KINDLE
"Weißt du eigentlich, dass du was besonderes bist, mein Junge?", meinte Leander Knight an diesem Morgen und nippte an seinem Kaffee. Der Halbengel, Jason Dawn, Weston und Shan - die Hybridenvampire - saßen gemeinsam im Frühstücksraum des Landhauses, allerdings befanden sich nur zwei Gedecke auf ihrem Tisch. Die Anwesenheit der Vampire betrachtete Jason immer noch mit Argwohn, trotz aller Freundschaft, die ihn mit ihnen verband. Er wollte gar nicht wissen, was sich in ihren Kaffebechern befand."Wieso?", fragte er jetzt und blickt erstaunt in die Runde, während er sein Brot aß. Leander lachte leise. Er war neben Jason der Einzige am Tisch, der menschliche Nahrung bedenkenlos zu sich nehmen konnte. "Weil du der einzige Mensch bist mit einer vampirischen Vergangenheit. Sonst ist das immer umgekehrt."Jetzt lachte der ganze Tisch. Nur Jason war nicht zum Lachen zumute, er verschluckte sich, hustete, und musste von Leander mit ein paar kräftigen Schlägen auf seinen Rücken wieder zum Durchatmen gebracht werden. "Das...", keuchte er, "…find ich echt nicht witzig." Er holte tief Luft und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Die anderen jungen Hybriden feixten und grinsten immer noch, doch der Spaß auf seine Kosten hatte die Atmosphäre zwischen den Männern gelockert. Jason bedachte seine Vampirfreunde mit einem durchdringenden Blick aus den dunkelbraunen Augen. "Und wenn ich mich recht erinnere, war ich bereits schon einmal menschlich", betonte er dabei mit Nachdruck. Die Hybriden schwiegen, das war lange vor ihrer Zeit gewesen, bevor sie sich alle als Band zusammengefunden hatten. Nur Leander konnte sich gut daran erinnern. An die tragische Zeit, als Rita eine Unsterbliche, aber kein Vampir war, und Jason selbst wieder ein Mensch. An die eifersüchtige Hybridenvampirin Lioba Olsen, die ihn mit einem Trick auf eine Geschäftsreise lockte und ihn dort zum zweiten Mal von einem russischen Vampirfürsten wandeln ließ. In dieser Nacht beging die unglückliche Rita Hold in Hamburg Selbstmord mit dem Dolch der Hekate. Zwar konnte Leander Knight sich damit trösten, dass ihre Seele nicht so verloren gegangen war wie die eines Vampirs - was er Jason gegenüber auch zum Ausdruck gebracht hatte -, trotzdem war der Verlust für den neugeborenen Fürsten der Neuzeitvampire so schmerzhaft, dass er sich in ein blutgieriges Monster verwandelt hatte. Zum Glück nur für kurze Zeit. Und mittlerweile waren die alten Fürsten, die wandlungsfähige Vampire hervorbringen konnten, alle vernichtet worden. Allerdings war ihm nicht bekannt, ob sich noch irgendwo Grenzgängervampire im Tiefschlaf befanden, die irgendwann erwachen würden. Bei ihnen bestand zumindest eines 50prozentige Chance, einen wandlungsfähigen Vampir zu schaffen. Diese Möglichkeit musste man nach wie vor im Auge behalten.Der Halbengel räusperte sich nun und durchbrach so die Stelle. "Wenn ich kurz daran erinnern darf, wir sollten uns wieder dem Sinn unserer Mission zuwenden." Seine Gefährten nickten zustimmend und gleichzeitig erleichtert. Sie waren schließlich immer noch auf der Jagd. Der Jagd nach einem sehr alten Vampir, einem ehemaligen Hohepriester von Atlantis. Miles und Valentina befanden sich zurzeit in der Nekropole unter dem Vatikan, um die neue Liste der Seelenlosen zu erstellen. Zwischen den beiden hatte es gefunkt, und sie waren froh, eine Weile allein sein zu dürfen. Seine Bandkollegen gönnten dem introvertierten Bassisten sein Glück, es kam nur zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.Der atlantische Hohepriester Chyriel hielt sich dagegen in Rom auf und durchforstete voller Eifer die Bibliothek des Vatikans. Unter dem Vorwand einer journalistischen Recherche befragte der Atlantisvampir zudem einige der hohen Würdenträger nach dem Verbleib des "Lichthüterordens", doch niemand konnte ihm Auskunft geben. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen und führte seine Nachforschungen in den Zeitungsarchiven weiter. Sprachbarrieren kannte er ebenso wenig wie die Vampire oder wie Leander Knight, die ihm auf der Spur waren. Die Karten und die Waffen waren eigentlich ziemlich gleich verteilt, es kam nur darauf an, wer schneller und cleverer war. Das dachte zumindest Chyriel zu diesem Zeitpunkt. Dabei bedauerte er, dass es diesem menschlichen Seher so rasch gelungen war, den entführten Stuart aufzutreiben. Er hätte sich gewünscht, dass sein Ablenkungsmanöver länger angedauert hätte.