Lesestoff – für September

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Und diesmal freut mich das besonders, kommt die “Titelgeschichte” des besten, aller kostenlosen Internetmagazine für Grenzbereiche des Wissens, doch direkt aus meiner Heimatstadt Innsbruck! Und da kann man wieder einmal sehen, das die interessantesten Dinge oftmals genau vor “unseren Augen” liegen können, aber daß man jahrelang achtlos daran vorbei gehen kann. Lasst uns also immer mit offenen Augen und wachem, eingeschalteten Verstand, unsere Umgebung betrachten. Euch allen wünsche ich, ein schönes und entspanntes Wochenende, im Kreise eurer Lieben und Freunde …

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Falls „Sakrileg“-Autor Dan Brown Stoff für einen neuen Roman sucht, sollte er in die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck pilgern. Er könnte dort das hartnäckigste Schrifträtsel der Habsburger Kaiserzeit bestaunen.

Ein wahres Schmuckstück im Kern der Altstadt überstrahlt dort alles: das Goldene Dachl! Der dreigeschossige Prunkerker mit seinem fast vier Meter hohen vergoldeten Schindeldach enthält eine Fülle an ungeklärter Symbolik und sonderbarer Wandmalerei. Die meisten Historiker gehen bis heute davon aus, dass es auf Wunsch von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) entstanden ist. Dennoch wurde das Haus mit dem Goldenen Dachl nie als kaiserlicher Wohnsitz genutzt. Welchen Sinn erfüllte es dann? image <- Goldenes Dachl

 

Aufmerksame Beobachter kommen beim genaueren Studium aus dem Staunen nicht heraus: Da wimmelt es geradezu von schwer deutbaren Miniaturen, schalkhaften Skulpturen, unverständlichen Fresken und obszönen Anblicken. Am meisten wird über orientalisch kostümierte Tanzakrobaten in wilden Posen gerätselt– sowie über unlesbare Schriftzeichen an der Prunkfassade,
die an griechische, lateinische, hebräische und arabisch-kufische Buchstaben erinnern.

Insgesamt sind an den Außenwänden der Balkonbrüstung im zweiten Obergeschoß zehn beinahe vollplastische Reliefplatten aus Sandstein angebracht. Die dargestellte Bildfolge wird von Kunstexperten als „mittelalterlicher Moriskentanz“ interpretiert. Das Typische dabei sind halsbrecherische Körperverdrehungen der Teilnehmer. Die bizarr anmutenden Bewegungen und wilden Luftsprünge erinnern verblüffend an die moderne Tanzform des „Breakdance“, der in den 70er-Jahren auf den Straßen von
New York entstand.

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Weshalb hat Kaiser Maximilian die Moriskentänzer ins Zentrum seines Denkmals gesetzt? Dienten die Verrenkungskünstler und Fratzenschneider wirklich nur der Volksbelustigung, wie Historiker versichern? Oder könnten sie ebensogut Sinnbilder geheimen Wissens sein? So abwegig scheint der Gedanke nicht, denn der Ausdruckstanz war früher häufig mit magischen und religiösen
Vorstellungen verknüpft.

Antworten auf viele offene Fragen birgt wohl das rätselhafte Spruchband. Darauf befinden sich Dutzende vergoldete, schriftähnliche Zeichen, schwarz umrandet. In Unterbrechungen verlaufen sie über zehn rund 82 mal 60 Zentimeter große Relieftafeln der offenen Loggia und stehen offensichtlich in direkter Beziehung zur Moriskenszene. Dennoch ist es Linguisten bis heute nicht gelungen, sie zu entziffern.

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Für Schlagzeilen sorgte das Dachl nicht zuletzt im Herbst 2009. Damals sollte die mysteriöse Inschrift von interessierten Bürgen „poetisch“ entschlüsselt werden. Die prominente Schirmherrschaft der „lyrischen Enträtselung“ übernahm der bekannte Dramatiker, Schauspieler und Drehbuchautor Felix Mitterer. „Ich lebe seit 1962 in Innsbruck, und wie die meisten Innsbrucker bin ich immer achtlos beim Goldenen Dachl vorbeigegangen“, erklärte das Tiroler Multitalent freimütig und fügte hinzu:
„Was mir als junger Mensch auffiel, waren die Tänzer mit ihren wilden Verrenkungen. Wenn ich als Jugendlicher unterwegs war in die Disco, habe ich mir gedacht, die haben um 1500 auch schon super getanzt! Das Schriftband ist uns Tirolern wenig ins Auge gesprungen.“ Bis Ende November 2009 konnten fantasiebegabte Zeitgenossen ihre Dichtkunst unter Beweis stellen. Doch auch sie vermochten das Rätsel nicht zu lösen. Kunsthistoriker betonten derweil, die kryptischen Zeichen auf der Banderole enthielten vorwiegend „hebräisierende“ Merkmale, weil der Bildhauer echte hebräische Buchstaben kopierte, ohne deren
Sinn zu kapieren. Einfach so, aus Jux und Tollerei. Mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss!

Dass der Geheimcode nicht bloß aus banalen „Fantasiezeichen“ besteht, bestätigt auch Esther Fritsch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Tirol. Sie konnte belegen, dass etliche Chiffren „eindeutig hebräische Buchstaben“ sind. Allerdings stünden manche davon „auf dem Kopf, andere sind spiegelverkehrt“ angebracht. Erschwert würde eine exakte Entzifferung auch deshalb, weil manche Buchstaben bereits „zu stark verwittert sind, in den Einbuchtungen der Profilleiste verschwinden, oder teilweise von Körperteilen der Figuren verdeckt sind“. Welchem genialen Geistesblitz haben wir dieses Bauwunder zu verdanken? Keine einzige historische Quelle nennt einen Meisternamen! Noch schwieriger ist die Meisterfrage bei den Wandfresken zu beantworten. Hier deshalb ein Tipp für neugierige „Mystery-Jäger“: Wer die Reliefplatten mit den rätselhaften Schriftzeichen aus nächster Nähe in Augenschein nehmen möchte, wird im Innsbrucker Landesmuseum Ferdinandeum an der Museumstraße 15 fündig. Dort werden –witterungsgeschützt – die Originale aufbewahrt.

Wer auch immer die fähigen Kunstschaffenden des Dachls gewesen sein mögen, sie haben letztlich die strengen
Vorgaben ihres Auftraggebers und Förderers in die Tat umgesetzt:

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Kaiser Maximilian I., dem durchaus zuzutrauen ist, den tiefgründigen Facettenreichtum seines Denkmals samt Schrifträtsel höchstpersönlich erdacht zu haben. Die Lebensgeschichte des Habsburgers zeichnet einen strahlenden Held, der als Universalgenie in die österreichischen Annalen eingegangen ist. Das Bild mag traditionell glorifiziert sein. Dennoch war der am 22. März 1459 in Wiener Neustadt geborene Maximilian I. („Der letzte Ritter“) zweifelsohne eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Als wagemutiger Feldherr, Erzherzog von Österreich, deutscher König und seit 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, besaß der Mann herausragende Fähigkeiten:

Er war Ballistik Experte, fabelhafter Reiter, Jäger, Naturfreund, Bergsteiger, Tischler, Mathematiker, Astronom, Dichter, Maler, Musiker, Tänzer, Architekt und Alchemist. Obendrein war er ein geniales Sprachtalent, widmete sich der Magie und dem Hexenwesen und förderte bedeutende Gelehrte.

Doch damit nicht genug: Beim Studium im Innsbrucker Stadtarchiv, in der Badgasse gleich hinter dem Goldenen Dachl, stieß der Autor dieses Artikels auf einen erstaunlichen Vermerk der Geschichtsforscherin Johanna Felmayer. In ihrem 1996 veröffentlichten Kunstband „Das Goldene Dachl in Innsbruck“ erwähnt sie nebenbei: „Maximilian I. hat seine Mitteilungen zwar verschlüsselt, aber nichts dem Zufall überlassen. Er hat ja auch Tagebücher in einer selbst erfundenen Geheimschrift geführt.“

Und in einer kleinen Fußnote wird ergänzt:

„Der ehemalige Stadtarchivar Dr. Karl Schadelbauer hat mir solche einmal über den Tisch hinweg gezeigt. In die Hand nehmen
durfte ich sie nicht. Sie sind auch nieder Forschung zugänglich gemacht worden.“

Das wirft brisante Fragen auf: Wo werden die Bücherheute aufbewahrt? Hat sich je ein Schriftexperte mit ihrem Inhalt befasst? Konnte der Text entziffert werden? Haben Kryptografen Vergleiche mit den unlesbaren Zeichen am Goldenen Dachl durchgeführt? Anfragen an den Stadthistoriker und Archivleiter Lukas Morscher, wo denn die Tagebücher Maximilians aufbewahrt werden, wurden von dessen Mitarbeiterin Daniela Jänsch abschlägig beantwortet: „Ich darf Ihnen mitteilen, dass Herr Dr. Morscher und sein Vorgänger die ‚Geschichte‘ zwar kennen, aber nicht wissen, wo sich ein Exemplar der Tagebücher befindet…“

Merkwürdig! Die von Hand geschriebenen Aufzeichnungen von Kaiser Maximilian, die auch als „Gedenkbücher“ bezeichnet werden, müssten doch derart berühmt sein, dass sie in der Kunstgeschichte einen wichtigen Platz einnehmen. Johanna Felmayer folgend sollte man zudem annehmen, dass die wertvollen Stücke einst Bestandteil der Sammlung in Innsbruck waren – weil sie ihr dort ja vom ehemaligen Stadtarchivar Schadelbauer (1902–1972) gezeigt wurden. Wieso fehlt dann aber im Stadtarchiv eine Bestandliste, die das bestätigen könnte? „Die Bücher waren bei uns nie inventarisiert und somit nicht im Besitz des Archivs“, beteuert Daniela Jänsch, räumt aber ein, dass es „immer wieder Gründe und Fälle gibt, in denen Archivalien verschwinden“.

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Wer nun glaubt, Johanna Felmayer könnte geflunkert haben, zielt ins Leere. Außer ihr existiert nämlich noch ein zweiter ehrbarer Zeuge: Der renommierte Grazer Universitätsprofessor und Maximilian-Spezialist Hermann Wiesflecker (1913–2009). In seinem mehrbändigen Standardwerk über Maximilian schrieb er, dass „fünf Tagebücher erhalten“ sind. Und auch er betonte,
dass sie in einer „Geheimschrift“ abgefasst worden seien, die nur Maximilian lesen konnte.

Weitere Nachforschungen führten ins Tiroler Landesarchiv, dann ins Steiermärkische Landesarchiv und schließlich ins Österreichische Staatsarchiv. Der Direktor der Sammlung, Thomas Just, gab den entscheidenden Hinweis. Er versicherte, dass es die Bände tatsächlich gibt, und dass sie – anders als etwa „Hitlers Tagebücher“– wirklich authentisch sind. Eines dieser raren Stücke wird in der staatlichen Urkundensammlung aufbewahrt, weiß der Bibliothekar. Dieses enthält zwar „keine Einträge in Geheimschrift, aber es befinden sich noch vier weitere Gedenkbücher in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek“. Bingo! Denn zumindest in einem dieser Codices wird ein Geheimcode ausdrücklich genannt.

Er wurde in den Jahren 1509 und 1513 von Kaiser Maximilian verfasst, wobei zusätzlich eine spezielle „Eilschrift“ erwähnt wird, die in dem „Tagebuch“ Anwendung fand. Maximilians persönliche Geheimberichte hatten sich also doch nicht in Luft aufgelöst! Der Chronik zufolge wurden sie im Jahre 1665 aus Schloss Ambras in Tirol nach Wien in die Hofbibliothek des Habsburgischen Kaiserreichs gebracht – heute die „Österreichische Nationalbibliothek“. Wie Archivar Friedrich Simader auf Anfrage bestätigte,
sind die Unikate im Hauptkatalog ab 1992 verzeichnet, aber „kurz gefasste Studien, die sich explizit mit der Geheimschrift Maximilians beschäftigen, ließen sich nicht ermitteln“.

Was dabei stutzig macht: „Es gibt nur eine Abbildung in einem digitalisierten Katalog, aber kein nachweisbares Fotonegativ.“ Trotz mühsamer Sisyphusarbeit, lässt sich ein Erfolg bei der Spurensuche verbuchen: Das sogenannte „3. Gedenkbuch“ von Kaiser Maximilian, das als „Cod. 2900“ in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird, ist in lateinischer Schrift verfasst und enthält zumindest einige Passagen in verschlüsselter Form!

Eine auffällige Ähnlichkeit zu den Geheimzeichen des Goldenen Dachls ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Doch die wissenschaftliche Aufarbeitung dazu ist keineswegs abgeschlossen. Sicher ist nur: Kaiser Maximilian I. war ein Schriftkundiger Geheimnisträger, der gerne Informationen verschleierte oder codierte. Warum sollte das bei der Rätselbanderole auf der Balkonbrüstung „seines“ Goldenen Dachls anders gewesen sein?

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Der jüngste Lösungsvorschlag zum Bilderrätsel stammt übrigens von Herwig Brätz. Der Forscher hat das Kunstwerk in jahrelanger Arbeit auf mathematische und astronomische Aspekte untersucht. Bei Vergleichsanalysen mit der Himmelskarte
des deutschen Hofkartographen Peter Apian (um 1495–1552) fiel Brätz aus allen Wolken. Denn er entdeckte erstaunliche topografische Gemeinsamkeiten mit astronomischen Konstellationen und verborgener Zahlenmystik. Seinen Studien zufolge können die dargestellten Personen und Tiere des Balkongemäldes als symbolische Himmelskörper aufgefasst werden. In seiner Auslegung entspricht das dortige Pferd der Sterngruppe Pegasus und die Burgkulisse dem Himmelsgewölbe. Wenn man diese Deutung zulässt, so Brätz, dann könnte das gesamte Gemälde „als irdische Interpretation einer Himmelsszenerie verstanden werden – eines Spiels der Götter, welches nur der Eingeweihte durchschaut“.

Brätz geht sogar noch einen kühnen Schritt weiter, wenn er vermutet, dass der gesamte „Innsbrucker Stadtplan in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Bildprogramm des Goldenen Dachl steht, dass es also nicht um eine abstrakte Geometrie
geht, sondern um die Vermessung und Formung eines realen Stückchens Erde“. Verbindet man die Standorte des Goldenen Dachls etwa mit besonderen lokalen Plätzen, heute markiert durch die Kirchen Jakob, Spital, Serviten, Johannes sowie dem ehemaligen Kloster der Ursulinen, dann offenbart sich daraus die Anordnung des Sternbildes Taube, einer Sternkonstellation südlich des Orion. Nimmt man einen Stadtplan von Innsbruck zur Hand und vergleicht ihn mit dem Sternbild Taube,ergeben sich weitere Übereinstimmungen: Das Goldene Dachl entspricht dem hellsten Stern Alpha Columbae. Geht man davon aus, dann liegt nordöstlich der Stern Epsilon. Seine Position deckt sich mit dem Dom zu St. Jakob. Südlich, im Zentrum des Sternbildes, befindet sich Beta, ein Stern, der dem Standort der Spitalkirche entspricht. Westlich davon liegt der Stern Gamma. Und so weiter, und so fort. Denn Bätz benennt in diesem Zusammenhang etliche weitere „himmlische Koinzidienzen“. Reine Zufälligkeiten? Wohl kaum! 

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geschrieben von  Reinhard Habeck / www.reinhardhabeck.at

Reinhard Habeck
geboren 1962 in Wien, arbeitet seit 1987 als freier Schriftsteller und Illustrator. Auf den Spuren „unmöglicher Funde“ bereist Habeck die wundersamen Schauplätze
der Welt, über die er packend und unterhaltsam berichtet. Habeck ist Mitinitiator der Wanderausstellung
„Unsolved Mysteries“, die seit 2001 hunderte archäologische Rätselfunde präsentiert. Der Autor veröffentlichte
17 Bücher über grenzwissenschaftliche Phänomene, darunter den Bestseller „Das Licht der Pharaonen“ (mit Peter Krassa). Seine Werke erschienen u. a. in Korea,
Japan, Italien, Ungarn, Tschechien und Polen.

Quellennachweis: http://www.mystikum.at/



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