Lebensabschnittsbegleiter

Es gibt diese Menschen, die man kennenlernt, mit Ihnen einen bestimmten Abschnitt des Lebens teilt und die dann wieder verschwunden sind. Physisch sind sie nicht mehr da, aber in den Gedanken bleiben sie verankert.

Damit meine ich nicht Lebenspartner, von denen man sich irgendwann trennt oder getrennt wird. Ich meine Menschen, die zufällig in das Leben treten und eine kurze oder auch längere Zeitspanne dort verweilen.

Während meiner Krankenhausaufenthalte habe ich einige dieser Menschen kennengelernt. Mit der einen oder anderen habe ich heute noch sporadischen Kontakt, die meisten habe ich nie wieder gesehen. Jeder einzelne von ihnen hat bei mir Spuren hinterlassen und einige sind mir besonders im Gedächtnis geblieben. Deshalb möchte ich in diesem Beitrag über sie schreiben und ihnen danken, dass sie da waren, in genau diesem Lebensabschnitt.

Da war z. B. diese Frau, die ich ein paar Minuten nachdem die Ärztin mir meine Diagnose mitteilte, in der Raucherecke des Krankenhauses traf. Sie saß im Rollstuhl, hatte einen schweren Sturz hinter sich, Becken, Knie, Arm und Rippen waren gebrochen. Sie beobachtete mich eine zeitlang, wie ich da so auf der Bank saß, in die Luft starrte und hektisch an meiner Zigarette zog. Langsam kam sie Stück für Stück näher und fragte schließlich, wie es mir ginge und ob sie mir helfen könne, weil ich so verloren wirken würde. Ich erzählte ihr einfach so von meiner Diagnose und dass ich nicht wisse, wie ich mich fühlen würde und gerade total überfordert mit allem sei. Als ich anfing zu weinen, rollte sie ganz dicht an mich ran und legte ihren gesunden Arm um meine Schultern. Ein völlig fremder Mensch gab mir in dem Moment das Gefühl unendlicher Geborgenheit. Anschließend lud sie mich auf einen Kaffee in die Cafeteria ein und wir redeten über Gott und die Welt. Während unserer Zeit in der Klinik trafen wir uns täglich. Jedes Mal redeten wir, als ob wir uns schon Jahre kennen würden. Sie war die erste, der ich erzählte, dass keine Metastasen gefunden wurden. Ich war es, der sie stolz vorführte, wir sie das erste Mal an Krücken laufen konnte. Am Ende unseres Aufenthaltes (wir wurden beide am gleichen Tag entlassen) umarmten wir uns zum Abschied und wünschten dem jeweils anderen alles Glück der Welt. Dann waren wir weg, einfach so, ohne die Handynummern auszutauschen oder uns für irgendwann zu verabreden. Und so musste es auch sein, denn genau das fühlte sich richtig an. Ich weiß ihren Namen nicht mehr, aber an sie selbst kann ich mich noch genau erinnern.

Ein anderes Mal lernte ich Renata kennen. Eine sehr interessante und liebevolle Frau. Wir teilten uns ein Zimmer und verstanden uns auf Anhieb, obwohl wir ein grundverschiedenes Leben führen. Von ihr lernte ich viel über Afrika, das Land, das Leben dort und die Menschen. Zwei Tage und eine Nacht verbrachten wir zusammen und sind seit dem auf Facebook befreundet. Jedes Mal, wenn ich eine Nachricht von ihr bekomme, freue ich mich und muss an unsere interessanten und intensiven Gespräche denken.

Nach meiner großen Operation bekam ich Andrea als Zimmernachbarin. Andrea hatte Gebärmutter- und Brustkrebs erfolgreich bekämpft und war für ihren Brustwiederaufbau in der Klinik. Ich habe selten so laut und viel gelacht wie mit ihr. Gelegentlich kamen die Schwestern extra auf einen kleinen Plausch vorbei, weil es bei uns so lustig war. Wenn eine von uns Schmerzen oder ein seelisches Tief hatte, wusste die andere instinktiv, was sie sagen musste, um für Aufmunterung zu sorgen. Bis spät in die Nacht haben wir uns gegenseitig Geschichten aus unserem Leben erzählt, lustige, traurige und völlig unspektakuläre. Heute noch verfolge ich ihr Leben auf Facebook und freue mich mit ihr, dass der Krebs nicht wiedergekommen ist.

Dann war da noch dieses ganz junge Mädchen, auch ihren Namen weiß ich leider nicht mehr. Eine Woche lagen wir zusammen im Bundeswehrkrankenhaus. Sie war gerade in der Grundausbildung der Bundeswehr und mit Leib und Seele Soldatin. Am Anfang wussten wir nicht so recht, wie wir miteinander umgehen sollten, waren freundlich aber dennoch eher distanziert. Am Abend des ersten Tages gab es ein schweres Unwetter mit heftigem Gewitter. Sie kam kreidebleich und zitternd aus dem Bad und stand völlig verloren mitten im Zimmer. Nach meinem scherzhaft gemeinten Angebot „willst Du zu mir ins Bett kommen?“, lag sie eine halbe Sekunde später neben mir und erklärte, sie habe panische Angst vor Gewitter. Fast eine Stunde lagen wir nebeneinander in meinem Bett und ich versuchte, sie durch Erzählen einiger Anekdoten auf andere Gedanken zu bringen. Danach war das Eis gebrochen und wir waren ein Herz und eine Seele. Anscheinend sah sie in mir so etwas wie eine mütterliche Freundin (vom Alter her passte das schon mal). Auf jeden Fall fing sie an, mir aus ihrem Leben zu erzählen. Dieses lief nicht unbedingt in geraden Bahnen und war auch nicht immer schön. Relativ schnell merkte ich, dass es viele unausgesprochene Dinge in ihrer Familie gab, die sie belasteten und ermutigte sie, das Gespräch zu suchen. Später sagte sie mir, das wäre das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie ihrer Mutter gesagt hätte, wie sie sich fühlt und was in ihr vorgeht. Als ich entlassen wurde, fiel sie mir weinend um den Hals und dankte mir für unsere Gespräche und den Mut, den sie dadurch gefunden hatte. Manchmal denke ich bei Gewitter an sie und frage mich, wie ihr Leben wohl weitergegangen ist.



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