Und einmal im Jahr ist sie da. Die Stille. Ein Moment der Furcht und Freude zugleich. Kinder und Frau sind aufgebrochen zu den Großeltern in den Süden. Sommerferien. Schöner doch das französische Wort der „grandes vacances“. Große Ferien sind es ja. Einen Sommer lang. Welch unermessliche Zeitspanne klingt da noch aus der eigenen Kindheit nach. Wer dessen eigentümlichen Zauber nicht folgen kann, ich weiß nicht, soll sich vielleicht einmal an Marcel Pagnols „La Gloire de mon père“ versuchen.
Doch die eigene Kindheit ist verschwunden. Wie nun Kinder und Frau in den Süden. Es bleibt zurück der schnöde Angestellte im Gewirr der Urlaubstageregelung in Abstimmung mit den Kollegen. Große Ferien kann ich nicht mehr. Ich bin erwachsen. Ja, ich werde der Familie hinterherkommen. Entsprechend tariflicher Vereinbarung. Aber erst in einer Woche oder so.
Wenn ich nach getaner Arbeit nach Hause komme, an diesem ersten Tag im Jahr allein. Dann ist sie da. Diese Stille. Manchmal traue ich mich erst gar nicht, die Wohnungstüre zu öffnen. Die Stille weist schon weit vor der Türe darauf hin, dass heute nichts ist wie an jedem anderen Tag im Jahr. Ein gekipptes Fenster reicht normalerweise schon, um bereits in 50 Schritt Entfernung informiert zu sein, ob Wut und Freude die Kinder zuhause gerade bewegen. 30 Schritt, und ich weiß, was gerade Thema des Streits oder des Spiels ist. Und mit der Drehung des Schlüssels im Schloss kommen mir die Meinigen entgegengelaufen und rufen: „Papeldachs!“ (Nein, ich habe keine Ahnung, woher das Wort kommt. Aber Ihre Kinder haben ja auch ihre Wörter für Ihre Familie erfunden, bestimmt).
Und an diesen Tag im Jahr ist sie da. Diese Stille. Kein Kindergebrüll, keine kindliche Freude. Allein das häusliche Chaos erinnert daran, dass es immer noch eine Familienwohnung ist und kein Double-Income-No-Kids Designer Homestay. Offene Stifte, verstreutes Lego, Kaplahölzer und unvermeidlich viele Kleinteile von Playmobil. Alles was normalerweise mich dazu bewegt, nebst aller Freude auf das unvermeidliche, abendliche Aufräumen hinzuweisen, all dies guckt mich nun genauso irritiert und orientierungslos an wie ich die ganze Wohnung. Sinnentleert, diese Stille. Funktionsloses Spielzeug. Das Leben ist ausgezogen. Vorübergehend.
Dies ist der Moment der Furcht. Die Freude, vernunftgemäß, wird sofort eintreten. Was kann man unendlich vieles noch erledigen an einem Feierabend? Ohne Kinder im Haus. Tatkraft ist im Anflug.
Doch dieser erste Moment der Furcht vor der Stille ist wichtig. Nie bin ich mir bewusster, was ich habe, als in diesem Moment. Dann schüttle ich das alles ein bisschen von mir ab. Nehme tatkräftig Fahrt auf und erledige, was zu erledigen ist. Und freue mich jetzt schon auf den Moment, wenn das Haus wieder voller Leben ist.
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