Das Lenbachhaus hat zur Blogparade aufgerufen, zum Thema Human Resources / Fremd- und Selbstbestimmung in unserer Arbeitswelt.
Ich hab lang überlegt, was ich denn schreiben könnte – schließlich arbeite ich nun wirklich noch nicht so lange und bin als alleinstehende Freiberuflerin vielleicht nicht wirklich relevant als Beispiel, dachte ich mir -
Bis ich vor einigen Tagen ein Interview mit dem Präsidenten Uruguays anschaute, José Mujica. Gehalten hat es ein rühriger, brillanter Journalist aus Barcelona, Jordi Évole, auch „El Follonero“ (der „Aufstandmacher“) genannt.
Warum er gerade Mujica besuchte? Er ist der einzige Präsident auf der Welt der sich verweigert hat, ins Präsidentenhaus zu ziehen. Stattdessen bleibt er in seinem kleinen ländlichen Haus, mit vielen Tieren und einem kleinen Acker, ohne Alarmanlage oder Bodyguards, sein Präsidentenauto ein rostiger VW aus den ´70 er Jahren. Von seinem Gehalt spendet er sowieso 90% an gute Projekte in seinem Land.
So saß er nun mit dem jungen Journalisten im Hof seines Häuschens, umringt von Hühnern, Katzen und einem hinkenden, dreibeinigen Hund, und sprach über Konsumgesellschaft, Entwicklung, Banken, allerlei linkstendierenden Dingen, mit denen man nun mehr oder weniger einig sein kein – bis dieser eine Satz kam, der bei mir hängenblieb:
„Jedes Mal wenn Du Geld ausgibst, ist das, was Du eigentlich ausgibst Zeit Deines Lebens, die Dir entwichen ist.“
Da waren sie wieder blitzschnell in meinem Sinn, die grauen Herren von Momo, die die Zeit nehmen von den Leuten die sich abschuften, sie ihnen wegrauchen um zu überleben.
Ich erinnerte mich, als ich vor zwei Jahren noch kellnerte, unter praller Sonne Tabletts herumtrug, bis mir der Arm wehtat und ich am Abend nur noch Lust hatte, meine Füße in Eiskübel zu stellen. Ich verdiente in der Stunde etwa ein Viertel von meinem jetzigen „Stundensatz“. War damals meine Lebenszeit etwa weniger wertvoll?
Ist die Lebenszeit des CEO, der im Restaurant mit seinen Kunden eine Runde Drinks mit Austern schmeißt, wertvoller als die des Tellerwäschers, der die Überbleibsel des Festmahls dann abspülen darf? Die Lebenszeit eines Fußballers wertvoller als die eines Volontärs der in der dritten Welt eine Schule aufbauen hilft?
Mojica spricht weiter, „und trotzdem wollen die Leute Dinge haben, und schuften sich ab wie blöd, und in was geben sie ihre Lebenszeit aus? In Scheißdreck!
Naja, Scheißdreck sagte er nun nicht, er sagte Pavadas - was auf Spanisch mehr oder minder so viel bedeutet wie „sperrige, unnütze, dumme Dinge“.
Und was davon ist letzten Endes wirklich wertvoll?
Manchmal fühle ich mich ein bisschen unangenehm, weil ich immer wieder die gleiche Kleidung trage. Werden es die Leute merken? Sieht das dann blöd aus? Sehe ich arm aus?
Aber andererseits: brauche ich mehr Klamotten? Habe ich Lust, loszuziehen und stundenlang Klamotten anzuprobieren, die kratzen und sich anfühlen wie aus Plastik und alle gleich aussehen, egal in welchen Laden man gerade steht – wo ich eigentlich schon einen vollen Kleiderschrank habe? Eigentlich nicht.
Seneca sagte es doch, arm sind die, die viel benötigen. Und ich denke, das einzige was wir wirklich brauchen, ist Lebenszeit, die gefüllt ist mit Momenten die uns glücklich machen, mit Menschen, die uns wichtig sind, mit Gedanken, die uns nähren und wachsen lassen.
Um zurück zum Thema der Blogparade zu kommen: ich glaube nicht, dass wir wirklich selbstbestimmt arbeiten können. Selbst als Freelancer ist man, sobald man einen Kunden hat, nicht mehr selbstbestimmt: der will nämlich die Dinge so oder so, bis zu einem bestimmten Datum und auf eine ganz bestimmte Weise gemacht bekommen. Das ist auch richtig so. Man muss sich kümmern, überhaupt an Kunden zu kommen, seinen Lebensunterhalt zu sichern – das fühlt sich manchmal auch überhaupt nicht nach “Freiheit” und “selbstbestimmt” an.
Ich glaube aber trotzdem, man kann, sollte, muss selber bestimmen wieviel Lebenszeit man wofür ausgibt, und wie man sie füllt.
Muss man wirklich so viel arbeiten? Es kommt drauf an, wie viele Dinge man benötigt – wie viele davon man wirklich benötigt und wie viele wiederum ein kontemporärer Seneca besten Gewissens im Schaufenster stehen lassen würde. Vor allem in München habe ich dieses Gefühl, dass das meiste der “absolut notwendigen Dinge” in Wahrheit eher dieser zweiten Kategorie angehört.
Bildquelle: http://www.netnovela.de/alice-wunderland/hinunter-kaninchenbau
Wieviel Zeit man in was steckt ist auf jeden Fall jedem selbst überlassen.
Ich für mich habe beschlossen: ich möchte in den Bereichen arbeiten, die mir Spaß machen und für die ich brenne. Meine Lebenszeit mit den Dingen füllen, die mir guttun. Wenn ich etwas anderes tue, mich dazu zwinge, meine Lebenszeit an Dinge zu verkaufen, die mich nicht wirklich interessieren, um mehr zu arbeiten, oder mehr zu verdienen – dann wird das Ergebnis eh nur halb so gut. Dann trag’ ich lieber schon den fünften Sommer hintereinander dieselbe, knatschgelbe Hose.
Aber dieses kleine letzte Stückchen Selbstbestimmung nimmt mir bitte keiner auf der Welt.