Es ist schon einige Zeit her, aber da gestern meine Rezension zu einem seiner Bücher erschien, dachte ich, es wäre passend, auch meine Eindrücke zur Lesung wiederzugeben.
Der Artikel erschien bereits auf der Homepage Team Ulm. Eine Art Online-Magazin für die Region rund um Ulm. Da erscheinen im Übrigen öfter mal Eventberichte von mir, falls euch so etwas interessiert. Mein Nickname dort ist mel_go.
Nun aber zur Lesung:
Ferdinand von Schirach: ein deutscher Strafverteidiger, der Bücher aus dem Alltag eines Anwalts schreibt. So spannend wie die Krimi-Serien im Fernsehen kann das nicht sein, oder? Team-Ulm-Autorin Melissa Gößling besuchte am 26. Oktober 2014 seine Lesung, um es herauszufinden.
Der Münchner wurde 1964 geboren, besuchte das Jesuiten-Kolleg in St. Blasien, studierte in Bonn und ließ sich 1994 als Rechtsanwalt nieder. Im Laufe seiner Karriere vertrat er viele prominente Fälle und machte unter anderem von sich reden, als er im Namen der Familie Klaus Kinskis Strafanzeige gegen den Berliner Datenschützer erstattete, der erlaubt hatte, Kinskis Krankenakte zu veröffentlichen. Mit 45 Jahren publizierte Schirach sein erstes Buch „Verbrechen“ und stieg damit in den Bestsellerlisten nach oben. Es folgten „Schuld“ (2010), „Der Fall Collini“ (2011), „Tabu“ (2013) und „Die Würde ist antastbar“ (2014), ein Sammelband der Essays, die er im Spiegel über mehrere Jahre veröffentlicht hatte.
Nun stand Ferdinand von Schirach auf der Bühne des Theater Ulm. Schwarzes Hemd, schwarzes Jackett und eine braune Cordhose. Seriös, zurückhaltend – im Grunde so, wie man sich einen leger gekleideten Strafverteidiger vorstellt.
Ferdinand von Schirach begann seine Lesung mit den Worten: „Ich bin sehr froh, in Ihrer Stadt zu sein.“ Seine Stimme war ruhig, fast monoton. Denn auch das Hotel wäre schön, was für den Autor keine Selbstverständlichkeit wäre. Er erzählte von einem Münchner Hotel, dass nach einer Renovierung zu modern und damit quasi unbewohnbar war.
Nach diesem humorvollen Einstieg, las er die Geschichte namens „Volksfest“ vor, ein Essay erschienen im Spiegel und später im Sammelband „Die Würde ist antastbar“. Das Essay erzählt von einer grausamen Vergewaltigung, die aufgrund mangelnder Beweise nicht zur Verurteilung der bekannten Täter führte. Die Geschichte basiert wie alle seine Erzählungen auf wahren Fällen aus dem Alltag eines Anwalts. „Volksfest“ ereignete sich so oder so ähnlich zu Beginn von Schirachs Karriere: „Wir wußten, dass wir unsere Unschuld verloren hatten und dass das keine Rolle spielte.“ Die Geschichte war der Auftakt der Lesung rund um die Frage „Was ist das Böse? Wer ist Schuld? Was ist recht und was Unrecht?“ Doch anstatt diese Fragen zu beantworten, las und erzählte Schirach weiter Geschichten aus seinen Büchern und aus historischen Dokumenten vor. Zum Beispiel einen Fall aus dem 19. Jahrhundert, in dem Schiffsbrüchige einen sterbenden Schiffsjungen umbrachten und aßen, um überleben zu können. Sollten sie verurteilt werden?
Solche Fragen richtete Schirach in der Lesung direkt an das Publikum. Das Große Haus des Theaters war im Parkett fast voll besetzt und eine rege Diskussion entstand. Es zeigte sich: Strafrecht ist schwierig und die Frage nach Richtig und Falsch oft eine Frage der Abwägung. Zum Schluss befand Ferdinand von Schirach, dass es nun eineinhalb Stunden lang ernst genug gewesen wäre und las noch eine Geschichte aus seinem Buch „Tabu“ vor. Es sei eine Geschichte seiner Lieblingsfigur Konrad Biegler, erklärte Schirach. Das Publikum lachte zu besonders schrägen Szenen, wenngleich die Geschichte selbst eigentlich tragisch ist.
Schirach beendete die Lesung mit einer indirekten Erklärung, warum er Schriftsteller geworden war: „Wahrheit erlebt sich aus dem Praktischen, nicht aus der Literatur.“ So versteht sich auch, warum er über vergangene Fälle schreibt. Und: „Bücher können uns retten.“ Zum Abschluss erklärte der Autor: „Ich bin davon überzeugt, dass es ein Band zwischen Schreibenden und Lesenden gibt.“ Darum wäre er dankbar, dass er den Ulmern vorlesen durfte.
Und diese waren dankbar, dass Ferdinand von Schirach zu ihnen kamen. Denn so spannend wie seine Bücher war auch die Lesung. Dem Autor gelang es auf unverkrampfte Art ohne erhobenen Zeigefinger für große Fragen der Menschheit zu sensibilisieren. Team-Ulm-Autorin Melissa Gößling empfiehlt: Wer nicht die Gelegenheit hat, Ferdinand von Schirach live erleben zu können, der sollte sich unbedingt eines seiner Bücher kaufen und lesen!
Edit: Einige Kurzgeschichten aus Verbrechen sind im Übrigen mittlerweile verfilmt worden. Ausgestrahlt wurden sie, glaube ich, beim ZDF. Vielleicht findet man sie dort ja noch in der Mediathek.