5. Juni 2011
Kaffee, Zigarette. 5.56 Uhr. Arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass ich bereits schon wieder an einem neuen Roman arbeite? Nein? Behalten Sie es für sich. Das geht niemanden etwas an.
6.56 Uhr. Die Seraphe schläft noch. Der Vogel beschwert sich mit Piepslauten unter seinem Leichentuch. Ich könnte ihn abdecken. Erst werde ich eine Zigarette rauchen. Der Vogel beschwert sich wieder. Gut. Er hat gewonnen.
7.40 Uhr Hatte den Vogel nun doch vergessen. Seraphe befreit ihn aus seiner misslichen Lage.
Eine Stellungnahme zum Leserbrief von Martin Eberhardt in der Fuldaer Zeitung vom Samstag, 4. Juni 2011: Lieber Martin Eberhardt, endlich wurde von einem Christmenschen ausgesprochen, was so viele im Fuldaer Land denken. Ja, erst wenn wir wieder zu Gott beten, wird es regnen. Auch sollten die zahlreichen Einkaufstempel in Fulda eingerissen werden, um so endlich mehr Kirchen Platz zu machen. (Ich wäre für den Neubau von mindestens 43 neuen Kirchen in der Fuldaer Innenstadt.) Nur gottgefälliges Leben kann uns wieder Regen bringen, den wir, sollte er dann im Übermaß fallen, einfach hinweg beten können. Es ist die christliche Tradition, die den Lauf der Natur bestimmt. Hat nicht Gott die Menschheit ob ihres sündigen Lebens dereinst mit einer Sintflut vom Antlitz des Planeten gewischt? Nun aber trägt er sich mit einem anderen Plan, der vorsieht, sollten wir unser Leben nicht binnen 14 Tagen ändern, uns mit einer viertausend Jahre währenden Hitzeperiode zu strafen. Ich danke Ihnen für Ihren aufklärerischen Leserbrief. Guido Rohm, Petersberg.
Fernsehen. Vox. Ein Bericht über das höchste Gebäude der Welt. Über den Einsatz an den Fassaden in schwindelerregender Höhe. Die Fassadenkletterer putzen die Scheiben für 2000 Dollar. Wie viel werden sie verdienen? Auf jeden Fall nicht genug.
(Habe ich in diesem Monat schon zur Revolution aufgerufen? Nein? Gehen Sie raus und errichten Sie Barrikaden! Jetzt! Sofort!)
Blick durch unseren Fernseher auf das höchste Gebäude der Welt
Ich hoffe, Sie sind schwindelfrei!
Tipp an den Schriftstellernachwuchs: Viel Fernsehen. Das ist wichtig! Lesen Sie lieber weniger.
Runhard Sage hat das Tagebuch bei Getidan eingebaut!
Bei Sternchen angerufen, die Papa-Wochenende hat. Sie möge eine halbe Stunde früher kommen. Wie wollen mit ihr noch zu einer Vernissage. Bei dem Wort bekomme ich bereits Ausschläge. Egal. Wir fahren hin.
Dem Herrn könnte man stundenlang lauschen!
Waren gerade in einer Ausstellung. Schöne Bilder. Brutale Einführungsrede. Es gibt Redner, die sollten unbedingt zur Kunst schweigen. Aus 20 Minuten wurden gefühlte 2 Stunden. Das schafft sonst nur eine Wagner-Aufführung.
Zurück. 17.25 Uhr. Gewitter. Luft wie in einem Treibhaus. Abendessen. Lesen. Fernsehen. Das Leben kann so schön ohne Ausstellungseröffnungen sein.
6. Juni 2011
Sprossen geraten als Ehec-Quelle in Verdacht.
Sollte man so die Einträge des 6. Juni 2011 beginnen, mit einer kryptischen Spiegel-Online-Nachricht, die sich mir in den noch müden Blick schob, die sich mir in die Augen presste, die wenige Sekunden zuvor noch das Antlitz eines geträumten Atlantis gesehen hatten, mit den Lidern das Meer aufwühlend, während ein letzter Stoßseufzer Richtung Meer eine gigantische Welle in Bewegung brachte?
Nein, das sollte man nicht. Denn solcherlei Nachrichten zeugen Satzungetüme.
Man sollte erst einmal wach werden. Genüsslich gähnen. Nach dem Kaffeebecher greifen. Eine Zigarette rauchen. Geht doch, mein lieber Rohm, geht doch.
5.28 Uhr. Guten Morgen!
Geburtstage: Benjamin Stein, aber auch die wunderbare Isolde Kröger.
„Im Schwarzen, sich neigend, das Felde ehrend, den Boden küssend, marschierten wir in Ketten der aufgehenden Sonne entgegen. Die schnauzbärtigen Soldaten, wippend und spuckend, kreuzten unsere Wege und unsere Gedanken. Kein Entkommen. Nirgends.“
Aus „Dies sei mein Feind“, Roman, Edition Kornbach
Ich traf mich heute mit Alfonso Guamez, dem literarischen Schwergewicht aus Mexiko, der den Magischen Realismus wie kein Zweiter mit seinen Romanen geprägt hat.
Alfonso Guamez, ein Titan des Magischen Realismus
„Carlos sah auf die Erde hinab, die schwarzen Formen abschätzend, diese von Sonne und Hauswand im Sand gebildeten geometrischen Formen, die ihn an die kubistischen Zeichnungen seines Freundes Jose erinnerten. Schatten wären das, hatte ihm einst ein Kind erklärt; eine Deutung, die Carlos nur mit Verachtung, die sich in Form eines bösartigen Grinsens manifestierte, abstrafen konnte. Geh spielen, hatte er zu dem Kind gesagt, und sich dann wieder den schwarzen Bildern zugewandt, sie mit den Augen vermessend und den Lippen besprechend.“
Aus „Schatten“ von Alfonso Guamez
Wir tranken einen Kaffee, sprachen über dies und das, dann später reichte mir Guamez eine Übersetzung seines letzten Romans „Die blaue Straße“.
„Es regnete seit Tagen unablässig, die Tropfen fielen kugelgroß auf die Stadt hinab, beschossen die eilig hetzenden Passanten, die sich unter Regenschirmen zu schützen versuchten. Schwarze Wolken überspannten die Häuser, dunkelten die Welt ein, ließen Gesten und Menschen in einem trüben Grau verschwinden. Die Farben waren gewichen.“
17.52 Uhr. Wieder am Schreibtisch, noch an Guamez denkend. Der Vogel pfeift ein trauriges Lied. Sein Schnabel reckt sich zur Decke. Er träumt vom Himmel.