Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Unterhaltung lesen? An ein Gespräch? An TV-Shows, Filme und Musik? Unterhaltung im Sinne von Konversation jedenfalls findet zwischen Menschen statt. Ok, manchmal auch zwischen Menschen und Katzen, Hunden oder Pflanzen, wenn sie lange nicht mehr gegossen wurden. Aber doch nicht mit Büchern! Oder?
Themen dieses BeitragsInhalt: Das Gespräch mit den Buchstaben | Die Eitelkeit muss draußen bleiben | Wie die Unterhaltung beeinflussen? | Fazit Den Beitrag im Stream anhören: https://archive.org/download/LesenEinGesprach1/Lesen_ein_Gesprach(1).mp3Das Gespräch mit den Buchstaben
Schon klar, keiner redet mit seinem Buch. Schließlich sind das nur Seiten voller Buchstaben, tot und stumm. Doch wenn das wirklich so ist, dann frage ich Sie: Haben Sie sich bei der Lektüre eines spannenden Thrillers wirklich ruhig gefüllt? Oder wippten Sie vielmehr nervös mit ihren Beinen, blättern hastig die Seiten um, spürten den Puls in die Höhe schnellen, weil Sie das Ende der Geschichte nicht erwarten konnten?
Ergriff Sie nicht das berüchtigte Lesefieber? Das Wort kommt nicht von ungefähr. Wenn wir in ein Buch eintauchen, in seine Charaktere, seine Geschichte und die Szenerie, dann sind wir mittendrin. Die Welt um uns herum verwischt zu einem grauen, vorbeiziehenden Schleier. Es gelingt dem Autor nicht immer, uns derart in den Bann zu ziehen. Falls doch, dann führen wir ein Gespräch mit ihm. Wie passt das zusammen?
Die Eitelkeit muss draußen bleiben
Manche Menschen wollen Autoren werden, weil sie glauben, sich auf diesem Wege selbst verwirklichen zu können, ja gar unsterblich zu werden. Problematisch an diesen Zielen ist, dass sie dem Leser keine Beachtung schenken. Warum sollte ich ein Buch kaufen, in dem es nur um die persönlichen Eitelkeiten eines Unbekannten geht? Klingt hart?
Überlegen Sie mal: Welche Bücher haben Ihnen am meisten gegeben? Wahrscheinlich die, in denen Sie tolle Geschichten bzw. Rat, Trost oder Hilfe gefunden haben. Natürlich fällt darunter auch die Biographie. Doch auch eine Biographie muss einen Mehrwert für die Leser haben. Entweder kommt eine berühmte Persönlichkeit zu Wort, oder ein Mensch, der Erstaunliches geleistet hat. Wenn Lieschen Müller ihren Lebenslauf aufschreibt, dann ist das schön für Lieschen Müller, aber wenig interessant für den Leser.
Der Autor spricht also nicht zu uns, indem er auf jeder Seite zeigt, was für ein toller Hecht er ist. Wenn er seine Sache gut macht, dann bewegt er sich beinahe unsichtbar durch das von ihm gesponnene Netz der Wörter. Ein berühmter Spruch lautet:
„Ein Autor ist wie Gott. Immer präsent, aber nicht sichtbar.“
Führen wir also eine Unterhaltung mit einem Geist? Im Grunde schon. Mit dem Geist des Autors, der sich, so sehr er sich auch zurücknimmt, in Form, Sprache und Erzählweise ausdrückt. Wir sehen seine Persönlichkeit, die Themen, die ihm am Herzen liegen, hindurchschimmern. Clevere Autoren wissen das und spielen mit uns, indem sie Mehrdeutigkeiten, Wendungen und Irreführungen ganz bewusst dazu einsetzen, sich diesem analytischen Blick des Leser zu entziehen.
Wie die Unterhaltung beeinflussen?
Wir führen als Leser also eine Unterhaltung, schön und gut. Könnte es sich dabei jedoch nur um einen Monolog handeln? Die Vermutung liegt nahe, ist aber zu einseitig. Vielmehr führen wir ein Gespräch, denn wir können dem Autor nur zuhören, wenn wir uns auf dessen Text einlassen. Kaum eine Beschäftigung erfordert schließlich so viel Konzentration wie das Lesen. Der Autor bringt keine fertige Welt zu uns, auch das ist ein verbreiteter Irrtum. Wir selbst erschaffen diese Welt in unseren Köpfen, sie ist nie identisch mit der Welt eines anderen Lesers.
Fazit
Das Buch ist der Mediator eines Zwiegespräches, das wir mit dem Autor führen. Wir sind nicht nur passive Zuhörer und Empfänger, wir gestalten zusammen mit dem Urheber des Buches eine Welt in unseren Köpfen. Daher ist das Lesen eines Buches sehr viel aktiver, als vielfach angenommen. Und wenn der Autor sich Mühe gegeben hat, dann wird es auch ein Gespräch, das dem Leser lange in Erinnerung bleiben wird.