Wie alle Bücher aus dem emons: verlag, lockt auch „Leonhardsviertel“ mit reduziert-schicker Aufmachung und das griffige Paperbackformat sorgt für perfekte Haptik beim Lesevergnügen – dafür lass ich jeden ebook-Reader begeistert links liegen.
Im Prolog wird schnell klar um was es geht: im Stuttgarter Rotlichviertel wird ein junger Mann erschossen und Thilo Scheurer erzählt die Tat genau so kaltblütig, wie der Mörder sie beging. Für den Cold Case-Faktor sorgt das Team des neu gegründeten LKA-Dezernats T.O.M., das sich mit ungeklärten Kapitalverbrechen beschäftigt.
Die Reihenfolge, in der wir Leser die ermittelnden Beamten kennen lernen, spiegelt im großen Ganzen die Höhe des Arbeitseinsatzes wieder, den sie zur Lösung des Falles einbringen: da ist zuallererst Sebastian Franck – seine hypochondrische, hyperkorrekte und fast schon authistische Art macht es einem nicht gerade leicht, den reichen Erben, Studienabbrecher und nun eben kriminalistischen Aufsteiger zu mögen.Er bleibt lange Zeit ein verschlossener und sonderlicher Typ.
Allerdings: als ihm gleich auf den ersten Seiten im Bus die Brieftasche geklaut wird, merken wir – auch dieser Polizist ist nur ein Mensch! An seinem neuen Arbeitsplatz im Dezernat T.O.M trifft er gleich auf seine Assistentin, Tempolimit-Ignoratin und Blackmetal-Fan Franzi, die sich ein Büro mit Cem teilt, dann auf Chefin Marga: die eine sprüht vor Tatendrang, die andere ist so mit persönlichen Problemen beschäftigt, dass der Fall erstmal an ihr vorbei geht. Gut, das Verbrechen liegt auch schon 20 Jahre zurück…
Marga Kronthaler ist nicht nur leicht überforderte Chefin, sondern auch das komplette Gegenteil von Krawattenträger Franck. Trotzdem raufen sich die beiden zusammen und ermitteln ab halber Strecke als recht erfolgreiches Team, zumal auch Franck immer öfter seine Schwächen offenbart.
Beruflich entpuppt sich K.O.K. Franck als echte Spürnase und nimmt schon am ersten Arbeitstag eine heiße Spur auf: die führt zu einem undurchsichtigen russischen Unternehmer in Berlin – er verkaufte den Porsche des ermodeten Bankierssohn im Internet. Außerdem entdeckt Franck eine protokollarische Lücke: eine Barbesitzerin bemerkte in der Tatnacht einen auffälligen russischen Besucher, ihre Aussage steht allerdings nicht in den Akten – das ist nicht die einzige Ungereimtheit auf die das Ermittlerteam stößt.
Auch die Eltern des damaligen Opfers müssen sich erneut unangenehmen Befragungen stellen und das alte Bankiers-Pärchen gibt dabei eine so klischeehafte wie erbärmliche Figur ab. Richtig, hier gehts nicht mit rechten Dingen zu…aber wie und wo laufen die Fäden zusammen? Man glaubt es kaum: die Spuren führen quer durchs Land, in höchste politische Kreise und es geht um weitaus mehr als Kunstdiebstahl.
Vorerst müssen die Kommissare jedoch mit alten Fotos, forensischen Spuren, mageren Asservaten, mit Kombinationsgabe und Spürsinn zurecht kommen. Doch das raffiniert gewonnene Genmaterial liegt schon zur Untersuchung im Labor…
„Leonhardsviertel“ ist ein dichter Kesselkrimi mit bisweilen zu gewolltem Humor und modernen Figuren, die hier und da für meinen Geschmack zu überzeichnet wirken, die aber trotzdem interessant sind und den Fall charakterstark tragen. Ich geb vier von fünf Sternen und eine Lese-Empfehlung.
Wo würdet Ihr Euren eigenen Krimi spielen lassen? Unter allen Kommentaren verlose ziehe ich am Mittwoch zwei Gewinner für je ein Exemplar „Leonhardsviertel“.
Thilo Scheurer „Leonhardsviertel. Cold Case Stuttgart“, 304 Seiten, broschiert, 11 Euro 90, emons: verlag