war. Wir bestellten Chinesisch, schauten uns Downton Abbey an. Und dann küssten wir uns. Es war dieses Gefühl von zuhause sein und von gemeinsamer Vergangenheit. Heimat vielleicht, von der wir beide so weit entfernt waren. Mitten in dieser großen Stadt hatten sich zwei Freunde wiedergefunden. Hoffte ich, aber sie hatte Zweifel und brach überstürzt auf. Ich war ihr nicht sofort nachgelaufen und als ich es dann doch tat, konnte ich sie nirgends mehr sehen. Wenn ich doch nur nicht gezögert hätte…

11.02.2011 – 17:00 Uhr - Während ich mit Mutter zusammen in dritter Reihe vor dem Grab stehe, verschwimmt mein Blick, wahrscheinlich der Regen. 

Der Typ soll wohl über 2 Promille im Blut gehabt haben. Es war spät, tiefdunkel, natürlich Montagnacht und er hätte Sie wohl selbst dann nur schwer sehen können, wenn er nüchtern gewesen wäre. Aber so traf er sie nahezu ungebremst. Sie wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, erlag aber nur wenige Stunden später den schweren inneren Verletzungen.
Ich hatte von alldem nichts gewusst, hatte am Vormittag noch eine Kücheneinrichtung gesucht und bestellt, auf dem Weg ins Büro erreichte mich die Nachricht. Ich musste erstmal an den Rand fahren und brach in Tränen aus. Ich weiß nicht mehr, wie ich den Arbeitstag bewältigt habe, aber am Abend saß ich teilnahmslos auf der Couch und ließ die ganzen Bilder Revue passieren. Wir hatten uns nicht mehr gesehen in den zwei Wochen seit Ihres ‘Besuches’. Ihre Eltern erzählten meinen Eltern, dass sie Sie gern in der Heimatstadt begraben wollten. Ich war erst nicht sicher, ob ich dabei sein wollte. Auch wegen Probezeit und so.
Und nun wieder zurück in der Heimat. Der graue Himmel kämpft gegen die Wintersonne. Die Schirmträger kämpfen mit Ästen der niedrig gewachsenen Bäume, die sie immer wieder an der Erfüllung ihrer heiligen Pflicht des Schirmtragens hindern. Und alle kämpfen mit den Tränen als der Priester seine Rede beginnt. Er ist neu in der Gemeinde, kennt sie also gar nicht. Weiß offenbar auch nicht, dass Sie überzeugte Atheistin war. Einige Verwandte sagen nette Dinge, wie sie früher war oder gewesen sein soll. Manchmal scheint es mir, als sprächen sie von einer anderen Person. Viele haben Sie jahrelang nicht gesehen. Ich spüre das Verlangen ein paar Worte zu sagen, wahre Worte, über die Person, die ich lange nicht gesehen hatte und doch so gut kannte. Aber ich kann nicht, traue mich auch nicht, vor all den Leuten, von denen mich eh nur wenige kennen.

Als alle zur Trauerfeier aufbrechen, bleibe ich noch eine Weile am Grab. Nur eine Frage hallt durch meinen Schädel: Was wäre geschehen, wenn an diesem verregneten Montag alles anders verlaufen wäre? Wir uns nicht geküsst hätten und Sie nicht überstürzt aufgebrochen wäre? Vielleicht hätten wir noch einmal unsere Biografien synchronisieren können. Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt. Vielleicht auch nicht.
Und hier bin ich nun, in der Heimat. Nur einige hundert Meter von ihrem Elternhaus. Doch sie ist fort, unendlich weit weg von mir.


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