Evie ist 17 und steht dem Tod näher als die meisten Teenager. Auf der Kinderkrebsstation wartet sie auf das Unvermeidliche. Bis etwas völlig Überraschendes geschieht.
Ohne Netz und doppelten Boden
Die Besonderheit an Evies Geschichte ist, dass ihre schwere Erkrankung nur einen Teil des Romans ausmacht. Zu Beginn dreht sich ihr ganzes Universum — ihre Familie und Freunde, der Tagesablauf, die Sorgen, Ängste und Gedanken — um den Krebs, der sie von innen auffrisst.
Entsprechend intensiv sind die Banden, die Evie im Krankenhaus schließt und von deren Unerschütterlichkeit sie fest überzeugt ist. Bis ihr der Boden unter den Füßen genauso plötzlich wieder zurückgeschoben wird, wie er ihr einst weggerissen wurde.
Helden des Alltags
So findet Evie sich in Situationen wieder, die bei ihren Ärzten Panikattacken auslösen. Sie kifft, bricht aus dem Krankenhaus aus und verfällt Hals über Kopf einem Fremden.
Evie ist nicht mehr das pomadierte Cheerleader-Mädchen, das jahrelang im Fruchtwasser puritanischer Gleichförmigkeit strampelte. Sie ist von einem Tag auf den anderen in einen Hurricane geraten und konnte sich daraus befreien. Nun tobt der Sturm in ihr, während die Stille in ihren Mitmenschen geblieben ist.
Schlüssel-ohne-Schloss — Prinzip
Evie hingegen befand sich im Auge der Gefahr, hat den Urgrund von Leben und Tod hautnah erfahren, während ihre Freunde nur mitleidig vom sicheren Ufer aus zuschauten und sich ihre größten Lebensfragen noch immer um das Abschlussballkleid oder die richtige Sportart auf dem Campus drehen. In diese Welt zurückzukehren, kann nicht funktionieren. Diese gegenseitige Verschlossenheit zeigt Autorin Amy Reed eindrucksvoll.
Was macht ein schwerer Schicksalsschlag mit einem jungen Menschen? Und was macht dieser Schicksalsschlag, wenn er nicht in einer ebenso finalen wie erwarteten Konsequenz endet?
Wenn der Vorhang doch nicht fällt, sondern der vom umstehenden Publikum längst für tot erklärte Protagonist quicklebendig auf der Bühne steht. Soll man applaudieren? Jubeln? Sich Sorgen machen?
Für oder gegen mich?
Evies Geschichte ist die eines Mädchens, das unter widrigsten Umständen zur Frau heranwächst. Ihre Freundin Stella hat die Richtung gewiesen, in die sie gegen muss. Ihr Rat:
“Hau im Leben auf die Kacke!”
Und den befolgt Evie gewissenhafter als die Rolle, die ihre klettig-romantische “bessere” Hälfte Will und ihre Familie ihr aufdrücken wollen - das brave, angepasste Beinahe-Opfer zu sein. Evie rebelliert, aber nicht aus einem pubertären Trotz heraus, sondern weil sie die Tiefe, die groteske Vielschichtigkeit des Lebens erkannt, erfahren und angenommen hat.
Stars without fault
Damit unterscheidet Evie sich von Hazel Grace in Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Hazel rebelliert nicht gegen ihren Krebs und schon gar nicht gegen ihr Umfeld. Sie lehnt sich gegen das Schicksal auf, ja, aber sie bewegt sich stets innerhalb der Grenzen des Duldsamen, des Angepassten.
Das “Wunder” jedoch, von dem Evies Familie permanent spricht, ist einem symbolischem Befreiungsschlag von eben jenen Konventionen und Ketten zu verdanken, die sie zuvor vergiftet und eingesperrt haben.
Seichtes erscheint ihr deshalb seicht, weil sie die dahinter stehende Feigheit erkannt hat. Alles Große, alles Schöne, das weiß Evie, ist einzigartig und muss errungen werden.
Fazit
Abschied für immer und nie
Reed verwebt eine traurige Geschichte mit ganz normalen Sorgen US-amerikanischer Jugendlicher. Heraus kam dabei eine hochinteressante Melange, unverkitscht und herzlich. Lesen!
REED, AMY: Abschied für immer und nie. Roman. HarperCollins Germany, Hamburg 2015, 304 S., 16,90 €
Autoreninfo: Amy Reed ist eine US-amerikanische Autorin, die in Seattle geboren wurde. Ihr frühes Leben war geprägt von häufigen Umzügen. So besuchte sie bis zum Alter von 18 Jahren insgesamt acht verschiedene Schulen. In ihrem Büchern wie Clean