Les Misérables

Erstellt am 20. Januar 2013 von Denis Sasse @filmtogo

© Universal Pictures International Germany GmbH / Die französische Rebellion in “Les Misérables”

Film-Musicals der vergangenen Jahre haben gemein, dass sie sich aus einem Mix bestehend aus Dialogen und Musikstücken zusammensetzen. Ganz gleich ob man zurückdenkt an „Rock of Ages“, an die „High School Musical“-Trilogie oder etwas gesetzteres Material wie „Moulin Rouge“ oder „Chicago“ und „Nine“. Selbst Klassiker à la „Grease“ und die „West Side Story“ verlassen sich auf dieses stilistische Miteinander. Darauf mochte sich Regisseur Tom Hooper, 2011 für sein Handwerk in „The King’s Speech“ mit einem Oscar ausgezeichnet, nicht einlassen, liegt seinem Film doch auch ein Musical zugrunde, welches als „sung-through musical“ bezeichnet wird: „Les Misérables“, kurz „Les Mis“ oder „Les Miz“, wie man es gerne mag, nach dem 1980 in Paris uraufgeführten Bühnen-Musical, das sieben Jahre später dann auch am Broadway in New York zu sehen war. Dieses Bühnenstück basiert wiederum selbst auf dem 1862er Roman des französischen Poeten Victor Hugo, in Deutschland unter dem Titel „Die Elenden“ erschienen. Neuauflagen auf der Bühne gab es 1995 zum zehnten Jubiläum, dann 2010 zum viertel Jahrhundert. In 2014 ist ein Broadway Revival geplant. Nun mag man an all diesen Bezügen und Aufführungen schon merken, dass sich Tom Hooper hier ein dickes Stück Literatur- und Musicalgeschichte aufgeladen hat.

„Les Misérables“ erzählt die Geschichte des langjährigen Häftlings Jean Valjean (Hugh Jackman), der über ein Jahrzehnt von dem gnadenlosen Polizeibeamten Javert (Russell Crowe) verfolgt und in den Untergrund getrieben wird, nachdem sich Valjean eine Existenz als ehrbarer Bürgermeister der Stadt Montreuil in Frankreich aufgebaut hat. Zugleich übernimmt er die Verantwortung für das junge Mädchen Cosette (Amanda Seyfried), die nach dem Tod ihrer Arbeitermutter Fantine (Anne Hathaway) elternlos bei dem Gaunerehepaar Thénardier leben muss. Cosette lernt Marius (Eddie Redmayne) kennen und lieben, ein Anhänger der Résistance während der Französischen Revolution. „Les Mis“ folgt den Figuren über einen Zeitraum von 17 Jahren bis ihre jeweiligen Schicksale bei der großen Rebellion im Juni 1832 aufeinander treffen.

Russell Crowe als Javert, Verfolger von Jean Valjean

Groß soll es sein, das ist es auch mit seinen fast 160 Minuten Laufzeit, aber Tom Hooper hält die Bilder doch eher klein, sehr zur Freude des Zusehers. Natürlich, wenn der Film eröffnet, liegen dort diese gigantischen Schiffe im Hafen, scheinbar Tausende von Sklaven müssen diese an dicken Tauen heran ziehen. Die Kamera sucht immer wieder diese imposanten Bilder, der gigantische Hafen, ein Stadtpanorama, der Blick von einer Brücke hinunter in die Seine. Aber die großen Bilder sind hier nur Geplänkel, wenn die Protagonisten zu singen beginnen – und in diesem Fall auch gar nicht mehr damit aufhören wollen – dann ist die Kamera von Danny Cohen nur bei ihnen. Ganz gleich wer dort gerade am Singen ist, ein Haupt- ein Nebendarsteller oder eine Gruppe von Komparsen, durch diese Kameraarbeit erscheinen die Figuren allesamt wichtig, an Ort und Stelle genau richtig, als dürften sie hier nicht fehlen. Hooper setzt auf die Künste seiner Darsteller, verlässt sich nicht auf die imposanten Bilder, die er andeutet, aber niemals so exzessiv nutzt, als das sie irgendwem die Show stehlen könnten.

Da sollten sich die Darsteller untereinander mehr Sorgen machen. Ganz davon abgesehen das sich die Rivalität zwischen Hugh Jackmans Jean Valjean und Russell Crowes Javert geradezu hartnäckig dominant durch „Les Mis“ zieht, hier zwei gesangsstarke Männer aufeinandertreffen – sicherlich mit einigen Abstrichen auf Crowes Seite – und Eddie Redmayne („My Week with Marylin“, „Die Säulen der Erde“) eine beeindruckend starke Stimme präsentiert, so ist es doch Anne Hathaway die mit ihrer Performance des Songs „I dreamed a dream“ sämtliche Applausstürme für sich reserviert haben dürfte. Sie lässt nicht nur visuell Haare und Zähne, sondern öffnet sich auch bei diesem Song gänzlich der Zuschauerschaft, durchlebt tief leidende Gefühle, es grenzt an einem Nicht-Schauspiel, fühlt sich an wie pure reale Verzweiflung. Das Wort Atemberaubend war noch nie so angebracht wie in dieser einen Szene, in der Hathaway in der Mutterrolle der Fantine am Boden liegt, nicht mehr weiter kann, Tränen ihren Ausdruck bestimmen, sie weint, schluchzt, jammert und aufschreit.

Amanda Seyfried als Corsette und Eddie Redmayne als Marius

Fantine ist eine jener Figuren, die binnen kürzester Zeit größtes Leid erfahren. Sie wird aus der Fabrik geworfen, in der sie als Arbeiterin das nötige Geld verdient um ihre Tochter Cosette zu ernähren, landet bei Pfandleihern in einem dreckigen Viertel der Stadt, verkauft ihre Haare und ein paar Zähne, wird schnell zur Prostitution gezwungen und gibt ihr eigenes Leben auf, bis dann der Mann in ihr Leben tritt, der sich den umgekehrten Weg ergaunert hat: Jean Valjean, ehemaliger Sträfling, nun Bürgermeister. Eine Position die er sicherlich nicht ohne die Hilfe seiner diebischen Finger bekommen hätte. Er sichert Fantine zu, sich um ihre Tochter zu kümmern. Es geht nicht nur für die beiden um Entscheidungen, um richtige und falsche Wege die eingeschlagen werden, sondern auch für die übrigen Figuren. Eddie Redmaynes Marius stammt aus reichem Hause, dennoch entscheidet er sich für das Leben eines Revolutionskämpfers, für seinen Vater ein gesellschaftlicher Abstieg. Éponine, gespielt von Samantha Barks, die diese Rolle bereits zum 25jährigen Jubiläum ihr eigen nennen durfte („Les Misérables in Concert: The 25th Anniversary“), ist das kleine verzogene Gör der Thénardiers (ein wunderbar skurriles Gespann: Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter), das sich von den räuberischen Schandtaten ihrer Eltern lossagt und ein für sie weitaus ehrenvolleres Leben unter den Rebellen sucht. Niemand in „Les Misérables“ behält das Leben in das er hineingeboren wurde, Entscheidungen tragen zum Schicksal bei und selbst der verbissene Jäger Javert sieht am Ende ein, dass er sich geändert hat.

Hier darf auch Russell Crowe noch einmal eine starke Gesangsperformance hinlegen, einer dieser Momente, die sich durch „Les Mis“ hindurch ziehen: Wenn Javert und Valjean sich einen bitteren Kampf liefern („The Confrontation“), wenn Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen ihr „Master of the House“ singen, natürlich Fantines „I dreamed a dream“ oder wenn dann alle gemeinsam auf den Barrikaden stehen und „Do you hear the people sing?“ zum Besten geben. Die Zuschauer werden sie hören, auch wenn der Dauergesang auf fast drei Stunden gewöhnungsbedürftig ist, bleibt „Les Misérables“ doch ein unterhaltsames Musicalstück gebannt auf einer Kinoleinwand.

Denis Sasse



“Les Misérables“

Originaltitel: Les Misérables
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: GB, 2012
Länge: ca. 158 Minuten
Regie: Tom Hooper
Darsteller: Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Sacha Baron Cohen, Helena Bonham Carter, Eddie Redmayne, Samantha Barks

Deutschlandstart: 21. Februar 2013
Offizielle Homepage: universal-pictures-international-germany.de/lesmiserables