7. Juni 2011
5.19 Uhr! Vogelgezwitscher. Die Seraphe schläft noch. Ich träumte von Goethe. Der lief um einen Tisch. Unentwegt. Zerknittertes Gesicht. Ein hässlicher Mensch. Eine Karikatur. Plötzlich blieb er stehen. Sah mich an. Sagte: „Keine Brillenträger!“ Er zeigte zur Tür hin. Ich ging und erwachte.
Geburtstag des Schriftstellers Reinhold Meier.
„Immanuel erwachte. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Er beugte sich nach vorne. Dachte an seinen Traum. Er war erschossen worden. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Trotzdem würde er jetzt aufstehen müssen. Er quälte sich aus dem Bett. Sah sich um. Nein, dachte er. Ich werde bleiben. Er kroch unter die Decke zurück. Schloss die Augen, um zu schlafen. Ich werde den Mord an mir zu vereiteln wissen, dachte er. Wüberthal entspannte sich. Und dann sah er ihn. Der Mann, der ihn erst vor einigen Minuten erschossen hatte.“
Aus „Der Traum des Immanuel Wüberthal“. Ein Roman von Reinhold Meier.
Kaffee. Zigarette. Die Seraphe ist erwacht. Ungerührt rührt sie ihren Cappuccino um. Sie liest. Sie verschwindet in den Buchstaben.
Lege eine Oper von Sachmeier ein. „Die Bank“. Er schrieb die Oper vor etwa drei Jahren. Sachmeier muss als einer der großen Komponisten bezeichnet werden. Neben ihm können einzig noch Werdermann und Hochthaler bestehen.
Menschen, die sich dieser Musik verschließen, denen nicht einmal die Namen der Komponisten etwas sagen, widern mich an. Sollen sie doch weiterhin vor den Fernsehern hocken und sich ihre Sendungen ansehen. Dschungelcamp. Reise nach Jerusalem. Mensch ärgere dich nicht. Kulturzeit. Metropolis. Arte. Nein! Das ist nicht meine Welt. Ich will das große Gefühl. Das ganz große Gefühl.
Ein drückendes Gefühl im Unterleib. Ich muss Dampf ablassen. Im stillen Örtchen. Ich! Ich und das große Gefühl. Blähungen. Wo kommen die denn plötzlich her?
Anschließend Morgenlektüre. Las von der Schließung einiger meiner Lieblingsbordelle. So weit ist es also mit dem Land gekommen. Da wird Puff um Puff geschlossen, aber die Menschen gehen ungerührt weiter. So als wäre nichts geschehen. Armes Deutschland! Verkommenes Täuscherland!
Ich ziehe an meiner Zigarette. Nehme einen Schluck vom Kaffee. „Die Bank“ wird gerade überfallen. Der Einsatz der Trommeln. Das ist drängend. Zupackend.
6.31 Uhr! Das Sternchen ist erwacht. Diskussionen mit der Mama über die geeignete Kleidung. Laut Wettervorhersage wird es wieder ein schwül-warmer Treibhaustag.
Ein Anruf von Herzinger erreicht mich. Kann, will und darf über den Inhalt des geführten Gesprächs nicht schreiben. (Herzinger arbeitet als Bundeswehr-Dichter in Afghanistan. Er arbeitet momentan an einer „Ode an den Schmerz“. Das muss als Information in diesem Tagebuch genügen.)
17.29 Uhr! Zurück von der Ärztin. Die Untersuchungsergebnisse meiner Darmspiegelung wurden präsentiert. „Das wäre bösartig geworden. Randstreuend. Aber draußen ist draußen.“
17.31 Uhr! Kaffee. Zigarette. Visionen meines Todes. Die Seraphe telefoniert.
18.04 Uhr! Verschwitzt. Müde. Schlecht gelaunt.
Heute sind zwei Bücher eingetroffen. James Dickey: Flussfahrt. Und Thomas Glavinic: Wie man leben soll.
18.34 Uhr! Telefonat mit Simone Barrientos vom Verlag!
Kann mal jemand diese Heulsusen abstellen, die sich ständig über den Literaturmarkt beschweren. Diese Hochkulturwichser nerven auf Dauer einfach nur. Klar. Die Buchhandlungen laufen mit Scheiße über. Und? Ist das mein Problem. Lebe ich etwa in einer beschissenen Buchhandlung. Nein, ich habe das Internet. Ich kann nach allen Büchern stöbern, die ich haben will. Und noch bekomme ich ohne Probleme einen Thompson, einen Woodrell, hey, ich meine, die Jungs konnten noch schreiben, was man von diesen Dauernörglern nicht unbedingt behaupten kann.
21.11 Uhr! Wein, Weib und die Simpsons. Geht doch!
8. Juni 2011
5.28 Uhr! Kaffee. Zigarette. Regen. Meine Augen noch leicht verklebt. Da hängen noch Träume drin. Ich werde mich an die Arbeit machen. Mir einige Buchstaben auf den Rücken binden. Und los. Die Anhöhe des schneebedeckten Berges erklimmen, um nachzusehen, ob sich die Aussicht von dort lohnt. Rinnen muss der Wörterschweiß.
Gedanken zu einem Vampir-Roman. Habe da so einige Ideen. Wer weiß, vielleicht schlummert da eines meiner nächsten Projekte in diesem engen kleinen Bett in der hinteren Stube des Kopfes.
Geburtstag: Ferdinand Ruhl. Schrieb die Novelle „Fensterplatz“.
„Die Straße, die war eine Bühne für sie, eine Bühne, die sie nicht missen wollte, die nie zur Ruhe fand, weil sich gar noch gegen Morgen ein betrunkener Schauspieler fand, der ihr eine Aufführung spendierte, der sie mit seinen Liedern und Schimpftiraden verwöhnte, die sie gerne nahm, die sie dankbar mit einem Klatschen begleitete, hinter der Gardine im abgedunkelten Zimmer sitzend, ihrem Zuschauerraum, während draußen die Vorstellung ihres Lebens nicht enden wollte.“ Ferdinand Ruhl, Fensterplatz, Novelle
16.46 Uhr! Die Seraphe telefoniert mit ihrer Schwester. Kaffee. Zigarette. Schreiben. Mehr gibt es nicht zu berichten, außer vielleicht von Raziniski, Sie kennen ihn sicherlich, den Autor des Romans „Herzkater“. Nachdem er mich wegen meiner Pläne für einen Vampir-Roman beschimpfte, mich als Teil der dummen Masse bezeichnete, die dieses Land wie ein Pilzbefall überziehen würde, musste ich ihn leider mit einem Tritt in den Arsch aus meiner Wohnung befördern. Diese Freundschaft ist aufgekündigt. Fuck you, Peter Raziniski.
Und Ehec wird überall gefunden.
Trage mich mit dem Gedanken, in die Politik zu gehen. 16.52 Uhr! Habe den Gedanken wieder verworfen.
Werde meine Tagebuchaufzeichnungen nun vielleicht im Takt von jeweils zwei Tagen veröffentlichen. Sonst wächst da ein undurchschaubarer Wald heran, den niemand mehr betreten will.
17.03 Uhr! Anruf von einem betrunkenen Torn. Ich legte rasch auf. Der Mann scheint mir am Ende.
Dies muss für heute genügen. Werde jetzt veröffentlichen. Später grillen wir noch. Dann Wein. Schreiben.