Leben als Politik

Von Nicsbloghaus @_nbh

28.05.2013 | 19:00 Uhr
Mehringhof; Versammlungraum, (3. Aufgang, 1. Stock), Berlin

Der west­li­che Blick auf die Gesellschaften des Nahen Ostens war bis zum «Arabischen Frühling» von der Vorstellung geprägt, sie seien poli­tisch, öko­no­misch und sozial erstarrt – gefan­gen in über­kom­me­nen kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Traditionen.

Asef Bayat, ein exzel­len­ter Kenner der Situation, erschüt­tert mit sei­nen Texten diese Sichtweise in ihren Grundfesten. Asef Bayats Beschreibungen und Analyse ent­hält den Schlüssel zum Verständnis der «Frühlingsrevolutione», indem er zeigt, wie es den gewöhn­li­chen Leuten, den «ordi­nary people», unter den auto­ri­tä­ren Regimes gelang, neue Räume sozia­ler Interaktion zu schaf­fen, in denen sie ihre Anliegen arti­ku­lie­ren und sich als soziale Subjekte behaup­ten konn­ten.

Die Umwälzungen voll­zie­hen sich auf der Ebene des all­täg­li­chen Lebens, auf den Straßen und Gassen, den Plätzen, in den Hinterhöfen und Nachbarschaften. So wurde ein sozia­ler Druck ent­fal­tet, der unter­schwel­lig bereits vor den Frühlingsrevolten zu tief­grei­fen­den Veränderungen führte. Doch diese Prozesse fol­gen nicht den klas­si­schen Vorstellungen der Theorie sozia­ler Bewegungen. Insbesondere in den Armenvierteln der gro­ßen Städte ent­wi­ckeln sich neue Praktiken des Alltags. «Kollektive Aktionen nicht­kol­lek­ti­ver Akteure» trans­for­mie­ren die Gesellschaften. Es ist ein stil­les Vordringen in neuen Formen sozia­ler Interaktion, die Bayat als «soziale Nicht-Bewegung» cha­rak­te­ri­siert, weil sie mit den klas­si­schen Formen sozia­ler Bewegung und poli­ti­scher Repräsentation nichts zu tun hat. Genau daran speist sich die Hoffnung, dass sich die Situation trotz viel­fa­cher Rückschläge nicht auf Dauer zurück­dre­hen lässt, und sich eman­zi­pa­to­ri­sche Prozesse lang­fris­tig eta­blie­ren.