Leben, wie es nicht sein sollte

Von Stilpirat

Seit 4 Tagen steht er da – der Jobo-CPE2 Prozessor mit Lift – und soll die Erfüllung eines  lang gehegten Traums sein: Endlich Farbfilm-Experimente wagen, endlich alleiniger Herr über die Entwicklung meiner Planfilme, endlich nicht mehr an der Budni-Kasse mit Zettelchen in der Hand… Jaaaaa – Welt lass dich umarmen! Naja, um ehrlich zu sein, steht da eigentlich nur der flüchtig geöffnete Karton. Auspacken und Anschalten hab ich noch nicht geschafft… Permanent kommt irgendwas dazwischen… seit 4 Tagen… es ist echt verhext! Und dabei will ich doch nur mal hören wie er läuft… ganz kurz … bittöööööö!

Montag 6 Uhr

Ich werde wach, weil sich eine meiner Laufenten lauthals über irgendwas aufregt. Danke Dorle! 6 Uhr häää? Ich quäl mich durch den Morgen, mach die Kinder fertig, bring sie in den Kindergarten und freu mich auf nichts anderes als nach meiner Heimkehr die “Jobo” auszupacken.

9 Uhr

Ich hab die Rechnung ohne meine Buchhaltung gemacht. Sie fordert sehr deutlich und mit entschiedenem Nachdruck die Quartals-Belege. Ich streichele den Jobo Karton und setze mich an die Belege. Bereits nach dem Ausdruck des ersten Beleges, streikt der Drucker. Tinte leer. Ich steige ins Auto und fahre in den beschissenen Media Markt, der mir das doppelte an Kohle für die Scheiss-Patronen abknöpft, die der Drecks-Drucker ursprünglich mal gekostet hat. Penner!

11 Uhr

Ich finde zwischen 2 Belegen einen 50€ Schein. Yeah! Am Liebsten würde ich den Fuffi jetzt irgendeinem “Heiopai” in die Hand drücken, der mir dafür die Scheiss-Belege sortiert, damit ich endlich mal das Jobo-Geräusch hören darf.
Nein – da findet sich niemand! Natürlich nicht! Stattdessen krieg ich parallel 147 wichtige E-Mails, die ich natürlich sofort zu beantworten hab. Ooch! Leck mich! Linktausch am Arsch!

13 Uhr

Bald hab ich es geschafft. Der Berg wird kleiner. Ich schau die Jobo an. Sehnsuchtsvoll… Noch heute mein Schatz, nicht mehr lange. Ich hab nur noch ein paar Belege, dann bist du mein!

15 Uhr

Ich hab die Belege fertig und die 147 E-Mails zum Teil beantwortet. Warum glauben eigentlich alle, dass ein Blogger den ganzen Tag rumsitzt und Fragen beantwortet? Ich bin weder allwissend noch ein verschissenes Nikon Manual. Ich beantworte immer (noch) fast alle Mail… wenn das so weitergeht, irgendwann nicht mehr…
Mein Sohn kommt ins Büro. Ich hatte ihm versprochen, mit ihm Batterien für seine HotWheel-Bahn zu kaufen. Scheisse! Wieder in den Drecks Elektronik Markt… Hooch! Ciao Jobo! Bis gleich!

15.30 Uhr

Ich bekomme den Anruf meiner Frau, die gerade bei in einem Einrichtungshaus die neue Küche zusammengestellt hat. Alles ist fertig aber ich müsste sofort nach Hamburg kommen und irgendeine Unterschrift für die Finanzierung leisten (fragt mich nicht). Sonst müsste sie wieder von vorn anfangen mit der Bestellung. Ich soll einfach zu einem Marcel in der Küchenabteilung gehen… er wüsste Bescheid. Sie müsse jetzt weiter. Die Pulsader an meinem Hals beginnt zu klopfen. Mein Sohn ist bockig, weil auch er seit Tagen sehnsüchtig auf den ON/OFF-Knopf der HotWheel Bahn schielt. Er hat – ebenso wie ich –  gerade richtig Lust im Berufsverkehr durch alle Stau-Dreiecke in das beschissene Einrichtungshaus zu fahren. 2 Männer – verbunden im Geist… Das Gesicht zur Faust geballt setzen wir uns ins Auto und fahren los.

16 Uhr

Stau! War klar! Ich versuche nicht an die “Jobo” zu denken. Es will mir nicht gelingen. Die Radio-Moderatorin sagt “Another brick on the wall” von Pink Floyd an. Ich schreie sie an:  Es heisst “… in the wall”  du Fo…e!!!! Mein Sohn grinst. Natürlich wird das Stück anschliessend wieder schön zerstückelt. Weiß PinkFloyd eigentlich, dass die Radiosender einfach komplette Songteile aus Liedern heraus schneiden, nur damit die Deppen, die zu blöd sind ein Lied anzusagen, noch eines dieser beschissenen Senderlogos (“die besten  70er, 80er, 90er und dem besten von Heute”) mehr in der Stunde unterbringen?

17 Uhr

Eine Schlange am Info-Terminal der Küchenabteilung des Einrichtungshauses. Von diesem Marcel weit und breit keine Spur. Ich stelle mich an. Die Kundendienstberaterin hat diese bewundernswerte Gabe mit leerem, toten Blick durch die Kunden hindurch zuschauen und Sätze zu formulieren, die weder ihr Gegenüber noch wahrscheinlich sie selbst versteht. Ich hatte nie eine Ausbildung als Kundendienstberater, aber dieser leere Blick ist etwas, was sie alle können – diese Kundendienstberater. Ich stehe in der Schlange. Mein Sohn quengelt. Meine Halsschlagader ist kurz vor der Explosion. Hier ist sonst niemand, den ich nach “Marcel” fragen könnte. Ich postiere mich geschickt von der Seite, werde aber von “Mrs. Leerer Blick” keines des selbigen gewürdigt. Ich will zu Marcel… Wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, was noch kommt…

17.20 Uhr

Ich darf meine Bitte hervorbringen. Ich weiss nun, dass Marcel in Wirklichkeit “Herr Botel” heisst und mittlerweile Feierabend… ich wills nicht wissen – vielleicht hat er ja ne Jobo zu Hause an der er gerade rumspielt. So, liebe Kundenberaterin. Gib mir das Scheiss-Schriftstück damit ich unterschreiben kann… dann bin ich weg! Sie weiss natürlich von keiner Unterschrift. Ich könnte ja morgen nochmal… Meine Stimmlage verrät ihr, dass mein Vulkan kurz vor dem Ausbruch steht und sie schaltet sofort auf hilfsbereit. Dein Glück duuuuu … ! Sie verschwindet um die Sache zu klären und hinter mir fangen die Leute an zu murren. Ich drehe mich um und mache mit einem Blick deutlich, daß diese Situation hier ganz scheußlich enden kann – für alle Parteien! “Mrs. toter Blick” kommt in der Tat nach 11 Minuten mit einem 23 seitigem Schriftstück wieder, auf dem ich nun 4 mal pro Seite unterschreiben soll. Mir ist egal, was ich da jetzt unterschreibe. Ich kalkuliere die Zeit, die mir heute Abend noch mit der Jobo bleibt…
Mit der letzten geleisteten Unterschrift, teilt sie mir mit, dass ich nun damit zur Kasse müsse. Ist nicht dein ernst, oder?

18 Uhr

Die Kassenzone hat 4 Schalter, von denen 2 besetzt sind. Naja eigentlich nur eine… Es gibt zwar 2 lange Warteschlangen, doch am Ende der einen Schlange ist keine Kassiererin.  Die Gesichter der Wartenden signalisieren mir, dass dieser Zustand für sie nicht neu ist.  Ich überlege mir, wem ich als nächstes (einfach mal so) eins auf die Fresse hauen könnte. Einfach nur um meine inneren Frieden zu finden – als Ausgleich sozusagen. Mein Sohn fragt, ob wir jetzt nach Hause fahren. Meine Lippen zittern. Was machen die da mit mir? Ich will hier nicht stehen! Ich will zu meiner Jobo.

18.15 Uhr

Es geht nur mühsam vorwärts. Schalter 2 ist mittlerweile wieder besetzt. Ich hab durch einfaches Beobachten die Handlungsabläufe der beiden “Kassiererinnen” grundlegend optimiert und könnte den Ablauf um ein Vielfaches beschleunigen. Die beiden hatten offenbar noch nie Zeit, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen und gehen die immergleichen Wege doppelt und dreifach. Ich beginne Mitleid zu haben – mit mir selbst! Ich wimmere innerlich und verachte die Situation in der ich mich befinde. Ich will einmal im Leben soviel Geld haben, daß ich sowas wie das hier nicht machen muss! Ich will an der Jobo spielen. Ich überlege, ob ich – wenn ich wirklich reich wäre – immer noch an der Jobo spielen wollte… komischer Gedanke… Ich entscheide mich dafür, diese Überlegung mit weniger negativer Energie weiterzuzführen.

18.30 Uhr

Ich bin dran. Die Kassiererin blättert in den 23 unterschriebenen Seiten, die ich ihr vorlege und findet offenbar die für sie wichtige Seite nicht. Die Stellung ihrer Augenbrauen verrät mir, daß hier irgendwas fehlt und ich dann fällt er – der Satz: “Da müssen Sie wohl nochmal hoch zu meiner Kollegin in den Kundendienst”. Ups! Hab ich da gerade das Platzen meiner Halsschlagader gehört? Ich höre mich sagen: “Nein! Das muss ich nicht! Sie müssen! Denn ich kaufe hier gerade ein Produkt  für einen hohen vierstelligen Betrag und erwarte, wenigstens Sie mir einen letzen Funken Würde lassen.” Wir einigen uns darauf, daß ich mich nicht noch mal anstellen muß, sondern gleich zu ihr durch darf. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und  stapfe dampfwalzend in Richtung “Mrs. toter Blick”. Sie merkt, das was nicht mit mir stimmt und lässt mich direkt vor. Ich ramme meinen Blick in ihr Gesicht und sie kümmert sich sogleich um Geheimhaltung.

(Mein Sohn hat irgendeinen Computer entdeckt, auf dem er gerade fleissig herum tippt. Hää! Ich halte ihn nicht ab! Er ist 5 und freut sich, wenn irgendwas nach Tasteneingabe passiert.)

19 Uhr

Ich habs geschafft! Stilpirat has left the Building. Mein tapferer Sohn hat irgendwas an dem Computer ausgedruckt und freut sich diebisch über seine Trophäe. Ich weiss, dass ich in meinem Leben nie wieder eine Küche kaufen werde und daß die Jobo jetzt auf mich wartet.

20 Uhr

Ich bin zu Hause. Die Kinder sind im Bett und ich gehe in Richtung Jobo-Kiste. Das Telefon klingelt und Paddy ist dran. Heute ist wieder Aufnahme der Knackscharf-Sendung und wo ich denn bliebe…

22 Uhr

Die Knackscharf-Sendung ist aufgenommen und ich schreibe eine Blogpost. Neben mir steht eine Flasche meines Lieblings-Brandys… mittlerweile nur noch halbvoll. Ich suche den Titel für die Blogpost.

Wie findet Ihr: “Leben, wie es nicht sein sollte” ??