Lernen, sich zu wehren

Sexueller Missbrauch
Marion Hunger Foto: Marion Hunger  Unbeschwert turnen und feiern: Der TSC Berlin-Wittenau macht sich für den Kinderschutz stark (Foto: mit Trainerin Hella Grundschok)  "Der Trainer war der Täter - sexueller Missbrauch im Sport": So lautet der Titel eines Films, den die ARD heute Abend ausstrahlt. Die wahre Geschichte, die in dem Beitrag erzählt wird, ist kein Einzelfall. 
Vermehrt werden Fälle sexueller Gewalt in Sportvereinen und Schulen öffentlich. Doch wie hoch ist die Gefahr wirklich? Wie können Eltern ihren Nachwuchs schützen? Darüber sprach Beatrix Fricke mit Maria van Os. 
Die Diplom-Pädagogin arbeitet beim Berliner Verein Strohhalm e.V., der seit mehr als 20 Jahren in der Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen tätig ist.  Berliner Morgenpost: Viele Eltern haben im Kopf, dass die größte Gefahr des Kindesmissbrauchs in der Familie besteht. Ist das ein Trugschluss? 
Maria van Os: Fakt ist, dass 25 Prozent der Täter aus dem familiären Umfeld kommen und 50 Prozent aus dem Nahbereich der Kinder. Täter finden in Institutionen wie Vereinen und Schulen ideale Bedingungen. Zum einen haben Trainer und Lehrer eine Machtposition und können so Druck ausüben. Zum anderen gibt es hier viele Kinder, die sie auf Bedürftigkeit "checken" können. Wenn sie sich um die bedürftigen Kinder kümmern, werden sie von den anderen Erwachsenen unterstützt, und ihr Ansehen steigt sogar noch. Die Täter manipulieren also die Erwachsenen, ohne dass es leicht erkennbar wäre. 
Berliner Morgenpost: Was bedeutet das für die Kinder?  Maria van Os: Die missbrauchten Kinder müssen ganz schön was aufbieten, damit man ihnen Glauben schenkt. Zudem lassen sich Grenzüberschreitungen gerade in Sportvereinen nicht so einfach ausmachen. Denn natürlich muss der Trainer bei bestimmten Übungen Hilfestellungen geben, die mit Körperkontakt verbunden sind. Und natürlich gibt es Umarmungen, um das Kind bei Misserfolgen zu trösten oder bei Erfolgen zu beglückwünschen.
Berliner Morgenpost: Wo fängt sexueller Missbrauch an?
Maria van Os: Die Definition lautet: Jede sexuelle Handlung von einem Erwachsenen vor einem Kind oder mit einem Kind ist Missbrauch. Wir sagen den Kindern in unseren Workshops: Unangenehme oder peinliche Situationen, die ein "komisches" Gefühl auslösen, können der Anfang von sexuellem Missbrauch sein. Oft gehen schwerwiegenden Taten sexualisierende Situationen voraus. Da bleibt zum Beispiel die Hand des Trainers zu lange am Po oder gleitet zwischen die Beine. Es ist wichtig, dass Kinder da sofort um Hilfe bitten. 
Berliner Morgenpost: Aber das ist nicht so einfach...  Maria van Os: Ja, weil die Kinder das Gefühl haben, mitschuldig zu sein. In einem Rollenspiel spiele ich einen übergriffigen Trainer, der das Kind damit zu bestechen versucht, dass er ihm den Posten als Spielführer anbietet. Schon die Tatsache, dass das Kind dieses Angebot attraktiv findet, führt bei ihm zum Gefühl der Mitschuld. Das geht unheimlich schnell und ist ganz subtil. 
Berliner Morgenpost: Wie können Eltern ihr Kind vor solchen Mechanismen schützen?  Maria van Os: Ganz wichtig ist Aufklärung. Bei Kindern, die wissen, was Missbrauch ist, und die über das Phänomen des Schuldig-Fühlens aufgeklärt sind, wird es "Klick" machen, wenn sie Übergriffe erleben. Und sie werden sich ihren Eltern leichter anvertrauen, wenn diese zeigen, dass sie über das Thema informiert sind und dem Kind Glauben schenken.  Berliner Morgenpost: Wie detailliert sollte die Aufklärung sein, und in welchem Alter sollte sie beginnen?  
Maria van Os: Schon im Kindergartenalter sollten Eltern Grenzverletzungen thematisieren und das Kind bestärken, "Nein" zu sagen. Das kann man am Beispiel des Onkels erklären, der einen Kuss will und den das Kind verweigern darf. Es ist zudem sinnvoll, konkret zu benennen, dass Erwachsene Kinder nicht am Penis oder an der Scheide anfassen dürfen. Auf keinen Fall sollten Eltern Angst machen. Denn Angst lähmt.  Berliner Morgenpost: Muss man Mädchen anders aufklären als Jungen?  Maria van Os: Nein. Es geht immer darum, das Kind in seiner Selbstwirksamkeit zu stärken. Man sollte aber insbesondere Jungen vermitteln, dass sie Hilflosigkeit zeigen dürfen, während gerade Mädchen zum Widersetzen ermutigt werden sollten.  Berliner Morgenpost: Sollte man Kinder vor besonders brenzligen Situationen schützen, indem sie etwa an Gruppenfahrten erst gar nicht teilnehmen?  Maria van Os: Auf keinen Fall. Durch Vermeidung nimmt man den Kindern die Chance, Stärke zu entwickeln, und sie passen erst recht ins Opferbild. Ich würde lieber vor der Fahrt dem Kind meine Sorgen mitteilen und gemeinsam mit ihm überlegen, was es tun kann, um sich gegebenenfalls zu wehren und Hilfe zu bekommen.  Berliner Morgenpost: Wie können Eltern Missbrauch erkennen, wenn sich das Kind ihnen nicht anvertraut?  Maria van Os: Jede Verhaltensänderung kann ein Hinweis sein. Ein Kind kann sich zurückziehen oder aggressiv werden. Ich habe sogar einen Fall erlebt, in dem das Kind leistungsstark geworden ist. Weitere Hinweise können Schlafstörungen, Angstzustände, Einnässen oder sexuelle Spiele mit anderen Kindern sein. Eltern sollten sich im Zweifel an eine Beratungsstelle wenden.  Berliner Morgenpost: Sollten Eltern den möglichen Täter auch persönlich zur Rede stellen?  Maria van Os: Nein. Besser ist es, sich an die Leitung oder den Vorstand der Schule oder des Vereins zu wenden und das Vorgehen zu besprechen. Eltern sollten sich auch ganz unabhängig von Verdachtsmomenten in den Institutionen deutlich zeigen und einen Verhaltenskodex und ein Beschwerdemanagement einfordern.  Berliner Morgenpost: Wie könnte das konkret aussehen?  
Maria van Os: Sportvereine könnten beschließen, dass Trainer ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen müssen und nicht mit den Kindern duschen. Wenn die Kinder wissen, dass es solche Regeln gibt, ist das nützlich. Zudem sollte sexueller Missbrauch in der Aus- und Weiterbildung stärker thematisiert werden. Das schärft das Bewusstsein und kann Taten vorbeugen helfen.  Berliner Morgenpost: Sind solche Maßnahmen nicht übertrieben?  Maria van Os: Jedes dritte bis fünfte Mädchen und jeder achte bis zehnte Junge ist von sexuellem Missbrauch im weiteren Sinn betroffen. Da ist es doch besser, von einer Gefährdung auszugehen und diese zu minimieren, als hoch traumatisierende Erfahrungen zu riskieren.

Lernen, sich zu wehren

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt.

Quelle: Berliner Morgenpost 09.03.2011


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