“Leb wohl, meine Königin” oder die Augen der Seydoux

Erstellt am 28. Mai 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© Capelight / Léa Seydoux wagt den Blick auf das französische Königshaus während dem Sturm auf die Bastille

Auf der diesjährigen Berlinale wurde Diane Krügers neuester Schauspiel-Auftritt als französische Königin Marie Antoinette in „Les adieux à la reine“ (dt. Titel: „Leb wohl, meine Königin“) als Eröffnungsfilm gezeigt, nahm zugleich auch am Wettbewerb um den goldenen Bären teil. Hier musste sich der Film von Regisseur Benoît Jacquot („Deep in the Woods“) allerdings dem italienischen Doku-Drama „Cesare deve morire“ („Cäsar muss sterben“) geschlagen geben. An den Kinokassen wiederum werden Diane Krüger und Schauspielkollegin Léa Seydoux, die internationale Erfolge durch Filme wie „Midnight in Paris“ oder „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ feierte, die Nase vorn haben. Während der Bären-Sieger ohne Startdatum für das deutsche Kino dasteht, bekommen die Kinogänger nun zumindest durch „Leb wohl, meine Königin“ den Berlinale-Blick auf das französische Königshaus gewährt, in dem Liebe und Treue im Kontrast zu Exzentrik und Herrschaftswillen stehen.

Basierend auf dem Roman „Leb wohl Königin“ der Schriftstellerin und Historikerin Chantal Thomas erzählt der Film von den Geschehnissen in Versailles im Juli des Jahres 1789. Am Hof König Ludwigs XVI., weit entfernt von den wachsenden Unruhen in Paris, führen die Bewohner des Schlosses ein sorgenfreies und unbefangenes Leben. Nachdem das Gerücht vom Sturm auf die Bastille die höfische Gesellschaft erreicht, werden hinter den Schlossmauern Fluchtpläne für den Ernstfall geschmiedet. Sidonie Laborde (Seydoux), die treu ergebene Vorleserin der Königin Marie Antoinette (Krüger), will nicht an die Gerüchte glauben und klammert sich an ihre gewohnten Pflichten. Sie weiß noch nicht, dass dies die letzten drei Tage sein werden, die sie an der Seite ihrer geliebten Königin verbringen wird.

Diane Krüger als Marie Antoinette

Über diese drei Tage werden die Zuschauer Sidonie begleiten, wie sie sich durch die Nebenzimmer des Schlosses schleicht, immer wieder einen Blick durch einen Türspalt erhascht oder im Türrahmen stehend, wie sie ihren Blick auf den Adel gerichtet hat, der verzweifelt versucht zwischen alltäglicher Monotonie und hektischem Aufruhr den Ernst der Lage zu begreifen. Eine Person, in diesem Fall nicht adelig, sondern nur eine Angestellte des Schlosses, von außerhalb des wirklichen Geschehens auf die Dinge blicken zu lassen, gestaltet sich hier als angenehme Frischzellenkur für die bereits zu oft durchgekaute Geschichte der französischen Revolution. In Filmen wie „Danton“ (1983) oder „Reign of Terror“ (1949) stehen Hauptfiguren der schweren Zeit Frankreichs im Mittelpunkt, in „Leb wohl, meine Königin“ wird der dezente Blick auf die weniger bedeutenden Menschen gelenkt und wie sie diese Tage erlebten. Dabei bleiben persönliche Schicksale unkommentiert. In einer Sequenz wird Sidonie vorgeworfen: „Du erzählst uns ja nie was von dir, wo du zum Beispiel herkommst“, ein Satz der unerwidert bleibt. Es ist nur Sidonies Blick auf die Geschichte wichtig, nicht aber ihr eigenes Leben. Eine mögliche Liebschaft, ihre Beziehung zu ihren höfischen Freundinnen oder warum sie so eine begabte Stickerin ist, sind irrelevante Details für den Film. Regisseur Jacquot nutzt die größte Stärke seiner Hauptdarstellerin Seydoux, wenn er die Handlung auf ihre Augen fixiert, die sich klar in jeder Szene auf dem Geschehen positionieren und beobachten, dabei den Zuschauer immer an die Hand nehmend, als stände er direkt hinter Sidonie. Damit zeigt Léa Seydoux ein starkes Spiel, weiß mit ihren durchdringenden Blicken die Szene unter Kontrolle zu halten und schafft eine Gratwanderung zwischen der Dramatik der Situation und dem auflockernden Humor, der stellenweise zum Vorschein kommt. Wenn Sidonie ihre Königin eine Stunde lang auf sich warten lässt und durch die langen Flure von Versaille zu ihr eilt, stolpert, sofort wieder aufsteht und weiterrennt als sei nichts geschehen, ist es das kommentarlose Bild, welches zur Erheiterung führt. Solch kleine Szenen finden sich in dem Film stellenweise eingestreut, werden weder von Seydoux, noch von der exzentrisch spielenden Diane Krüger als Marie Antoinette ins Lächerliche gezogen. Krüger, die ihrer Figur reichlich Stimmungswechsel beschert, bietet derweil nur wenig neue Facetten im Verlauf des Films, ruht sich, ohne einen tieferen Einblick in ihren Charakter zu gewähren, auf ihrer überspitzten Darstellung aus. Dabei zeigt sie zumindest ihre beste Leistung seit langem und eröffnet niemals den Vergleich zu Sofie Coppolas „Marie Antoinette“-Film, in dem Kirsten Dunst zuletzt die Königin spielen durfte. Hier herrscht eine klare Abgrenzung.

Virginie Ledoyen als Geliebte der Königin Gabrielle de Polignac

Neben diesen zwei darstellerischen Leistungen sowie den prachtvollen Kostümen – wie sollte man es in einem Kostümfilm auch anders erwarten? – von Christian Gasc und Valérie Ranchoux, die bereits für „Deep in the Woods“ mit Jacquot zusammenarbeiteten, stellt sich der Film allerdings eher als ein sprödes Produkt dar. Selbst mit dem Wissen über die Prämisse, dass Sidonie hier Abschied von ihrer Königin wird nehmen müssen, weiß der Film nicht so recht zu vermitteln, wie dies geschehen soll. Denn im Grunde nimmt Sidonie niemals wirklich Abschied von ihrer Königin. Erst in den letzten Minuten macht Seydouxs Figur eine inkonsistente und merkwürdig anmutende Wandlung durch, lässt sich auf einen Kleidertausch mit Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen) ein, damit diese unbemerkt durch das Land reisen kann, in dem ein Volk ihr den Tod wünscht. Eine rettende Rollentausch-Situation, die sogar ein wenig Spannung aufkommen lässt. Aber Sidonie steht hierdurch auf einmal wie ein Persönlichkeits- raubender Menschen da. Auf einmal findet sie Spaß daran, sich in prachtvollen Gewändern zu kleiden und fast schon wirkt es so, als würde sie hier nun wirklich den Rollentausch vollziehen wollen, damit sie anstelle von Gabrielle de Polignac zur Geliebten der Königin werden kann. Aber das entspricht weder dem Charakter, der zuvor für Sidonie etabliert wurde, noch zeigt der Film diesen durchaus interessant klingenden Ansatz, blendet genau in dem Moment aus, wo diese Geschichte beginnen könnte spannend zu werden.

Hier soll die Spannung aber durch deplatzierte Musikstücke suggeriert werden, die dann schnell erkennen lassen, dass die Handlung nur so vor sich hin dümpelt. Auch wenn das beobachtende Auge als Stilmittel einen einfallsreichen Ansatz darstellt, wirken die Tage, von denen der Film erzählt, für den Zuschauer unerträglich lang. Dem überzeugenden Kammerspiel von Léa Seydoux schaut man gerne zu, es reicht allerdings nicht dazu aus, um „Leb wohl, meine Königin“ zu einem gern gesehenen Historienfilm zu machen.

Denis Sasse


‘Leb wohl, meine Königin‘