Michaela Preiner
„The Storm“ – James Wilton Dance (Foto: Brain Slater) Sie springen, sie rollen, sie rutschen über die Bühne, dass man meinen könnte, Knochen haben diese Tänzerinnen und Tänzer keine. Das Tempo, das sie dabei an den Tag legen, ist ebenso atemberaubend wie die Bewegungen mit Elementen der Bodengymnastik, aber auch des Urban Dance sowie des klassischen, zeitgenössischen Tanzes. Wieder einmal gastierte James Wilton bei der internationalen Bühnenwerkstatt in Graz und beeindruckte mit seinem Ensemble das Publikum restlos. War es im Vorjahr „Leviathan“, das zu Begeisterungsstürmen hinriss, so stand dieses Mal die neue Produktion „The Storm“ auf dem Programm und ließ sogleich Assoziationen mit Shakespeares gleichnamigem Stück aufkommen.Tatsächlich stürmt es mehrfach wild auditiv und wirbelt die Menschen kräftig durcheinander, die anfangs in Harmonie lachend und scherzend den Abend eröffneten. Zwei davon trifft es besonders. Sarah Jane Taylor und Norikazu Aoki werden durch eine Sturmattacke so traumatisiert, dass sie nicht wieder in ihre frühere Fröhlichkeit zurückfinden.Wilton erzählt mit seinem Ensemble eine Geschichte, die symbolisch für all jene Schicksalsschläge steht, welche Menschen treffen und aus der Bahn schleudern können. In seinem Stück geht es darum, wie diese sich in der Zeit der Krise benehmen, welche Auswirkungen das auf die Umgebung hat und wie sie wieder zu sich finden und letztlich auch in der Gesellschaft wieder einen Platz einnehmen können.
„The Storm“ – Sarah Jane Taylor (Foto: Steve Tanner) Dabei sind es immer wiederkehrende Gesten, die beredt von Freud und Leid erzählen. Wie jenes gemeinsame Armschaukeln der Freunde nach vor und zurück, bei welchem in der Anfangsszene die Hände der Hauptfiguren fröhliche Ausfallbewegungen machen. Oder jenes Handzittern, das Taylor nach ihrem Zusammenbruch immer wieder heimsucht, so sehr sie sich auch dagegen zur Wehr setzt. Aoki hingegen möchte sichtlich nichts mehr, als die Vergangenheit wieder zurückholen. Immer wieder erscheint ein runder, orangefarbener Lichterkreis, um den die fröhliche Gesellschaft anfangs saß und miteinander plauderte. Eine Erinnerung, die er nicht aus seinem Gedächtnis löschen kann, sosehr ihn Wilton auch davon abhalten möchte.Es ist sicherlich der Beratung des Neurowissenschaftlers Dr. David Belin zu verdanken, dass die Choreografie viele unterschiedliche Stufen der Traumaverarbeitung aufzeigt. Und diesen Prozess von mehreren Seiten beleuchtet. Erst als Wilton die junge Frau mit ihren zitternden Händen so konfrontiert, dass sie diese nicht mehr hinter ihrem Rücken versteckt und erst, als er den psychischen Heilungsprozess bei Aoki zulässt, ohne beständig intervenieren zu wollen, flattert ein Aschenregen auf die Bühne, der die Katharsis ankündigt, die zu einer Heilung notwendig ist.
„The Storm“ zeigt auch auf, wie hilflos sich jene vorkommen, die den Betroffenen vielfach ihre Hand und Unterstützung anbieten, von diesen aber jedes Mal wieder zurückgewiesen werden. Einfach toll zuzusehen, wie Aoki in einem Solo zeigt, wie viele Arten es gibt, sich am Boden fortzubewegen, aufstehen zu wollen, aber immer wieder zu scheitern. Hoch emotional auch jene Szenen, in welchen James Wilton selbst zu Boden geht in der bitteren Erkenntnis, nicht helfen zu können. Die sich abwechselnden Solo-Szenen mit solchen, in welchen nicht nur die drei Hauptcharaktere tanzen, sondern auch das vierköpfige Nachwuchsensemble auf der Bühne ist, faszinieren beständig.
Die zu Beginn psychedelische Musik, die wogend eine heile Welt vorgaukelte, wird im Laufe der Zeit rhythmisch wilder, um bald darauf gänzlich andere Klangfarben anzunehmen. Die James Wilton Dance Cie bietet den Soundtrack, der von der polnischen Band Amarok unter Michal Wojtas produziert wurde, übrigens auch zum Kauf an.
The Storm (Fotos: Brian Slater)Der versöhnliche Schluss ist dennoch kein Happyend im klassischen Sinn. Zwar schaffen die drei Freunde, die das Schicksal für eine lange Zeit trennte, wieder einen Schulterschluss und beginnen langsam, ihre ausgestreckten Arme gemeinsam nach vorne und rückwärts zu bewegen. Das ausgelassene Wechselspiel ihrer Hände, das zu Beginn die ausgelassene Lebensfreude charakterisierte, bleibt aber aus. Ein subtiler und höchst realistischer Hinweis darauf, dass das Leben nach traumatischen Erfahrungen zwar weitergeht, aber nicht mehr das ist, was es einst einmal war.
Fazit: Tänzerisch und dramaturgisch extrem sehenswert!
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