Bei der documenta 2017 erfährt das Lebenswerk des Lehmbau-Pioniers Gernot Minke eine späte Würdigung. Auf dem Außengelände der Kunsthochschule Kassel wurde ein von Minke konzipierter statisch optimierter Lehm-Kuppelbau aus den frühen 1990er-Jahren restauriert und um ein – ebenfalls nach Minkes Plänen errichteten – kleineres Lehm-Bauwerk zur Installation „Erde-Raum-Klang“ ergänzt. Beide Bauten thematisieren gleichermaßen die archaische Tiefe die dem Baustoff Lehm innewohnt. Das meditative Materialerlebnis beim Besuch der Lehm-Räume ergänzen besondere Klang-Installationen.
Minke-Bauten auf der documenta 2017
Prof. Gernot Minke
Mit Prof. Gernot Minke würdigen die documenta-Macher einen wahren Pionier des Lehmbaus. Als Forscher und Praktiker sowie als Autor zahlreicher Publikationen und Fachbücher war Minke maßgeblich mitbeteilgt an der Schaffung der Grundlagen des zeitgemäßen Lehmbaus. Als Dozent und Lehrender gab er sein Wissen an zahllose Studierende, Planer und Handwerker weiter. An der Stätte seiner documenta-Werkschau, der Kunsthochschule Kassel, war Minke lange Jahre Leiter des dortigen Forschungslabors für Experimentelles Bauen.
Die Faszination des Baustoffes Lehm vermittelte er nicht nur in Deutschland. Mit Gastprofessuren u.a. in England, Italien, Mexico, den USA und Brasilien sowie weltweiten Beratertätigkeiten wirkte er rund um den Globus für den Lehmbau. CLAYTEC-Mitbegründer Ulrich Röhlen hebt die konstruktive und pragmatische Mitarbeit Minkes am Lehmbau-Regelwerk zur Normung von Lehmbaustoffen hervor: „Besonders habe ich dabei immer seine Bereitschaft geschätzt, Neues anzunehmen. Minke beharrte nie auf Jahrzehnte alten Standpunkten, wenn sich die Anforderungen verändert hatten.“
Gernot Minke ist Verfasser zahlreicher deutschsprachiger und internationaler Publikationen. Sein „Lehmbau – Handbuch“ gilt bis heute als Standardwerk.
Nach dem zweiteiligen Vorbericht (Teil 1, Teil 2), der mit der tatkräftigen Unterstützung von Dr. Michael Willhardt entstand, war ich neugierig, wie sich das Ensemble aus neu errichtetem und historischen Lehm-Bauwerk wohl „live“ anfühlen mag. Wie es der Zufall wollte, absolvierte ich im Juni eine medizinische Reha-Maßnahme in einer nordhessischen Klinik. Mit einer kunstbegeisteren Mitpatientin wurde kurzerhand ein gemeinsamer Besuch in Kassel auf den Plan gehoben.
Stampflehmsäulen markieren den Eingang
Bei unserer Ankunft an der Kunsthochschule Kassel, auf deren Außengelände die Minke-Bauten stehen, beschlich mich ein Dejá-Vu der besonderen Art: Der dezent morbide Siebzigerjahre-Baracken-Charme der Künstler-Ausbildungsstätte ließ mich fühlen wie einstmals als Pennäler am Humanistischen Gymnasium meiner Jugendzeit. Dieses war seinerzeit um Anbauten erweitert worden, an deren Ästhetik diese abbröckelnde Heimstätte der Kasseler Kunststudierenden frappierend gemahnte. Derart eingestimmt, verfehlten auch jene Bauwerke ihre Wirkung nicht, die meine Begleiterin und mich hierher geführt hatten.
Original Minke-Klangtower aus den frühen 1990er-Jahren
Schon beim Betreten des reaktivierten Lehmbau-Refugiums der frühen 1990er-Jahre vermittelt eine Gral-artige Umzäunung und die in verschiedenfarbigen Stampflehm-Schichten gearbeiteten mächtigen Eingangs-Pfeiler des Geländes die archaische Anmutung mythologischer Artefakte. In Verbindung mit den jenseits der Wege wild wuchernden Gräsern, Büschen und Stauden stellt sich unvermittelt eine Art Dschungel-Atmosphäre ein, die durch die aus dem üppigen Grün ragende Bebauung noch verstärkt wird. Afrikanische Volks-Architektur oder doch eher Jedi-Heimstätte aus dem Science-Fiction-Blockbuster? Der größere kuppelförmige Bau weckt beide Assoziationen gleichermaßen.
Klang und Lehm umgeben den Körper
Beide Gebäude laden den Besucher zum Verweilen, zu Kontemplation und Meditation ein, die Kuppelform sorgt für ein eindringliches Klangerlebnis der von Diego Jascalevich eigens für diesen Zweck komponierten Musik. Besonders intensiv ist die Raum- und Klang-Erfahrung im kaminförmigen kleineren der beiden Gebäude. Hierin findet gerade eben eine Person sitzend Platz. Klang und Material umgeben den Körper dicht. An diesem warmen Sommertag strahlt der Lehm eine angenehme Kühle aus. Der große Kuppelbau aus den Neunzigerjahren wurde anlässlich der documenta mit einer zentral platzierten kreisrunden Sitzfläche ergänzt, ebenfalls aus Lehm geformt. Auf kleinen Sitzkissen können Besucher hier die ausgestellten Gemälde von Gernot Minke betrachten. Diese greifen in ihrer an Mandalas erinnernden Formensprache gleichfalls das Thema Meditation auf.
Auch die Bilder Minkes greifen das Thema Meditation auf.
Mit der Wiederbegehbarmachung des Areals sowie der Errichtung des kleineren zweiten Lehm-Gebäudes und des Stampflehm-Eingangsportals wurde der erfahrene Lehmbauer Nico von Borstel beauftragt, langjähriger CLAYTEC-Handwerkspartner. Die neben den wiederverwerteten Original-Lehmsteinen benötigten Lehmbaustoffe lieferte CLAYTEC Partnerhändler Öko-Bau-Zentrum Kassel, CLAYTEC sponserte das Projekt mit Sonderpreisen. Fotos: Dieter Mai/CLAYTEC
Aus der Reha zur documenta: CLAYBLOG-Autor Dieter Mai