29. Mai 2011
Jedes gute Tagebuch slotte seine Rechtschreibfehler pflegen.
Die Kinder sind am Spielplatz. Der Wind schlägt gegen die Scheibe, während ich wie betäubt am Roman arbeite. Es gibt Tage, da will sich die Sprache nicht bändigen lassen. (Und gehst du an einen neuen Roman, dann vergiss die Peitsche nicht!)
Die Seraphe vergnügt sich mit einem Online-Spiel. Unser Vogel indes versucht sich in der Kunst der Wand-Hypnose. Stumm und starr sieht die Wand ihn an. Der Vogel scheint zufrieden.
Bekam eben eine Mail von Frank Göhre, dem großartigen Frank Göhre, mit dem ich eine Geschichte schreibe, mit dem ich eine Geschichte geschrieben habe. Nun liegt sie vor meinen Augen. Sie soll an Wörtche gehen.
Was will ich produzieren? Entertainment natürlich. Ein böser Clown der Literatur sein. Ein Schaf im Wolfspelz.
Sternchen wurde zu einem Sportfest abgeholt. Die Seraphe räumt in der Küche. Die Jungen sind mit ihren Lichtschwertern beschäftigt.
Ich trinke einen Cappuccino. Die Müdigkeit, die mir ein so guter Feind geworden ist, deckelt mich.
Die Geschichte ist an Thomas Wörtche abgesandt. Bin gespannt, ob sie ihm gefallen wird.
Seraphe sonnt sich auf dem Balkon, während ich dem Netz wieder einmal ins Netz gehe.
Und dann ist es Abend. Wir sitzen mit einem Glas Wein auf dem Balkon, ein leichter Abendwind klopft uns beruhigend auf die Wangen und verheißt Hitze für den morgigen Tag.
30. Mai 2011
Antwort von Thomas Wörtche. Die Göhre-Rohm-Story wird online erscheinen. Dazu später mehr. Werde es ja eh in der Pathologie ans Schwarze Brett hängen.
Bin stets wieder überrascht, wie überlegt und durchdacht andere Autoren, die sich nie als Autoren, sondern augenstarr als Schriftsteller betiteln, über ihre Romane und Erzählungen schreiben können. Da herrscht kein Zweifel am eigenen Tun; sie können Erklärung für Erklärung über ihr Werk liefern. Das kann ich nicht. Überhaupt nicht. Alles wächst wild, streckt sich zur Schreibtischlampensonne hin, schlängelt sich um die Tastatur. Wäre ich ein sorgsamer Wanderer, würde ich mit einer Machete arbeiten. Die überließ ich aber bisher dem Lektor. Und sagen, warum ich wie was erfand und warum es der und der Worte bedurfte, kann ich auch nicht. Der Rest ist Schweigen und Fluchen, mit einer Zigarette in der rechten Hand und dem Kaffeebecher zu meiner Linken. Die wichtigste Schreibhilfe ist mir noch das Bett oder das Sofa. Was erträumt wurde, muss nicht erst erfunden werden. Ich würde mich weder als Handwerker noch als Medium bezeichnen, dann schon eher als Fachmann für Kraut und Rüben.
Guten Morgen, Welt. So etwas schreibt man an einem 30. Mai um 5.35 Uhr.
Der Computer muss eingeschickt werden. Shit!
Am Nachmittag ein Eis mit Seraphe und Sternchen, anschließend zurück an den Roman. Selbstverständlich mit einem Cappuccino. Die Hitze quillt durch alle Ritzen in die Wohnung. Wieder einmal weiß ich, warum ich eine Raumstation bevorzugen würde.
Las soeben wieder einmal den Begriff „Hochliteratur“! Mit der möchte ich nichts zu tun haben. Ich arbeite nämlich in der Tiefliteratur, denn in der Tiefe muss man schürfen, will man den Grund für dieses Leben finden. Auf dem Weg dorthin stößt man auf allerlei Metalle, auch Gold.
Kulturzeit. Konnte mich wieder davon überzeugen, dass an den
deutschen Theaterbühnen seit Jahren nur ein Stück inszeniert wird. Wovon es handelt? Von Inzucht, Blut, nackten Körpern; am Ende wohl von den unteren Hirnschichten des Deutschen, der sich ansonsten nur in einem Mischverhältnis aus „Bild“ und „Spiegel“ wiedererkennt. Dort fühlt er sich aber um einiges geborgener als in den Hallen des Theaters.
Die Krise des Theaters wäre durch Schließungen der Theater oder durch ein Versiegen des Geldflusses zu überwinden. Man sollte endlich den Mut dazu finden!
31. Mai 2011
Der neue Rechner sitzt verpackt vor den Bücherregalen. Habe den alten Rechner angeschlossen, um weiterhin ins Datenmeer springen zu können.
Warte auf diverse Antworten, die über die Mailfähren bei mir eintreffen sollen. Was kommt? Bisher nichts. Ungeduld ist eine der weiteren großen Sünden meines Lebens. Die Ungeduld wird mich irgendwann noch auffressen.
Heute wird das Urteil im Fall Kachelmann erwartet. Nach den bisher vorliegenden „Beweisen“, besser deren Abwesenheit, kann und muss es einen Freispruch geben.
Wir haben 5.35 Uhr. Diese Uhrzeit verfolgt mich. Sie hängt mir im Genick. Sie will mich nimmer verlassen. Vielleicht ist es in meinem Leben immer nur 5.35 Uhr gewesen. (Ich bin der Gefangene der Zeitzelle 5.35! So erfahre ich also davon. In welcher Zeitzelle sitzen Sie ein? Klopfen Sie an die Wand. Vielleicht kann ich Sie hören. – Es muss einen Weg hier heraus geben. Ich weiß es. Gestern hörte ich ein Kratzen und Schaben des Gefangenen oberhalb meiner Zelle. Die Seraphe sagt, sein Name wäre Waschbär. Ich mag seinen Namen. Das muss ein gemütlicher Mensch sein. Ich werde mit ihm Kontakt aufnehmen. Er soll wissen, dass er nicht allein ist. Ruhe jetzt! Die Wachen drehen ihre Runden, schon höre ich die schweren Schritte. – Glück gehabt. War nur die Nachbarin.)
5.42 Uhr! Ich konnte tatsächlich fliehen. Gott, es tut so gut, die abgestandene Luft der Freiheit kosten zu dürfen.
5.44 Uhr. Und wieder habe ich zwei Minuten hinter mir gelassen. So weit die Gedanken tragen. (Waschbär indes scheint zu schlafen oder ebenfalls geflohen zu sein. Wir hören nichts von ihm. Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute. Wo auch immer er sein mag.)
Habe das Cover meines im Herbst erscheinenden Romans „Blutschneise“ in der Pathologie veröffentlicht. Warum nur schreibe ich ständig im ersten Augenblick „Blutscheise“? Verlangt der Roman etwa nach diesem Titel?
5.48 Uhr! Jetzt werden sie mich wohl nicht mehr bekommen.
Saß eben auf dem Balkon und rauchte eine Zigarette. Warum sollte ich Klassik hören, wenn ich dort das klassische Programm schlechthin geboten bekomme? Die Symphonie aller Symphonien: Vogelgezwitscher! Außerdem arbeiten die sogar noch im Performance-Bereich und streichen das Geländer mit ihrer Kacke neu. (Kachelmann ist immer noch nicht frei gesprochen worden.)
Geht doch. Kachelmann ist frei! Wind kommt auch auf und treibt die Hitze aus.
Kleiner Mailverkehr mit Runhard Sage!
Ich bin schlecht gelaunt. Ich bitte die Menschheit, dies zur Kenntnis zu nehmen. Draußen regnet es. Jetzt schon nicht mehr. Selbst der Regen hat kein Durchhaltevermögen mehr. Man sollte das Wetter und die deutschen Theater abschaffen. Aber was macht Kachelmann ohne das Wetter?
Erschöpft. Noch 30 Seiten, dann ist der neue Roman beendet. Die Seraphe sitzt hinter mir und frönt ihrer Spielsucht. Da soll noch mal jemand behaupten, so eine Beziehung ließe sich nicht online führen.
1. Juni 2011
5.23 Uhr. Die Kaffeemaschine benimmt sich wie ein störrischer Bock. Es regnet. Warum nur, habe ich das Gefühl, die Welt könnte jeden Moment untergehen?
Arbeit am Roman. Irgendetwas muss man ja bis zum Weltuntergang tun.
Einkaufen. Auch bei Thalia, die auf einem Wühltisch Papier anboten. Darunter befanden sich auch tatsächlich zwei bis drei lesbare Romane. Anschließend zum Fast-Food-Riesen, der uns verspeiste.
Videothek. Drei Filme ausgeliehen. Heim. Mit den Einkäufen in die Wohnung stolpern. Mails abrufen. Arbeiten. Die Welt ist nicht untergangen. Was ist da nur los? Bei Facebook auch keine Antwort gefunden. Sonderbar. Da steht doch sonst alles drin.