Eva Madelung hat die fiktionale Autobiografie einer ehemaligen Hitler-Anhängerin geschrieben. Eine Besprechung:
30. Januar 1933: Die deutsche Demokratie schafft sich ab. Der greise Präsident der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler und die Nationalsozialisten feiern ihre Machtergreifung mit einem Fackelzug durch das Brandebnburger Tor. Das war heute vor 82 Jahren. Ein gutes Menschenalter ist seither vergangen. Die Deutschen haben gelernt, verantwortungsvoll mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Die heutige Erinnerungskultur und Geschichtspolitik finden internationale Anerkennung. Ungleich schwieriger ist der jeweils persönliche Umgang mit Schuld. Eva Madelung hat mit ihrem teilweise autobiografischen Erinerungsroman "Reden, bevor es zuspät ist" einen lesenswerten Weg der Aufarbeitung gefunden.
Eva Madelung
Reden, bevor es zu spät ist
Lebensbericht einer ehemaligen Nationalsozialistin
Erschienen im Europa Verlag Berlin im Sep,tember 2014. Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 18,99 €.
Eva Madelung ist zwei Jahre vor Hitlers Regierungsantritt geboren. Das "Dritte Reich" hat sie nicht als Erwachsene erlebt, wohl aber als Heranwachsende. Eva Madelung war Jungmädel in der Hitlerjugend für Mädchen. Sie hat den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erlebt, die Entnazifizierung, den demokratischen Neustart Deutschlands, die revolutionäre Aufarbeitung der Hitler-Jahre durch die von 1968er-Bewegung. All diese Erinnerungen leiht sie nun ihrem literarischen Double Eva Pasch. Die Erzählerin des Lebensberichtes teilt sich in Briefen ihrer Tochter mit, verarbeitet, erklärt sich, windet sich und lässt tief in eine Seele blicken, die sich fast ein ganzes Leben mit der Schuldfrage befasst hat.
Dieser literarische Kunstgriff ist höchst bemerkenswert, weil die persönlichen Erinnerungen um für die jeweilgen Zeiten charakteristische Besonderheiten ergänzt werden kann. Das eigene Erleben als Eva Madelung ist die Grundlage für die emphatische Schreibe, das mal empörte, mal verzweifelte Ringen mit der eigenen Vergangenheit. Als fiktive Figur Eva Pasch kann Madelung über ihr eigenes Erleben hinaus Akzente so setzen, dass die individuelle Herausforderung eines Lebens "im Angesicht von Schuld" (so heißt der letzte Teil des Buches) überindividuelle Anküpfungs- und Erinnerungspunkte bietet. Das hat Madelung zwar manchmal etwas überzeichnet, aber der Wert dieses Lebensberichtes liegt nicht so sehr auf der feinjustierten Akzentuierung von Zeitgeschichte. Eva Madelung hat frei von persönlichen Rechtfertigungen und biografischen Beschönigungen eine beispielhafte die Lebensgeschichte der Generation Hitlerjugend erzählt und dabei die größte Aufmerksamkeit den von jüngeren Generationen selten nachgefragten Jahren nach 1945 gelegt. Wie sehr diese Lebensgeschichten viele deutsche Familien geprägt hat, hat Eva madelung in einem langen Berufsleben als Familientherapeutin erfahren und verinnerlicht. Ihr Buch ist ein zeitgemäßer und überfälliger Beitrag nicht nur zur Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus. Es regt weit darüber hinaus dazu an, über den eigenen, ganz persönlichen Platz in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen nachzudenken.