Lena Andersson - Widerrechtliche Inbesitznahme

Lena Andersson - Widerrechtliche Inbesitznahme

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Ester Nilsson ist Dichterin und Essayistin. Sie ist eine Person, die sich selbst und andere sehr ernst nimmt und die, mit Anfang 30 absolute Kontrolle über ihr Leben hat. Seit Jahren lebt sie in einer vernünftigen und ausgeglichenen Beziehung „mit einem Mann, der sie in Ruhe ließ und ihre physischen und mentalen Bedürfnisse befriedigte.“ Sie verachtet belangloses Geplauder und vermeidet Situationen die sie an dem hindern könnten, das ihr wichtig ist: „lesen, denken, schreiben und Gespräche führen.“ Und dann kommt ein Anruf.

Ester soll einen dreißigminütigen Vortrag über Hugo Rask halten, einen sehr erfolgreichen Installationskünstler, der „wegen seines moralischen Pathos“ allgemein geschätzt wird. Eigentlich ist es ein ganz normaler Auftrag. Ester sagt zu und setzt sich an die Arbeit. An einem Samstag im Oktober soll sie den Vortrag halten und so setzt sie sich am vorangehenden Sonntag hin und beginnt, sich in Hugo Rasks Leben und Arbeit einzulesen:„Mit jedem Tag, an dem sie schrieb, wuchs das Gefühl der Verwandtschaft mit ihrem Gegenstand. Das Gefühl wandelte sich von Respekt am Sonntag zu Wertschätzung am Dienstag, zum Donnerstag hin wurde es zu einer bohrenden Sehnsucht und am Freitag zu schwerem Begehren.“
Und so beginnen die Leiden der Ester Nilsson. Der Künstler selbst ist nämlich anwesend, als sie ihren Vortrag hält, und seiner narzisstischen Persönlichkeit schmeichelt Esters glühender Vortrag sehr. Man kommt ins Gespräch, sie besucht ihn in seinem Atelier, krampfhaft erpicht, nicht durchscheinen zu lassen, wie leidenschaftlich sie diesen Mann liebt. Es schließen sich weitere Treffen an, es bleibt bei Gesprächen und körperlicher Kontakt findet nicht statt. Doch für Ester gibt es keinen anderen Mann mehr, kein anderes Gesprächsthema. Ihre ausgeglichene und langjährige Beziehung zerbricht. Sie zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus, lebt für den Übergang bei der Mutter und später dann in einer kleinen Einzimmerwohnung. Sie lebt für die ein oder zwei Textnachrichten, die Rask ihr am Tag schickt. Sie kann sich nur schwer konzentrieren und verzehrt sich in Sehnsucht nach diesem Mann, der jedes zweite Wochenende davonfährt. Zu einer anderen Frau? Vielleicht gar zu einer Ehefrau? Ester weiß es nicht und kann es nicht ansprechen. Hugo Rask derweil kann ihre Gefühle nicht in selben Maße erwidern, kann jedoch zugleich nicht ertragen, wenn Ester (oder irgendjemand) sich von ihm abwendet. Er will von allen gemocht, von allen bewundert werden.
Die deutsche Übersetzung von Widerrechtliche Inbesitznahme ist in einer hinreißend klaren Sprache geschrieben. Diese Sprache trägt den Leser bis zum Schluss durch den Roman, auch dann noch, wenn das Liebesleiden, das die Autorin Lena Andersson ihrer Protagonistin schonungslos auferlegt, für den Leser kaum noch zu ertragen ist. Man will Ester Nilsson schütteln und anschreien, teilweise das Buch an die Wand werfen, wenn sie es trotz aufkeimender Zweifel wieder nicht schafft, sich von diesem Mann abzuwenden, oder wenn die substanzlosen, pseudointellektuellen „Hipstergespräche“ zwischen Ester und Hugo oder deren Bekannten und Kollegen kein Ende nehmen wollen. Ester und Hugo sind nicht sympathisch und doch kann (muss!) man an ihrer Geschichte bis zum Ende teilhaben. Wow! 
Lieblingssatz: "Man kann nicht ein ganzes Leben lang in der Kneipe sitzen und einander in die Augen schauen und reden. Manchmal muss man auch zusammen fernsehen."

Ich danke dem Luchterhand-Verlag für die Bereitstellung des Rezensions-Exemplars.

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