Leben und Meinungen des Guido Rohm (11)

Von Guidorohm

18. Juni 2011

6.27 Uhr! Der Wind pfeift. Ein trübes Wetter. Irgendwie eingeschnappt. Boshaft. Nachtragend. Mit dem Wind schlagend, dessen Hand die Hausecke fasst, sich klagend haltend, als wäre da ein Gegenwind, der ihm ans Leder will. Da müssen also viele Winde rollen, die sich einen Kampf liefern. Ein Boxkampf der Winde. Und wenn man aus dem Fenster sieht, dann kann man den Wind in der linken Ecke mit den Füßen tippeln sehen. Er tritt ein Gebüsch in Grund und Boden, als würde es in die Hölle gehören, nicht aber in des Nachbarn Vorgarten. Und dann plötzlich Ruhe. Wo ist er hin? Er lauert. Er versteckt sich. Jetzt kann man sogar die Vögel hören. Eine gespenstische Stille. Die Ruhe vor dem Sturm.

Die Seraphe schläft noch, eilig, will sie doch alle ihre Traumländereien vor dem Erwachen besucht haben. Die Wohnung erstarrt vor der gnadenlosen Ruhe, die jetzt und eben vom Toben des Windes aus ihrer Lethargie gerissen wird. Natur sollte in Schriftstellerkreisen verboten werden. Was will ich denn mit diesem Unding von Natur, denn wenn ich Natur will, dann beschreibe ich sie mir einfach. Ich stelle mir alles vor. Den Sonnenuntergang. Den Maulwurf mit Helm und einer Lampe am Helm. Den Wasserfall, der sich mit einem Kreischen in die Tiefe stürzt. So ganz nebenbei: Wasserfall will man auch nicht sein. Ein nicht enden wollender Selbstmord. Nein, meine Damen und Herren, nein, daran ist mir nicht gelegen.

Das Sternchen ist fort, ich schrieb es bereits, ein Dröhnen ertönt, ich hebe den Kopf, ich kann nichts sehen, ich muss rasch unterbrechen, ich hetze zum Fenster hin, Moment, da bin ich wieder, es war, Sie werden es mir nicht glauben, ein UFO. Sah ganz danach aus. Eine flache glänzende Scheibe, die über den Himmel wie mit einer Schnur gezogen wurde. Vielleicht war das auch nur ein neues Flugzeugmodell. Ich verdränge mal lieber den Gedanken an ein UFO. Beim Don ist mir das Verdrängen ja auch gelungen. Der Don, ja, von dem ich nichts mehr gehört habe, wird sich wohl beruhigt haben.

Geburtstage: Ernest Santiago und Ruben Castello.

Servicekraft steckt 20 Gäste mit Ehec an. (Man ist einfach nicht mehr sicher. Nirgendwo. Ich werde meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich werde mich hinter meiner Tastatur verschanzen. Geht aber auch nicht. Habe heute einen Termin beim Friseur. Abends ein Konzert. Mist!)

6.48 Uhr! Lese mein Tagebuch. Ja, solche Einträge braucht die Menschheit. Darauf hat sie gewartet. 6.49 Uhr! Leichte Verunsicherung. Sollte ich alles löschen? 6.50 Uhr! Konnte mich vom Wert meiner literarischen Arbeit überzeugen. 6.51 Uhr! Alles Müll. Alles Müll. 6.52 Uhr! Ich sollte das alles einfach stehen lesen. Schreiben, dann nicht mehr lesen. Das Tagebuch (überhaupt all meine Texte) stürzen mich in Zweifel, die sich durch den ganzen Tag ziehen können. Die Zweifel reißen den Tag dann in kleine Fetzen. Wer will das schon? Ich! Darüber kann man dann schreiben. Alles ist Material. Alles. 6.54 Uhr! Ich hatte das eben nicht schreiben sollen. Lösch es, flüstert eine Stimme in mir. 6.55 Uhr! Nein! ich werde es nicht löschen. Es wird stehen bleiben. Und dabei bleibt es nun. 6.56 Uhr! Wirklich? 6.57 Uhr! Jetzt reicht es mir aber, Rohm. 6.58 Uhr! Ist ja gut, ist ja gut.

7.01 Uhr! Sich dumm und dämlich surfen. Das ist einfach. Ich muss mich zurück halten. Ich werde schreiben. Jetzt!

8.27 Uhr! Die Seraphe sitzt in der Küche. Habe eine Geschichte geschrieben. Warten auf Manuel. Die Seraphe liest die blutrünstige Erzählung. Was ist denn mit dir heute los?, fragt sie. Nichts, antworte ich. Sollte ich nachdenklich werden? Nein.

Unten Haus knallt eine Tür. Ich zucke zusammen. Ich sollte mich mit einem Zombiefilm ablenken.

Der Vogel schreit angewidert auf. Ich sehe ihn an. Gut, sage ich, dann arbeite ich eben noch ein wenig am Roman. Mach das, piepst der Vogel und springt auf die Leiter.

15.02 Uhr! Was für ein Wetter! Die Seraphe und ich sind aus der Stadt zurück. Meine Haare sind gestutzt. Das Sternchen rief an. Der Wind heult noch immer. Unaufhörlich. Ich habe eine Kurzgeschichte mit dem Titel REVOLUTION geschrieben. Jetzt noch ein wenig ruhen. Später geht es dann auf ein Konzert.

19. Juni 2011

7.15 Uhr! Die Augenränder sind geschwollen wie nach einem Boxkampf. Ich bin spät erwacht. Spät für meine Schreibbedürfnisse, die sich nach der frühen Morgenstunde sehnen. Die Straßen unterliegen der Gewalt des Sonntags. Stille. Die Nachbarn schlafen noch alle.
Wir sind gestern gegen 23.00 Uhr nach Hause gekommen, waren wir doch bei einem Konzert, zu dem ich eigentlich nicht viel schreiben möchte. Die Seraphe wollte dorthin. Ich tat ihr den Gefallen. Unheilig.

Jetzt ist es draußen. Das ist nicht meine Musik, auch wenn ich eine hervorragende Vorband hören durfte. Livingston. Die hatten einen markanten und großartigen Sänger. Die Songs durchfuhren mich. Stellen die Haare auf meinem Körper in die Vertikale.

Das Autos hatten wir auf einer Wiese in der Nähe des Konzertgeländes geparkt.
Das allerdings war dann ein rechtes Abenteuer: Die Abreise! Rasch waren die Ausfahrten verstopft. Nichts ging mehr. Da standen wir dann. Autokühe in der Nacht. Käuten Erlebnisse wieder. Erfreuten uns der Nachtweide. Hier hin. Dort hin. Ständig kamen neue Gerüchte auf, wie denn dieser Hölle zu entkommen wäre. So kann man es sich schon in der Unterwelt vorstellen. Ein Platz voller Autos. Man wartet auf einen Abfahrtstermin. Nichts tut sich. Es wird so bleiben. Bis in alle Ewigkeit. Amen.

Und doch sind wir zurück. Die Seraphe grast noch auf ihrer Traumweide. Ich will mich nun ans Schreiben machen.

Athens Spar-Gegner rüsten für langen Protest.

Geburtstag: Rainer Sagemund. (Schrieb die Romane „Die Vergessenen“ und „Entweihtes Glück“)

8.22 Uhr! Schrieb ein kleines Gedicht:

krähenspuren

du schließt die augen
öffnest sie
und plötzlich
bist du das letzte gesicht
in facebook
keine statusmeldungen
keine links
deine reine und weiße seite
die erst noch
beschrieben werden muss
bin kaffee trinken
schreibst du
kein daumen
keine antwort
nichts
als nur du
in der wüste
aus schnee
darin deine buchstaben
krähenspuren sind

8.33 Uhr! Die Seraphe ist erwacht. Es war kalt in der Nacht, sagt sie. Ich habe mir eine Decke geholt. Der Vogel turnt, während die Seraphe in der Küche vor ihrem Cappuccino sitzt und in der Zeitung blättert. Ein Rascheln im Blätterwald. Man hetzt von Nachrichtenbaum zu Nachrichtenbaum, sucht nach einer Lichtung, findet keine, nicht hier, nicht dort, überall liegen die Toten, die Unglücke ziehen dich tiefer in den Wald hinein, dort wo es dunkel ist, wo du dich fürchten musst, dort, wo nichts als Schrecken ist.

10.48 Uhr! Ein bisschen getippt. Ein merkwürdiger Text, der mich selbst nicht überzeugt. Also soll er im Tagebuch bleiben. Das genügt. Mehr Leben will ich ihm nicht zugestehen.

ORBAN

Hausfrauen. In langen T-Shirts. Die Haare unfrisiert. Man musste die Kinder in die Schule bringen. In den Kindergarten. Nun noch der rasch getätigte Einkauf. Hetze. Das Leben läuft auf der Straße. Aber Orban passt das nicht. Er schreibt sich die Szene um. Männer in dunklen Anzügen schreiten nun. Besser, denkt Orban. Unter ihren Mänteln befinden sich Revolver. Orban ersinnt sich eine Stadt des Verbrechens. Jeder gegen jeden. So läuft das hier.
Orban überquert eine Pfütze. Das könnte ein Meer sein. Er wird sich das später notieren. Hinein in seinen Block, der neben der Tastatur auf ihn wartet.
Zwei Männer unterhalten sich. Machen lange Gesichter. Ihre Fußballmannschaft hat verloren. Das geht gar nicht, denkt Orban und legt ihnen einen Dialog in den Mund.
„Hast du gehört?“
„Was denn?“
„Das mit den Petrenelli-Brüdern.“
„Nein!“
„Sie haben drüben bei Boosters eine Schlägerei angezettelt. Es soll fünf Tote gegeben haben.“
„Nein!“
„Wenn ich es dir sage. Und weißt du, wer unter den Opfern war?“
„Nein!“
„Der kleine Nick.“
„Der kleine Nick? Verflucht. Das wird einen Bandenkrieg auslösen.“
„Mit Sicherheit sogar!“
Lächelnd geht Orban an den Männern vorbei. Er nickt ihnen zu. Sagt: „Der Bandenkrieg wird nicht mehr zu verhindern sein.“ Die Männer schauen ihm erstaunt hinterher. Was war das denn für einer?, denken sie.
Orban hat seine Wohnung erreicht. Er dichtet sie im Kopf zum Ministerium für angewandte Fantasie um. In der Türöffnung steht die Nachbarin, die er rasch zur Sekretärin erklärt.
„Ach, Sie!“, krächzt die alte Frau.
Orban dankt ihr für die Begrüßung. Sie solle in etwa zehn Minuten zum Diktat erscheinen. Er blinzelt ihr zu.
„Und ziehen sich nur etwas Aufreizendes an“, sagt er.
Die Alte zuckt zurück. Sie schüttelt den Kopf und murmelt: „Der verrückte Kerl gehört weggesperrt.“
Orban zaubert sich im Kopf den Satz: Wunderbarer Mensch, man sollte ihm einen Orden verleihen.
Orban ist entzückt über die Freundlichkeit. Dankbar winkt er der Sekretärin, die sich in ihre Wohnung verabschiedet.
Orban wohnt im 3. Stock. Weil er aber gerne einen Aufzug im Ministerium hätte, stellt er sich während des Aufstiegs selbigen vor. Mozart rieselt von der Decke hinab. Nur wenige Sekunden später ist er am Ziel. Sein Appartement befindet sich im 475. Stock des Ministeriums. Orban will das so. Und Orbans Wille ist sein Königreich. Darin befiehlt nur er.
Orban angelt sich aus der Tasche den Mythenschlüssel. Golden schimmert er auf. Orban hält ihn in der Hand. Der wiegt gut und gerne dreizehn Kilo, denkt Orban, aber dank meines Trainings in den Bergwerken von Orkwarn …
Orban kann seine Gedanken nicht beenden, wird die Mythentür doch plötzlich von einer kleinen stämmigen Frau aufgerissen.
„Da bist du ja endlich!“, schreit seine Mutter.
Orban schließt die Augen. Öffnet sie. Schon steht Agentin Paula Vancouver vor ihm. Sie leckt sich über die bereits feuchten Lippen und bittet ihn herein.
„Die Welt ist wieder einmal in Gefahr“, sagt sie.
„Ich weiß, Vancouver“, erwidert Orban.
„Was weißt du?“ fragt die Mutter.
Orban sieht erstaunt auf. Vancouver ist verschwunden. Statt ihrer steht eine alte Frau vor ihm.
„Was ist hier los?“, fragt er. „Wer sind Sie?“
Orban streckt sich. Er sieht auf seine Mutter hinab. Die verzieht die Augen und sagt: „Ich habe einen Idioten auf die Welt gebracht.“
Orban schüttelt den Kopf. Da drin herrscht eine gewisse Unordnung. Er schüttelt den Kopf ein weiteres Mal, bis sich die Dinge der Welt wieder geordnet haben. Es gelingt ihm. Die alte Frau verschwindet. Vancouver ist zurück. Gut so!
„Ich habe jetzt keine Zeit“, sagt Orban und geht in den Rauchersalon. Er zündet sich eine Zigarette an und überlegt.
„Du sollst doch nicht in der Küche rauchen!“
Vancouver baut sich vor ihm auf. Sie ist mutiert. Seine Gegner müssen eine bewusstseinsverändernde Substanz in das Appartement gepumpt haben, denn so hat er Paula Vancouver noch nie gesehen. Ihr Kopf ist alt und hässlich, sitzt aber auf einem schlanken langen Hals, dem Hals einer jungen Frau, der auf Brüste weist, die sich ihm bedrohlich entgegen neigen.
Ein Mischgeschöpf, denkt Orban.
Er drückt sich die Zigarette auf dem Unterarm aus, hofft er doch, der Schmerz könne ihn in die Realität zurück katapultieren.
Vancouver schreit auf. „Was tust du da!“
„Sie sind hinter uns her“, flüstert Orban.
Die Mutter schüttelt den Kopf. Sie hat genug von dem Unsinn. Sie läuft hinüber ins Wohnzimmer. Greift nach dem Telefonhörer, um sich im Krankenhaus zu melden. Orban muss behandelt werden, denkt sie. So kann es auf keinen Fall weiter gehen.
Orban bekommt davon nichts mit. Er untersucht die Brandwunde, die in Form und Aussehen an das Wappen der Venolaner erinnert. Er versteht das als Auftrag, haben sich die Venolaner doch bisher stets nur durch Wunden mit ihm in Verbindung gesetzt. Also stürmt Orban aus dem Appartement. Hin zum Aufzug. Die Tür gleitet zur Seite. Ein Venolaner starrt ihn an.
„Da sind Sie ja endlich“, sagt der Venolander. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unser Planet ist bedroht.“
Orban nickt nur. Er steigt in den Aufzug. Vielleicht hätte er Vancouver eine Nachricht hinterlassen sollen. Bin gleich wieder da. Rette nur rasch den Planeten Venol.
Was soll es, denkt Orban. Bis zum Abendessen bin ich zurück. Orban schließt die Augen und reist ab.

Das Sternchen hat angerufen. Wir vermissen sie sehr. Wollen heute Nachmittag Don Valentinos Tochter einen Besuch im Krankenhaus abstatten.

16.07 Uhr! Einen Film angesehen. Das Sternchen ist vom Papa zurück. Sie fahren allein ins Krankenhaus. Ich bin ein wenig erkältet. Möchte das Baby natürlich nicht anstecken.

Zwei Tage Fortlebungsroman gehen nun online. Noch bin ich nicht tot. Noch schreibe ich.