John Steinbeck gilt als Ur-Gestein der amerikanischen Literatur. Und das völlig zu Recht. Mit Von Mäusen und Menschen hat er einen klugen Roman geschrieben, der sich durch seine Nähe zur Gegenwart auszeichnet.
Zwei Freunde mit Träumen
Lenny und George sind zwei mittellose Männer, die auf der Suche nach Arbeit durch die USA trampen. Das ungleiche Duo (der eine groß, kräftig und geistig zurückgeblieben, der andere schmächtig und klug) hat einen Plan: Gemeinsam wollen sie über den Sommer genügend Geld verdienen, um eine Farm zu kaufen. Künftig wollen sie von den eigenen Erträgen leben.
Lenny träumt von ein paar Hasen und George freut sich auf die Unabhängigkeit fernab ökonomischer Zwänge. Steinbeck selbst war als junger Mann zwei Jahre lang als Wanderarbeiter unterwegs und verarbeitet seine Erfahrungen in diesem Schlüsselwerk.
American Nightmare
Während George und Lenny ihre Pläne schmieden, intrigiert die nymphoman veranlagte Frau des Farmbesitzers permanent.
Letztendlich verführt sie den geistig schrankenlosen Lenny und die Ergebnisse spitzen sich auf tragische Weise zu. Von Mäusen und Menschen wirkt zunächst wie eine unspektakuläre Erzählung. Tatsächlich aber führt Steinbeck hier die Illusion des American Dream vor.
Der Autor macht deutlich, dass der American Dream ein Sedativum für die Menschen ist, eine Illusion von Wohlstand und Ruhm. Ähnlich wie für Karl Marx die Religion als Opium fürs Volk diente, so dient der American Dream als Leitstern dazu, die Bürger der Vereinigten Staaten in prekären Verhältnissen arbeiten und sie dem Glück hinterher rennen zu lassen. Deshalb können Lenny und George sich noch so sehr anstrengen: Ihren Traum von der eigenen Farm werden sie nie erreichen.
Elend und Armut
Die Situation der Wanderarbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts war katastrophal. In den 1930er Jahren irrten allein in Kalifornien über 400.000 Männer auf der Suche nach bezahlter Arbeit durch den Staat. Schuld war damals die Weltwirtschaftskrise.
Und wie verhält es sich mit diesem Thema in der Gegenwart? Derzeit gibt es weltweit über 200 Millionen Wanderarbeiter und auch wir sind von einer Wirtschaftskrise getroffen. All diese Wanderarbeiter hoffen auf ein besseres Leben, das viele von ihnen wahrscheinlich nicht erreichen werden. John Steinbecks Roman ist also aktueller denn je.
Das “fahrende Volk” ist kein Phänomen der modernen Industriegesellschaft. Bereits im Mittelalter zogen die Ausgestoßenen, die sogenannten Außerständischen, durch die Länder. Umso wertvoller ist Steinbecks Erzählung, da sie zeigt, dass es auch in einer kapitalistischen Gesellschaft Randgruppen gibt, die trotz eigener Anstrengungen keine Chance auf einen Aufstieg haben.
Betrachten wir die USA, sehen wir, dass Armut weit verbreitet ist. Laut Angaben der Organisation Poverty USA lebt jeder sechste US-Amerikaner unterhalb der Armutsgrenze, fast 47 Millionen Menschen also. Nach Berechnungen der NGO ist darüber hinaus jeder siebte im Land obdachlos. Insbesondere die Südstaaten sind von der Armut betroffen.
Steinbecks ungebrochene Wirkung
Auch auf der Leinwand ist Von Mäusen und Menschen beliebter Stoff. Etliche Male wurde das Buch verfilmt, was sowohl am Inhalt, als auch an der Konzeption liegt. Steinbeck verfasste sein Werk als Schauspiel und erleichterte es damit Regisseuren enorm, die Geschichte auf Zelluloid zu bannen. Die wohl berühmteste Verfilmung
Fazit
Ob Film oder Buch — diese Erzählung lohnt sich. Präzise und schonungslos legt der Autor die Schwachstellen des amerikanischen Selfmade-Traums frei. Von Mäusen und Menschen handelt von Ungleichheit und überzeugt dabei mit einer klaren, spannenden Handlung.
STEINBECK, JOHN: Von Mäusen und Menschen. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, 128 S., 6,90 €
Autoreninfo: John Steinbeck ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Nach einem abgebrochenen Studium schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, die ihn und sein Schaffen für immer prägen sollten. Mit 33 Jahren landete Steinbeck seinen ersten nennenswerten Erfolg.
Seine Bücher thematisieren fast immer das Leben gesellschaftlicher Außenseiter bzw. unter extremen Umständen lebende Menschen und sind in einem leicht verständlichen, empathischen Stil geschrieben.